Grünen-Kanzlerkandidatin Wer steht hinter Baerbock?
Strippenzieher, Spin-Doktoren, Zweckgemeinschaften: Wer sind die Menschen, die im Hintergrund für Kanzlerkandidatin Baerbock arbeiten? Auf wen kann sie sich verlassen - und wer fehlt ihr eventuell?
Kurioserweise umgibt ausgerechnet die erste weibliche Kanzlerkandidatin der Grünen ein Team von Männern, wenn man nur ihr engstes Umfeld betrachtet. Annalena Baerbock ist im Vergleich zu ihren Kontrahenten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) eine Newcomerin in der Spitzenpolitik - und kann noch nicht auf jahrelang gewachsene Stäbe oder "die eine prägende Büroleiterin" wie Angela Merkels Beate Baumann zurückgreifen.
Baerbock wird als Netzwerkerin geschildert, die über viele Kontakte in die Fraktion und Partei verfügt - und auch Gesprächs-Kontakte zu erfahrenen Spitzen-Grünen wie etwa Claudia Roth pflegt. Doch im konkreten politischen Alltag wird sie bei der Kandidatur derzeit von erfahrenen Wahlkämpfern in der Parteizentrale umgeben, die sich untereinander langjährig kennen.
Michael Scharfschwerdt
Zu den engsten Vertrauten der Kanzlerkandidatin zählt der parteiintern gut vernetzte und wahlkampferfahrene PR-Experte Michael Scharfschwerdt. Er kam im Juni spät an ihre Seite - vielleicht zu spät, sagen manche. Hätte Baerbock bereits früher auf ihn zusammen mit dem ebenfalls spät ins Team geholten Sprecher Andreas Kappler zurückgreifen können, wäre womöglich der ein oder andere Fehler Baerbocks vermeidbar gewesen. Nicht nur aufgrund der Kompetenzen der beiden, sondern weil das Team für die beiden Spitzenkandidaten Baerbock und Habeck vorher ganz offenkundig zu klein war. Die Oppositionspartei, die bei der vergangenen Bundestagswahl 8,9 Prozent errang, hat einen entsprechend kleinen Etat - im Wahlkampf etwa ein Viertel dessen, was der SPD zur Verfügung steht. Strukturelle Überlastung - das jedenfalls hört man immer auf die Frage, wie die Baerbock-Schnitzer bei der ansonsten recht professionell agierenden Partei passieren konnten.
Michael Scharfschwerdt ist ein Baerbock-Fan: Der PR-Experte kennt sie lange und glaubt an ihr politisches Talent.
Der 47-jährige, aus dem Saarland stammende Marketing- und Kommunikationschef einer international tätigen Unternehmensberatung hat eine langjährige grüne Vergangenheit in der Parteispitze - und ist schon lange ein ausgewiesener Baerbock-Fan. Mit ihr und ihrem Ehemann und PR-Berater Daniel Holefleisch, der ebenfalls länger in der Parteizentrale arbeitete, verbindet ihn eine Freundschaft.
Dass Scharfschwerdt für Baerbock Wahlkampf machen wollte, stand nach Darstellung der Grünen länger fest - unabhängig von der Frage, ob sie Kanzlerkandidatin wird. Die Partei und er legen Wert darauf, das zu betonen - offenbar um den Eindruck eines nachträglich hinzugezogenen Retters oder Strategiewechsels nach Baerbocks verstolpertem Auftakt als Kanzlerkandidatin zu vermeiden.
Mit dem studierten Diplom-Geografen holte sie sich einen ausgewiesenen Kampagnenexperten zurück: Bei der ersten Kanzlerkandidatur von Angela Merkel 2005 hatte er den Wahlkampf des damaligen Grünen-Spitzenkandidaten und Außenministers Fischer betreut. Zischen 2001 und 2013 fungierte er unter anderem als Büroleiter beim damaligen Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer und später bei dem langjährigen Partei-Vorsitzenden Cem Özdemir, aber auch als PR-Chef beim Bundesvorstand und Koordinator der deutschen Grünen-Abgeordneten im Europaparlament.
2013 wechselte der Marathonläufer zu Joschka Fischers Berliner Beratungsfirma, später dann zu seinem heutigen Arbeitgeber, von dem er sich für den Baerbock-Wahlkampf beurlauben ließ. Dort verantwortet er die Tour der Kandidatin, die - bis auf wenige Termine mit Habeck gemeinsam - als Kanzlerkandidatin allein mit kleinem Team und Tourbus in diesen Wochen von Stadt zu Stadt zieht.
Andreas Kappler
Den ehemaligen RTL-Fernsehjournalisten Andreas Kappler kennt Baerbock bereits aus ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete, als er Sprecher der Fraktionsspitze war - und vertraut ihm. Auch er kennt die Parteizentrale aus voriger Tätigkeit von innen, war ab 2012 Pressesprecher bei der damaligen Parteispitze Claudia Roth und Cem Özdemir. Ab 2014 war er als Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion bei den Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter tätig - er kennt damit sehr verschiedene Temperamente der grünen Spitzenpolitik sehr genau.
Andreas Kappler (rechts im Bild) begleitete bereits 2017 als Wahlkampf-Sprecher das Spitzenduo Göring-Eckardt und Özdemir.
Im Wahlkampf 2017 wurde Kappler zum alleinzuständigen Wahlkampfsprecher für das damalige grüne Spitzenduo Göring-Eckardt und Özdemir berufen - und galt lange als "deren Mann". Auch die Jamaika-Sondierungen im Anschluss begleitete der 42-jährige Politik- und Medienprofi mit.
Diesmal ist Kappler nicht alleine als Wahlkampfsprecher: Er unterstützt die bereits 2018 in die Berliner Zentrale geholte Parteistrategin und -Sprecherin Nicola Kabel. Der studierte Rechtswissenschaftler wurde bereits in einer Phase in die Parteizentrale geholt, als noch unklar war, ob Baerbock oder Habeck sich für das Kanzleramt bewerben. Während Kabel sich eher um gedruckte Interviews kümmert, verantwortet Kappler Fernseh-Auftritte und den Baerbock-Tourbus. Damit agiert Kappler im Wahlkampf deutlich näher an der Kanzlerkandidatin als Kabel.
Nicola Kabel verantwortet zwar die Wahlkampf-Strategie des Spitzen-Duos mit, gilt im grünen Lager aber als enge oder gar engste politische Habeck-Vertraute. Die ehemalige Journalistin war bereits seine Sprecherin in Habecks Zeit als Minister Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein.
Weshalb sie als unmittelbares Profi-Umfeld Baerbocks, die sich selbst gegenüber dem Tagesspiegel" als "Türsteherin und Korrektorin" beschreibt - und ähnlich wie Baerbock gern alles unter Kontrolle hat, bei Buch und Lebenslauf Baerbocks nicht im Vorfeld genauer hinschaute, bleibt eine offene Frage.
David Simon
Wesentlicher inhaltlicher Impulsgeber und Unterstützer bei Baerbocks Reden, aber auch bei Baerbocks in die Kritik geratenem Buch "Jetzt" ist David Simon. Er ist ebenfalls langjährig erfahren - und war schon bei Bütikofer Büroleiter, später bei Özdemir in der Parteizentrale. Damals galt er dem "Tagesspiegel" als rechte Hand von Özdemir.
Vordenker und inhaltlicher Impulsgeber: David Simon unterstützte Baerbock auch bei ihrem in die Kritik geratenen Buch "Jetzt".
Der Mittvierziger wurde zur heißen Wahlkampfphase auf einer zusätzlich geschaffenen Referenten-Stelle für Reden und strategische Planung ins Büro der beiden Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten geholt. Zuvor war Simon Büroleiter von Göring-Eckardt, der Fraktionschefin im Deutschen Bundestag.
Eine weitere für Baerbock wichtige Vordenkerin ist die Soziologin Melanie Haas, die wie Kabel seit 2018 in der Parteizentrale mitarbeitet - als Leiterin der Abteilung "Programm und Analyse".
Robert Heinrich
Ebenfalls beiden Spitzenkandidaten dient Robert Heinrich seit 2018 als ihr gemeinsamer Büroleiter. Er gilt in der Partei als kluger Kopf - und gehört zu dem kleinen verschwiegenen Kreis, der an der Entscheidung, Baerbock zur Kanzlerkandidatin zu machen, beteiligt war. Auch in ihm haben die beiden einen erfahrenen Wahlkampfmanager der Grünen: Ab 2003 war er 15 Jahre lang als Kommunikationschef des Bundesvorstands tätig - auch er zählt damit auch zu den Vertrauten des langjährigen Bundesvorsitzenden Özdemir.
Robert Heinrich gehört zu dem kleinen verschwiegenen Kreis, der an der Entscheidung, Baerbock zur Kanzlerkandidatin zu machen, beteiligt war.
Zu seinen Aufgaben gehört auch - gemeinsam mit Simon - die politische Koordination zwischen Fraktion und Vorstand. Vor der aktuellsten personellen Wahlkampf-Verstärkung in der grünen Parteizentrale liefen bei dem gebürtigen Leipziger sämtliche Fäden im Management von Baerbock und Habeck zusammen, sei es terminlich, sei es inhaltlich - eigentlich kaum zu schaffen. Ihm Nahestehende beschreiben seine Position damit als vollkommen überlastet - möglicherweise rutschten auch auf seinem Tisch deswegen genauere Überprüfungen von Baerbocks Lebenslauf durch.
Michael Kellner
Parteimanager, Spin-Doktor, langjähriger Chef der politischen Strategie der Bundespartei - für den kampagnenerfahrenen politischen Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner lassen sich viele Titel finden - seine Professionalität wird auch von politischen Konkurrenten etwa im Adenauer-Haus respektiert. Er ist ein wichtiges politisches Scharnier für Baerbock Richtung Bundestag wie auch zur grünen Basis.
Erfahrener Stratege und Parteimanager: Michael Kellner ist zunehmend auch mit eigener politischer Agenda unterwegs.
Seit 2013 agiert er in diesem Amt und hat es zunehmend als politisch aktive anstatt nur dienende Rolle für sich ausgelegt. Zupass kam ihm eine hohe zusätzliche Medienpräsenz in Generalsekretärsrunden, da die Grünen dieses Parteiamt nicht haben. Ob der Entstehungsprozess zum neuen grünen Grundsatzprogramm oder mehrere Wahlkämpfe - alles wurde von Kellner, der dem linken Flügel der Partei zugerechnet wird, mitgesteuert.
Nun strebt der aus Thüringen stammende 44-Jährige ein eigenes Bundestagsmandat an: Ihm werden darüber hinaus Ambitionen auf Fraktionsvorsitz oder gar ein Regierungsamt nachgesagt - sollten die Grünen an der nächsten Regierung beteiligt sein. Die Bewerbung für ein Bundestagsmandat kostet Zeit: Eventuell liegt darin der Grund, dass er sich nicht im Detail um das vorsorgliche Durchforsten von Baerbocks Lebenslauf oder Buch-Genese kümmern konnte. In seinem Zuständigkeitsbereich hätte auch das gelegen - manche Parteikollegen wundern sich darüber, dass er bei der Suche nach Verantwortung selten in den Blick gerät.