Laschet in Hagen Balanceakt in der Katastrophe
Für Wahlkämpfer ist der Besuch im Katastrophengebiet ein schmaler Grat. Denn die Geschichte zeigt: Diese Momente können durchaus Wahlen entscheiden.
Die Kanzlerin und die Kanzler der vergangenen fast 40 Jahre hatten alle ihre Hochwasser-Momente: Bewährungsprobe. Anteilnahme. Krisenmanagement. 2013 erlebt Angela Merkel die Jahrhundertflut in Sachsen, Thüringen und Bayern. Die Kümmerin lässt sich zeigen, wie man Sandsäcke füllt. Sie verspricht einen milliardenschweren Hilfsfonds. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder inszeniert sich beim Elbehochwasser 2002 in Gummistiefeln und Regenjacke als Mann der Tat. Helmut Kohl dagegen balanciert noch wenig katastrophentauglich im Anzug über Sandsack-Barrieren, als 1997 das Oderhochwasser die deutsch-polnische Grenzregion heimsucht.
Nun also ist NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nach Altena und Hagen in Nordrhein-Westfalen gekommen. Und wieder stellt sich die Frage: Wie findet sich eine Balance zwischen dem Gebot, in einer solchen Katastrophe unbedingt vor Ort sein zu müssen und der Versuchung, sinnlos im Wege zu stehen, um wirk- und wahlmächtige Fotos zu bekommen? Das sei eine zu ernste Lage, wehrt Laschet ab, und damit nichts, mit dem man Bilder erzeugen wolle. Es sei wichtig, da zu sein.
Schröders Gummistiefel-Moment
Die Politikwissenschafter Michael Bechtel und Jens Hainmueller untersuchten schon vor zehn Jahren den Einsatz von Kanzler Schröder beim Elbehochwasser 2002. Der hatte im Bundestag verkündet: "Was getan werden muss, um die Folgen der Katastrophe zu beseitigen, verehrte Freundinnen und Freunde, das werden wir tun. Und wir werden die Führung übernehmen."
Die Politologen kamen zu dem Ergebnis, die SPD habe in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten durchschnittlich sieben Prozentpunkte an Stimmen zulegen können. "Der Kandidat lag derweil im Liegestuhl", wetterte damals SPD-Mann Ludwig Stiegler über CSU-Herausforderer Edmund Stoiber. Der machte zunächst Urlaub auf Juist und erteilte "Hochwassertourismus" eine Absage. Schröder gewann die Bundestagswahl 2002. Es war der berühmte Schröder-Moment, auch Gummistiefel-Moment genannt.
Laschet will von einem solchen Vergleich nichts wissen. "Mich erinnert das daran nicht. Sie können sicher sein: Jeder Ministerpräsident, der sein Amt ernst nimmt, ist in einem solchen Moment vor Ort. Wahlkampf hin oder her." Ohne Präsenz geht es nicht. Denn Laschet wurde auch gefragt, warum er nicht schon früher in die Krisenregion gekommen war. Erweckt Politik aber den Eindruck, nicht um der Menschen willen gekommen zu sein, sondern der eigenen (Wieder-)Wahl zuliebe, ist es um die Glaubwürdigkeit getan.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) im Hochwasssergebiet an der Elbe (Archivfoto vom 9.4.2006)
Balanceakt im Wahlkampf
Es ist ein Balanceakt, der auch die anderen Kanzlerkandidaten fordert. Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz werde sich zusammen mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) ein Bild von der Lage machen, teilte sein Ministerium mit. Scholz sagte: "Die Menschen im Katastrophengebiet sind in Not, die Schäden sind immens. Da muss der Bund mitanpacken."
Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock brach ihren Urlaub ab. "Das zerstörerische Ausmaß der Überschwemmungen ist erschütternd", sagte sie. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel warnte dagegen vorsichtshalber schon einmal per Twitter: "Der Respekt vor den Betroffenen verbietet eine Vereinnahmung dieser Katastrophe für die Klimapropaganda."
Merkel als kleines Mädchen am Radio
Wie prägend Gummistiefel-Momente sind, erzählte Merkel nach dem Tod von Helmut Schmidt. "Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals als kleines Mädchen und natürlich auch meine Eltern in der DDR am Radio buchstäblich hingen, weil wir uns unglaublich Sorgen um unsere Großmutter und Tante in Hamburg machten." Sie hätten gerade Helmut Schmidt vertraut, dass er die Lage in den Griff bekommen werde.
Schmidt war 1962 weder Kanzler, noch Kandidat, sondern Innensenator in Hamburg. Mit Blaulicht sei er "unter Verletzung sämtlicher Verkehrsregeln" in die Stadt gerast, so Schmidt. Auch habe er sich "sofort einen Hubschrauber genommen" und damit das Katastrophengebiet insgesamt abgeflogen. Damals war er gerade mal 43 Jahre jung. Schmidt holte die Bundeswehr gegen die Hamburger Sturmflut zur Hilfe, übernahm die zentrale Einsatzleitung für das Stadtgebiet. "Das ist meine erste starke, meine ganz persönliche Erinnerung an Helmut Schmidt", so Merkel rückblickend.
Mehr Klimaschutz?
Bereits 1997 forderten die Grünen angesichts der Fluten, Ufergebiete müssten wieder natürlicher werden, es brauche Platz für Überflutungsgebiete. Kohl formulierte es so: "Wir müssen den Flüssen ihren Raum lassen. Sie holen ihn sich sonst zurück, mit schlimmen Folgen für die betroffenen Menschen."
Jetzt, zwei Monate vor der Bundestagswahl, könnten die Grünen ihre Kompetenz für Umwelt- und Naturschutz zeigen. Die Union dagegen ist in ihrem Wahlprogramm vage, wenn es um konkrete Klimaschutzmaßnahmen geht. Und so klingt Laschet jetzt auch in Hagen. Man werde immer wieder mit solchen Ereignissen konfrontiert werden. Seine Schlussfolgerungen: Mehr Tempo bei den Klimaschutzmaßnahmen - europäisch, bundesweit, weltweit. Und: "Mehr Dynamik für den Klimaschutz", sagt er dann auch noch.