Bund-Länder-Finanzen Eine Frage von Geld und Gerechtigkeit

Stand: 16.06.2016 05:00 Uhr

Finanzausgleich, Solidarpakt, Flüchtlingskosten - seit langem ringen Bund und Länder um eine Reform ihrer komplexen Finanzbeziehungen. Vor dem heutigen Treffen mit Kanzlerin Merkel drücken die Länderchefs aufs Tempo. Die wichtigsten Aspekte im Überblick.

Von Julian Heißler, ARD-aktuell

Wenn sich heute die 16 Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen, wird auch ein Thema wieder auf die Tagesordnung kommen, um das Bund und Länder mittlerweile seit Jahren ringen: die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.

Eigentlich wollte die Bundesregierung das Thema längst abgearbeitet haben. In den Koalitionsverhandlungen hatten Union und SPD sich noch auf die Einsetzung einer Kommission geeinigt, die bis Mitte der Legislaturperiode Vorschläge zur Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen erarbeiten sollte. Der Stichtag liegt nun schon mehr als ein Jahr zurück - und die angekündigte Kommission hat es nie gegeben. An eine schnelle Lösung glaubt derzeit jedoch niemand.

"Haushaltsbeschlüsse auf Sand gebaut"

Stattdessen ringen Bund und Länder um eine große Lösung. Doch die Situation ist verfahren. Die Verhandlungen sind überfrachtet. Bund und Länder streiten nicht nur über die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, sondern auch über die Zukunft des Solidarpakts, des Solidaritätszuschlags, um die Zuständigkeit für den Betrieb der Autobahnen, die Verteilung der Flüchtlingskosten, die Zukunft der Erbschaftssteuer und die zukünftige Ausgestaltung der Steuerverwaltung.

Angesichts dieses langen Katalogs fordern Haushaltspolitiker von Schwarz-Rot endlich einen Durchbruch. "Eine Große Koalition beinhaltet immer das Versprechen, die großen Themen und Probleme eines Landes zu meistern", so Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. "Der Bundestag und die Länderparlamente beraten ab dem Herbst über Ausgaben und Einnahmen der kommenden Jahre. Ohne Klärung in diesen grundsätzlichen Fragen sind diese Haushaltsbeschlüsse der Parlamente auf Sand gebaut."

Bayern zahlt, Berlin kassiert

Im Mittelpunkt des Streits stehen die künftige Mitfinanzierung der Länder durch den Bund und Ausgleichszahlungen zwischen den Ländern. 2019 läuft der Länderfinanzausgleich in seiner bisherigen Form aus. Durch diesen Mechanismus werden finanzielle Mittel zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander umverteilt, um die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen auszugleichen. So will es das Grundgesetz.

Im aktuellen System findet im ersten Schritt der sogenannte Umsatzsteuervorausgleich statt. Die Länder erhalten entsprechend ihrer Einwohnerzahl vom Bund Geld aus dem Topf der Umsatzsteuereinnahmen. Im zweiten Schritt überweisen die reicheren Länder aus ihren Haushalten Geld, das den ärmeren Ländern zu Gute kommt, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Im vergangenen Jahr landeten so mehr als 9,62 Milliarden Euro im Umverteilungstopf. Den Großteil zahlte Bayern ein (5,46 Milliarden Euro), gefolgt von Baden-Württemberg (2,34 Milliarden Euro), Hessen (1,72 Milliarden Euro) und Hamburg (103 Millionen Euro). Größter Profiteur war Berlin. Die Hauptstadt erhielt 3,62 Milliarden Euro aus dem Umverteilungstopf.

Kompromiss der Länder

Mit diesem Zustand wollen sich die Geberländer nicht länger abfinden. Bayern und Hessen zogen vor einigen Jahren sogar vor das Bundesverfassungsgericht, um den Länderfinanzausgleich in seiner bisherigen Form zu Fall zu bringen. Mittlerweile liegt die Klage auf Eis, denn im Herbst konnten sich Geber- und Nehmerländer auf einen gemeinsamen Kompromissvorschlag einigen. Eine der Kernforderungen: Der Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form soll abgeschafft werden.

Die Länder wünschen sich stattdessen, dass der Bund die Umsatzsteuereinnahmen künftig modifiziert durch Zu- und Abschläge entsprechend der Finanzkraft an die Länder verteilt. Ein Ausgleich über die Landeshaushalte wäre dann nicht mehr nötig. Das Problem: Der Bund lehnt diesen Vorschlag als intransparent ab.

Wer zahlt, wer bekommt?

"Die Länder wollen durch ihren Vorschlag das ohnehin sehr komplizierte System des Bund-Länder-Finanzausgleichs noch komplizierter machen", so Finanzminister Wolfgang Schäuble. Man könne dabei nicht mehr erkennen, wer etwas bezahle und wer etwas bekomme. Außerdem würde dann der Bund für den Finanzausgleich sorgen und nicht mehr die Länder. "Das ist gegen den Geist des Grundgesetzes", so der Minister. Im Bundesfinanzministerium will man lieber den Umsatzsteuervorausgleich abschaffen und die Unterschiede in der Finanzkraft ausschließlich über die Länderhaushalte ausgleichen.

Die Ministerpräsidenten beharren jedoch auf ihrem Konzept: "Die Länder haben ihren Kompromissvorschlag zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen gemacht und sind damit der Forderung des Bundes nachgekommen, sich zu einigen", so Bremens Bürgermeister Carsten Sieling, amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, zu tagesschau.de. "Die Länder werden am Donnerstag weiter auf eine Verständigung drängen, auch um gemeinsam Handlungsfähigkeit zu beweisen. Die Bundesregierung ist gefordert, sich in dieser zentralen finanzpolitischen Frage endlich zu sortieren."

Zukunft des Solidarpakts

Schäuble sperrt sich jedoch auch deshalb gegen den Länder-Vorschlag, da er den Bundeshaushalt stärker belasten würde. Die Ministerpräsidenten fordern ab 2020 eine jährliche Kompensationszahlung von 9,7 Milliarden Euro vom Bund. Der Bundesfinanzminister hat bisher jedoch nur 8,5 Milliarden Euro angeboten. In seinem Ministerium befürchtet man, dass die Zahlungen an die Länder in den folgenden Jahren stark ansteigen könnten. Auch deshalb ist ein Kompromiss derzeit nicht in Sicht.

Erschwert werden die Verhandlungen auch dadurch, dass 2019 nicht nur das Gesetz zum Länderfinanzausgleich ausläuft, sondern auch der Solidarpakt II. Dabei handelt es sich um ein Hilfsprogramm für die neuen Bundesländer und Berlin mit einem Volumen von 156,5 Milliarden Euro.

Soli-Zuschlag und Solidarpakt

Das Wort Solidarität steckt in beidem: im Solidaritätszuschlag ("Soli") und im Solidarpakt Ost. Aber beides hat miteinander nur wenig zu tun.

Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 als befristeter Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben - und 1993 zunächst abgeschafft. 1995 führte ihn die schwarz-gelbe Koalition aber wieder ein, diesmal unbefristet. Seit 1998 liegt der Satz bei 5,5 Prozent. Was nach Solidarität für den Osten klingt, hängt damit aber nur indirekt zusammen. Denn der Soli fließt in den Bundesetat und ist nicht zweckgebunden.

Unabhängig vom Solidaritätszuschlag verständigten sich Bund und Länder 1993 darauf, Ostdeutschland mit einem Solidarpakt direkt zu fördern. Aus dem Solidarpakt I erhielten Berlin und die Ost-Länder etwa 95 Milliarden Euro. Der Solidarpakt II begann 2005 und endet 2019. Den neuen Ländern wurden darin weitere rund 156 Milliarden Euro zugesagt.

Kein Konzept, keine Lösung

Noch ist nicht klar, wie die Lücke gefüllt werden soll, die das Auslaufen des Solidarpakts in die Haushalte der Länder reißen wird. Es sieht jedoch ganz danach aus, dass strukturschwache Regionen auch nach 2019 noch finanzielle Unterstützung vom Bund erhalten werden - womöglich jedoch nicht mehr allein in Ostdeutschland. Ab 2019 dürfe "nicht mehr nach Himmelsrichtungen" gefördert werden, forderte etwa Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Deutschland brauche "ein gesamtdeutsches Fördersystem, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land auch nach Auslaufen des Solidarpaktes 2019 stärkt." Ein fertiges Konzept oder gar eine ausverhandelte Lösung gibt es jedoch noch nicht.

Dabei drängt die Zeit. Sollten Bund und Länder bei der Neuordnung ihrer Finanzbeziehung tatsächlich eine große Lösung vereinbaren, muss das Grundgesetz geändert werden. Die dafür notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat sind angesichts der übergroßen Mehrheit von Schwarz-Rot im Parlament und des Kompromisses der Landesregierungen derzeit in greifbarer Nähe. Nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2017 könnte es schon ganz anders aussehen. Trotzdem macht sich Finanzminister Schäuble kaum noch Hoffnungen, dass die Reform in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird.

"Hopp oder Topp"

Das wollen die Ministerpräsidenten nicht akzeptieren: "Die Bundesländer drängen nach wie vor auf eine Lösung, zumal sie sich, trotz unterschiedlicher Interessen, bereits Ende vergangenen Jahres auf einen tragfähigen Kompromiss geeinigt haben", so Hessens Regierungschef Volker Bouffier zu tagesschau.de. "Eine Entscheidung jetzt zu vertagen bis nach der Bundestagswahl, halte ich im Sinne des Gesamtinteresses nicht für zielführend."

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller drückt aufs Tempo: "Hopp oder Topp - die Länder haben vorgelegt und der Bund muss sich entscheiden. Ist er bereit endlich ein großes und für das gesamte Land wichtige Thema abzuräumen oder nicht? Ich erwarte eine Aussage dazu am Donnerstag. Wir brauchen eine klare Verabredung zu einem Entscheidungsverfahren - mit Enddatum im Herbst diesen Jahres", so Müller zu tagesschau.de.

Damit ist klar, dass der Streit wieder einmal vertagt wird. Ganz ohne Fortschritte dürfte das Treffen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten jedoch nicht zu Ende gehen. Zumindest bei der Frage der Aufteilung der Flüchtlingskosten zeichnet sich ein Kompromiss ab. Es könnte ein kleiner Schritt auf dem Weg zur großen Lösung sein.

T. Geers, DLF, 16.06.2016 10:21 Uhr