Hintergrund

Asylbewerberzahlen in Deutschland Das kam nicht plötzlich

Stand: 22.08.2013 08:43 Uhr

Mit den Protesten gegen ein Flüchtlingsheim in Berlin hat das Thema Asyl wieder die politische Debatte erreicht. Seit fünf Jahren kommen zwar wieder mehr Asylbewerber, aber nicht so viele wie in den Neunzigern.

Von Jörn Unsöld, tagesschau.de

Demonstrierende Flüchtlinge vor dem Hamburger Hauptbahnhof, hungerstreikende Asylbewerber in München und seit Tagen anhaltende Proteste gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf: Dass das Thema Asylpolitik auf einmal wieder auf der politischen Agenda ist, liegt zum einen an jüngsten Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Demnach stellten im Juli dieses Jahres 9516 Menschen einen Asylantrag, im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Plus um 5018 Bewerber beziehungsweise knapp 112 Prozent. Die meisten Flüchtlinge kamen aus der Russischen Föderation, gefolgt von Syrien, Serbien, Afghanistan und Pakistan. Nach Schätzungen des BAMF werden bis Ende 2013 100.000 Menschen um Asyl in Deutschland gesucht haben.

Deutschland nur im Mittelfeld

Die Zahlen klingen hoch, im Vergleich zu anderen europäischen Staaten rangiert Deutschland aber nur im Mittelfeld. Bezogen auf 1000 Einwohner gab es laut Statistikbehörde Eurostat im Jahr 2012 in Deutschland 0,95 Asylbewerberanträge. An der Spitze der Skala stehen der Inselstaat Malta (4,98 Anträge) und Schweden (4,63 Anträge), am wenigsten Anträge wurden in Portugal gestellt (0,03).    

Auch im Vergleich zu den Flüchtlingszahlen in den Neunzigerjahren, als der Jugoslawien-Krieg ausbrach, relativieren sich die aktuellen deutschen Zahlen: Im Jahr 1992 beispielsweise gab es laut BAMF 438.191 Asylsuchende, 1995 waren es 127.937. Danach gingen die Zahlen bis 2007 kontinuierlich zurück, abgesehen von einem Knick Anfang der 2000er-Jahre (siehe Grafik). Seit 2007 steigt aber die Zahl der Asylbewerber, im vergangenen Jahr lag sie bei 64.539.

         

"Aufnahme der Flüchtlinge ist zu bewältigen"

Während Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Zahlen für Juli 2013 kürzlich als "alarmierend" bezeichnete, befürchten Hilfsorganisationen Panikmache. "Wir warnen davor, die Debatte emotional hochzuziehen, denn die Aufnahme der Flüchtlinge ist zu bewältigen", sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Seine Argumentation: Die jetzigen Probleme etwa bei der Suche nach geeigneten Unterkünften sind zum großen Teil hausgemacht - und lassen sich daher nicht nur mit der gestiegenen Anzahl der Bewerber begründen. Oftmals ziehe das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylverfahren in die Länge - und damit müssten die Flüchtlinge auch länger in den entsprechenden Unterkünften bleiben, was die dortigen Engpässe wiederum verschärft.

Verfahren, die zu lange dauern?

In diesem Zusammenhang verweist er auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums, das im August auf eine entsprechende Frage der Linken-Bundestagsfraktion reagierte. Demnach erhöhte sich die durchschnittliche Dauer bis zu einer Asyl-Entscheidung von 5,6 auf 7,9 Monate. Besonders lange warten mussten nach Einschätzung der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke  Bewerber mit guten Aussichten, Flüchtlingsstatus zu erhalten. Zahlen von Anfang 2013 zeigen beispielsweise, dass Menschen aus Somalia 15,5 Monate warten mussten, gefolgt von Afghanen (13,7 Monate) und Pakistanern (12,5 Monate). Zum Vergleich: Asylsuchende aus Serbien musste bis zu ihrem Bescheid nur 2,6 Monate warten.

Eine Sprecherin des zuständigen BAMF räumte zwar ein, dass es zurzeit länger dauert, bis Anträge bearbeitet werden. Dies hänge aber auch damit zusammen, dass sich ihre Behörde zum Ziel gesetzt habe, zunächst alte Verfahren zu bearbeiten.

Ein weiterer Vorwurf von Flüchtlingsorganisationen lautet: Das Migrationsamt habe sich darauf verlassen, dass nach dem starken Anstieg in den 1990er-Jahren die Anzahl der Asylsuchenden wie zu Beginn der 2000er-Jahre weiter zurückgehe. Laut PRO ASYL legte das BAMF etwa für die eigene Personalplanung die Asylbewerberzahlen von 2007 zugrunde. Doch die waren 2007 mit knapp 19.200 historisch tief. Das BAMF weist diesen Vorwurf zurück. In regelmäßigen Abständen würden die Bundesländer - und über sie auch die Kommunen - darüber informiert, mit wie vielen Flüchtlingen sie zu rechnen hätten. Wie viele Flüchtlinge welches Bundesland aufnehmen muss, berechnet sich unter anderem entsprechend der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder ("Königsteiner Schlüssel", siehe Tabelle).

Verteilungsquote für Asylbewerber 2013 ("Königsteiner Schlüssel", Quelle: BAMF)
Bundesland Quote
Baden-Württemberg 12,93 %
Bayern 15,23 %
Berlin 5,07 %
Brandenburg 3,07 %
Bremen 0,93 %
Hamburg 2,55 %
Hessen 7,30 %
Mecklenburg-Vorpommern 2,06 %
Niedersachsen 9,40 %
Nordrhein-Westfalen 21,22 %
Rheinland-Pfalz 4,80 %
Saarland 1,23 %
Sachsen 5,14 %
Sachsen-Anhalt 2,91 %
Schleswig-Holstein 3,36 %
Thüringen 2,78 %

In der aktuellen Diskussion geht es aber vielmehr um die akute Not der Flüchtlinge. Denn die brauchen Unterkünfte, die die Kommunen nicht haben. "Wir haben zunehmend Probleme mit der Unterbringung der Flüchtlinge", sagt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Angesichts dieser Engpässe müssten die Städte rasch neue Plätze schaffen. Dass dies - Beispiel Berlin-Hellersdorf - oft in Gegenden geschehe, die ohnehin als Problemviertel gelten, müsse hingenommen werden.

Kasernen als Flüchtlingsunterkünfte

An den Bund appellierte er, zu prüfen, ob Asylsuchende in leer stehende Kasernen ziehen könnten. Auch sein Verband will - genau wie das BAMF - von Fehlkalkulationen nichts wissen. Niemand habe den Anstieg der Zahl der Asylsuchenden vorhersehen können, ergänzt der zuständige Referatsleiter Ulrich Mohn beim Städte- und Gemeindebund und nimmt die Kommunen in Schutz: Wirtschaftlich wäre es nicht sinnvoll gewesen, jahrelang nicht-genutzte Unterkünfte freizuhalten. "Und so schnell kann man die Kapazitäten jetzt nicht schaffen", sagt er. Um die Wohnsituation in den Griff zu bekommen, verlangen die ohnehin klammen Städte und Kreise, von den Bundesländern nicht alleingelassen zu werden: "Wir erwarten volle Kostenerstattung", sagt Hauptgeschäftsführer Landsberg.  

Zumindest die Anträge von Asylsuchenden sollen künftig schneller vom Schreibtisch - mit Hilfe von unerwarteter Seite: Das Innenministerium ordnete an, dass vorübergehend 80 Bundespolizisten im BAMF aushelfen. Außerdem sollen bei der Nürnberger Behörde 140 zusätzliche Stellen geschaffen werden.