Analyse der geplanten Energiewende Der Atomausstieg bis 2022 ist machbar
Nach derzeitigem Wissensstand besteht kein Zweifel: Der Atomausstieg bis 2022 ist machbar. Auch für kalte Wintertage reichen die Reserven, um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten. Atomkraftwerke taugen dagegen als "kalte Reserve" nicht.
Von Axel Weiß, SWR-Umweltredaktion
Deutschland ist Stromexport-Nation. Wenn derzeit immer wieder Strom eingeführt wird, dann nur, weil er im Ausland billiger zu produzieren ist als hierzulande. Das ist ein ganz normaler Marktmechanismus, aber keine Folge davon, dass derzeit mehr als sieben Atomkraftwerke stillgelegt sind. Bis 2014 werden weitere konventionelle Kraftwerke mit einer Leistung von etwa elf Gigawatt hinzukommen, bevor dann bis 2020 wieder eine Reihe von Kohlekraftwerken vom Netz muss. Unterm Strich beträgt der Zuwachs vermutlich fünf Gigawatt.
Versorgung auch an kalten Wintertagen gesichert
90 Gigawatt gesicherte Leistung gibt es derzeit in Deutschland, mehr als höchstens 80 Gigawatt werden selbst an kalten, dunklen Wintertagen nicht gebraucht. Durch Effizienzsteigerungen ließe sich diese Menge noch deutlich vermindern, hat das Wuppertal-Institut ausgerechnet: Zehn Großkraftwerke könnten im Stromsektor eingespart werden.
Der Atomausstieg bis 2022 ist machbar, ohne dass bei uns das Licht ausgeht. "Atomkraftgegner überwintern - bei Dunkelheit mit kaltem Hintern" - dieser alte Slogan der AKW-Befürworter entbehrt der Grundlage, sofern der Umbau der Energieversorgung richtig angegangen wird. Nach unveröffentlichten Berechnungen des Umweltbundesamtes wäre der Ausstieg bis 2017 möglich, sofern etwa fünf Gigawatt durch den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien oder Effizienzmaßnahmen erzeugt werden können. Das dürfte nach Expertenmeinung kein Problem darstellen.
Schlimmstenfalls müssten einige wenige Gaskraftwerke zusätzlich errichtet werden. Bei einem Planungsvorlauf von fünf bis sechs Jahren wäre das kein Hexenwerk. Diese wenigen Großkraftwerke könnten dann auch dort gebaut werden, wo besonders hoher Strombedarf besteht - im Süden der Republik. Dort gibt es derzeit besonders viel Atomstrom und gleichzeitig eine hohe Stromnachfrage. Dort gibt es aber auch eine große Menge installierter Leistung von Kraftwerken, die derzeit einsatzbereit gehalten, aber nicht genutzt werden.
Atomkraftwerke taugen nicht als "kalte Reserve"
Von den bundesweit 2,5 Gigawatt dieser sogenannten "kalten Reserve" stehen laut einer internen Studie des Umweltbundesamts zwei Gigawatt in Süddeutschland. Das trifft sich gut, wenn in kritischen Situationen der Strom regional erzeugt werden kann. Kernkraftwerke sind als "kalte Reserve" allerdings aufgrund ihrer Technik nicht wirklich geeignet. Sie benötigen mehrere Tage, um hochzufahren. Problematisch für die Betriebssicherheit ist dieser Prozess auch. Atomkraftwerke sind für den Dauerbetrieb ausgelegt, nicht für die schnelle Zusatzlieferung.
Um die Netze stabil zu halten und Stromausfälle zu vermeiden, können auch Speicherkraftwerke genutzt werden, die gezielt zu bestimmten Zeiten Strom liefern oder verbrauchen. Und auch die Revisionen fossiler Kraftwerke lassen sich noch besser abstimmen, damit nicht zu viele Kraftwerke gleichzeitig vom Netz sind. Um die Spannung in den Stromnetzen stabil zu halten, könnte auch eine Reihe von technischen Hilfsmitteln wie Kondensatoren eingesetzt werden, die Spannungsschwankungen ausgleichen können. Zudem könnten die Kraftwerksbetreiber angehalten werden, ihre Kraftwerke bei Bedarf herunter- oder hochzuregeln. Und nur im schlimmsten Fall könnten auch energieintensive Industrien zu Produktionsdrosselungen gezwungen werden. Nicht schön, aber notfalls ist das nach dem Energiewirtschaftsgesetz möglich.
Ausbau der Stromnetze notwendig
Letztlich müssen die Stromnetze aber weiter ausgebaut werden, um das bestehende Ungleichgewicht der Stromproduktion und des Stromverbrauchs zwischen dem Norden und dem Süden der Republik besser ausgleichen zu können. Und die Netze müssen intelligenter werden, um Angebot und Nachfrage schneller und besser regeln zu können.
Ein weiterer Ausbau von Steinkohlekraftwerken über das bereits geplante Maß hinaus erscheint jedoch nicht notwendig, im Gegenteil: Die Klimaziele der Bundesregierung, die sie in Kopenhagen beim Klimagipfel formuliert hat, müssen eingehalten werden. Dazu ist es nötig, vor allem in den Bereich der erneuerbaren Energien mehr zu investieren. Ob die jetzt geplante Deckelung der entsprechenden Umlage im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung ist, darf bezweifelt werden. Ob der klimafreundliche Umbau der Energieversorgung ohne Ausbau der erneuerbaren Energien von 35 auf 40 Prozent und bei verschlechterten Förderbedingungen möglich ist, erscheint ebenfalls fraglich. Hier wird die Bundesregierung vermutlich noch einmal nachbessern müssen, wenn sie bis 2022 tatsächlich vollständig auf Atomstrom verzichten will.