Proteste Was bewirken die Klimademos?
Woche für Woche demonstrieren Gruppen für mehr Klimaschutz. Aber welchen Einfluss haben die Klimaproteste auf die Politik? Können sie wirklich etwas verändern?
Brandenburger Tor, Berlin. Klimaaktivistinnen und -aktivisten rennen los und legen sich auf die Straße. Innerhalb kürzester Zeit ist die Kreuzung blockiert, die Polizei muss den Verkehr umleiten. Die Demonstranten sitzen in kleinen Gruppen auf der Kreuzung. Sie halten bunte, selbstbemalte Plakate hoch, auf denen "Klimakollaps stoppen" oder "Ursachen besteuern" steht. Mit ihrer Sitzblockade wollen die Demonstranten die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens einfordern.
Die meisten von ihnen gehören zur Gruppierung von "Extinction Rebellion". So auch Thomas Müller-Schwefe. "Es geht darum, dass wir mehr Aufmerksamkeit auf das zentrale Thema unseres Lebens lenken", sagt er. Der 67 Jahre alte pensionierte Arzt aus dem Raum Bielefeld beteiligt sich am zivilen Ungehorsam der zumeist jungen Demonstranten. Politiker sollten sich nicht weiter wegducken können, sagt er. "Es geht ums Überleben unserer jungen Generation."
Bundesregierung sieht sich als Vorreiter
Hat die Große Koalition in dieser Legislaturperiode beim Klimaschutz also geschlafen, wie die Demonstranten es Union und SPD vorwerfen? Anja Weisgerber sieht das anders. Sie ist Beauftragte für Klimaschutz der CDU/CSU-Fraktion und stolz auf das Klimaschutzgesetz, das die Regierung 2019 verabschiedet hat.
Die CO2-Bepreisung für Wärme und Verkehr sei ein großer Schritt nach vorne gewesen, "und die Europäische Union zieht jetzt nach, weil wir hier den ersten Schritt getan haben". Darauf ausruhen dürfe sich Deutschland aber nicht, "wir müssen im Tempo zulegen", sagt die CSU-Politikerin.
Das befand auch das Bundesverfassungsgericht. Es entschied: Die Freiheiten der jungen Generation seien im Klimaschutzgesetz nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Große Koalition musste die Klimaziele nachschärfen, Deutschland soll 2045 und nicht erst wie ursprünglich geplant 2050 klimaneutral werden.
"Regierung hat beim Klimaschutz absolut versagt"
Die klimapolitische Bilanz der vergangenen vier Jahre fällt bei den Grünen deutlich kritischer aus. "Das ist alles viel zu wenig, um die Klimakrise zu bewältigen", sagt Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen. Ihre Liste der Kritikpunkte an der Klimapolitik der Regierung ist lang: Zu langsam sei der Ausbau der erneuerbaren Energien, zu langsam komme die Verkehrswende voran.
Die Grünen-Politikerin fordert einen schnelleren Kohleausstieg und einen höheren CO2-Preis. Ihr Urteil: "Die Bundesregierung hat im Klimaschutz absolut versagt, weil sie in der Vorsorge und dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger nicht genug getan hat."
Kein Wahlkampf mehr ohne Klimakonzept
Doch welchen Einfluss haben Proteste auf die Politik? "Sie haben auf der Ebene politischer Entscheidungen nicht sehr viel verändert“, sagt Simon Teune, Protestforscher am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. "Es gibt ein Klimagesetz, das aber vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde." Aber Parteien könnten ohne das Thema Klimaschutz gar nicht mehr in den Wahlkampf gehen.
Die politische Ebene sei aber nicht die einzige, auf der Proteste wirken, sagt Teune. Es sei ein Erfolg der Demonstrationen, "wie über die Klimakrise gesprochen wird, dass die Dringlichkeit schnell zu handeln von immer mehr Menschen gesehen wird". Protestbewegungen wirkten indirekt, in dem sie ihr Anliegen zu einem gesellschaftlichen Thema machen. Außerdem "gibt es in immer mehr gesellschaftlichen Gruppen das Bewusstsein, dass sie selbst handeln müssen". So habe es in den vergangenen Jahren beispielsweise in Sozialverbänden, Gewerkschaften und Kirchen immer mehr Bewegung in der Klimafrage gegeben.
Mehr Küchentisch als Parlamentsbank
Das Bewusstsein für den Kampf gegen den Klimawandel ist laut ARD-Deutschlandtrend in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Mehr als 80 Prozent der Befragten sehen großen oder sehr großen Handlungsbedarf beim Klimaschutz. Die Protestbewegung habe die "Diskussion am Küchentisch beeinflusst", sagt Teune. Das haben die Klimademos offenbar bewirkt, den Klimawandel auf die gesellschaftliche Agenda gesetzt, auch wenn der große Durchschlag auf politische Entscheidungen noch ausgeblieben ist.
Auch Badum und Weisgerber sind sich zumindest in diesem Punkt einig: Der Druck von der Straße bringt mehr und mehr Bewegung in den Klimaschutz. "Bisher war die Klimakrise für viele Politikerinnen und Politiker etwas Abstraktes", sagt Badum. Jetzt sei klar, dass es um Menschen und deren Zukunft gehe. Weisgerber bewertet die Klimaproteste ebenfalls positiv: "Die Proteste haben dazu beigetragen, dass die Klimapolitik ganz oben auf der Tagesordnung steht."