Anhänger der Grünen
Analyse

Europawahl in der Analyse Grüne lassen Union und SPD alt aussehen

Stand: 27.05.2019 13:58 Uhr

Die Union ist nur noch bei Wählern über 45 stärkste Kraft, bei allen jüngeren liegen die Grünen vorn. Wie lässt sich der Erfolg erklären? Und warum kann die SPD so gar nicht punkten? Eine Analyse auf Basis der Zahlen von infratest dimap.

Eine Analyse von Holger Schwesinger

Dass die Grünen bei der Europawahl stark abschneiden würden, hatte sich schon vor der Wahl klar abgezeichnet. Doch dass es ein derart gutes Ergebnis werden würde, dürfte viele dann doch überrascht haben - auch die Grünen selbst. Erstmals liegen sie bei einer bundesweiten Wahl klar vor der "Volkspartei" SPD. Woher kommt der Höhenflug der Grünen, die bei der Bundestagswahl 2017 gerade mal 8,9 Prozent geholt haben und die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag stellen?

Die Grünen-Stimmen kommen vor allem von den besser Gebildeten und - und das dürfte der entscheidende Faktor sein - von den Jüngeren. Wobei das Wort "Jüngere" hier sehr relativ zu sehen ist. Denn die Grenze verläuft bei "Mitte 40". Bei allen Wählergruppen, die darunter liegen, sind die Grünen klar die stärkste Kraft. Und es gilt: je jünger die Wähler sind, desto stärker wählen sie Grün.

SPD bei den Jungen nur unter "ferner liefen"

Die Union ist nur noch bei den über 60-Jährigen klar die Nummer 1, bei den 45- bis 59-Jährigen liefert sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Grünen. Und insgesamt bildet die Union quasi den Gegenpol zu den Grünen: Je jünger die Wähler, desto weniger erfolgreich ist die Union.

Und die SPD? Sie hat in allen Altersgruppen deutlich verloren. Bei den ganz Jungen liegt sie sogar nur noch im einstelligen Bereich - knapp vor der Satirepartei "Die Partei". Beim Blick auf die Zukunft hat die SPD-Führung also allen Grund, nervös zu werden.

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Die Führung von CDU und CSU sollte sich allerdings auch Gedanken machen - nicht nur weil spätestens seit der Debatte über das Video des Youtubers Rezo klar ist, dass sie ein Problem im Umgang mit jungen Wählern hat. Denn fragt man die Deutschen, welche Partei die besten Antworten auf Zukunftsfragen hat, die junge Wähler naturgemäß mehr interessieren als ältere, liegt die Union mit 18 Prozent nur noch knapp vor den Grünen mit 17 Prozent.

Abgeschlagen auf Platz drei bei dieser Frage, die infratest dimap im Auftrag der ARD im Vorfeld der Wahl gestellt hat: Die Sozialdemokraten. Nur sieben Prozent sagen, die SPD hat die besten Antworten auf die Zukunftsfragen. Sie liegt damit nur minimal vor den "kleineren" Parteien Linke, FDP und AfD.

Umweltschutz wichtig - auch für Unions-Anhänger

Noch deutlicher wird das Bild, wenn man die Menschen fragt, welche Themen wichtig für ihre Wahlentscheidung sind. Auf Platz 1 steht da mit 48 Prozent der Umwelt- und Klimaschutz, der seit der Europawahl vor fünf Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Es folgen die Themen soziale Sicherheit (43 Prozent), Friedenssicherung (35) und Zuwanderung (25).

Beim wichtigsten der genannten Themen, dem Umwelt- und Klimaschutz, gelten die Grünen ganz klar als die kompetenteste Partei. 56 Prozent der Deutschen trauen ihnen zu, hier am ehesten die richtigen Lösungen zu finden. Und Umweltschutz ist heute durchaus kein rein grünes Thema mehr. Auch bei den Anhängern der Union rangiert es weit oben auf der Prioritätenliste. Doch nur 14 Prozent der Deutschen glauben, dass die Union hier auch kompetent ist.

Warum kann die SPD beim Sozialen nicht punkten?

Das zweitwichtigste Thema für die Wähler war - wie oben erwähnt - die soziale Sicherheit. Das ist ein klassisches SPD-Thema und tatsächlich gilt die Partei hier auch als besonders kompetent. Warum zahlt sich das bei der Europawahl dann nicht in Wählerstimmen aus?

Eine entscheidende Erklärung hierfür ist die Veränderung bei der Kompetenzzuschreibung. Bei der Europawahl 2014 sagten noch 41 Prozent, die SPD kann das besonders gut. Bei der aktuellen Europawahl waren es gerade noch 29 Prozent. Das klassische SPD-Thema ist also wichtig. Doch viele Wähler - das zeigen die Umfragen - sehen die Kompetenz dafür zunehmend auch bei anderen Parteien - wie etwa Linke, Grüne oder auch AfD.

Wofür die SPD steht, ist vielen nicht klar

Und noch ein Block anderer Umfrageergebnisse sollte SPD und Union beunruhigen: 47 Prozent der Deutschen sagen, sie wissen nicht mehr, wofür die Union eigentlich steht. Und selbst 22 Prozent der eigenen Anhänger sind hier irritiert.

Noch dramatischer die Lage der SPD: Hier wissen 62 Prozent der Deutschen nicht mehr, wofür sie steht, bei den eigenen Anhängern sind es 35 Prozent. Und 39 Prozent der SPD-Wähler sagen, ihre Partei habe sozialdemokratische Prinzipien aufgegeben.

Bei den Grünen ist hingegen völlig klar, wofür sie stehen: Umwelt- und Klimaschutz, ein klarer Pro-Europa-Kurs, eine liberale Flüchtlingspolitik. 96 Prozent der Grünen-Wähler sagen, die Partei vertrete die Werte, die ihnen wichtig seien.

Von solchen Werten können Union und SPD nur träumen. Und einen anderen Wert sollten sie regelrecht fürchten: Denn fragt man alle Deutschen, sagen immer noch 57 Prozent, die Grünen vertreten Werte, die mir persönlich wichtig sind - also auch viele Deutsche, die bisher gar nicht für die Grünen gestimmt haben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet tagesschau24 am 27. Mai 2019 um 09:00 Uhr.