Erste Sitzung des Bundestags Stühlerücken im Parlament
Vier Wochen nach der Bundestagswahl kommt nun der Bundestag erstmals zusammen. Es wird voller als zuvor, aber die Regierungsbank bleibt leer. Was passiert heute - und ist Kanzlerin Merkel nun entlassen?
Der neue Bundestag tritt heute zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Das ist der spätestmögliche Termin. Das Grundgesetz schreibt vor, dass das Parlament spätestens am 30. Tag nach der Wahl erstmals tagen muss - sie fand am 26. September statt. Seitdem wurde im Parlament geschraubt, montiert, verkabelt. Eine Rekordzahl von 736 Abgeordneten muss untergebracht werden. Weil das festverbaute Mobiliar im Plenarsaal an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen ist, mussten zusätzlich zu den markanten blauen Sesseln weitere rund drei Dutzend Konferenzstühle aufgestellt werden. Und auch sonst ist einiges anders heute im Vergleich zur konstituierenden Sitzung 2017. Ein Überblick.
Was passiert heute?
Um 8.30 Uhr gibt es zunächst einen ökumenischen Gottesdienst in der Berliner St. Marienkirche. Um 11 Uhr beginnt dann die Sitzung des Bundestages im Reichstagsgebäude. An beiden Veranstaltungen nimmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teil.
Und auch wenn Schäuble künftig kein Bundestagspräsident mehr sein wird, darf er als Alterspräsident heute die konstituierende Sitzung eröffnen - und sich mit einer letzten Rede aus der ersten Reihe im Bundestag verabschieden. Er gehört dem Parlament seit 1972 an. Bis 2017 galt die Regelung, dass der an Lebensjahren älteste Abgeordnete die Funktion des Alterspräsidenten übernimmt. Weil damals befürchtet worden war, der Posten könnte an die AfD gehen, wurde die Regelung geändert. Das wirkt sich in diesem Jahr aus: Denn der älteste Abgeordnete im neuen Bundestag ist nicht der 79-jährige Schäuble, sondern der 80-jährige Ex-AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Der Alterspräsident ernennt zunächst einige Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern, danach werden alle Mitglieder des Bundestages namentlich aufgerufen.
Welche Corona-Vorkehrungen gibt es?
Der scheidende Bundestagspräsident Schäuble hat angeordnet, dass am Dienstag die 3-G-Regel gilt - in den Plenarsaal eingelassen werden sollen also nur Abgeordnete, die genesen, vollständig geimpft oder aktuell getestet sind. Wer seinen Immunisierungsstatus nicht preisgeben und sich auch nicht testen lassen möchten, muss auf den Tribünen des Plenarsaals sitzen - unter Wahrung des Abstandsgebots. Dort soll eine Wahlkabine sowie eine Abstimmungsurne zur Verfügung stehen. Auch die Möglichkeit zu Redebeiträgen sei dort gewährleistet. AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla wird an der heutigen ersten Sitzung gar nicht teilnehmen können. Er hat sich mit dem Coronavirus infiziert und ist in häuslicher Quarantäne. Chrupalla hatte stets offen gelassen, ob er geimpft ist.
Wie läuft die Wahl des neuen Bundestagspräsidiums ab?
Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit werden der Parlamentspräsident sowie die Stellvertreter und Schriftführer gewählt. Den Präsidenten oder die Präsidentin stellt traditionell die größte Fraktion - das ist diesmal die SPD. Die Sozialdemokraten haben für den Posten ihre bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas vorgeschlagen.
Außerdem steht jeder Fraktion einer der Vizeposten im Präsidium zu. Für die SPD wird wohl Aydan Özoguz kandidieren. Claudia Roth tritt erneut für die Grünen an, bei der FDP Wolfgang Kubicki und für die Linke will erneut Petra Pau kandidieren. Bei der Union lief es zunächst auf eine Kampfabstimmung zwischen mehreren Interessenten hinaus, erst in quasi letzter Minute einigte sich die Fraktion auf Yvonne Magwas.
Die AfD-Fraktion schickt den Thüringer Abgeordneten Michael Kaufmann für einen Vizeposten ins Rennen. Die Chancen für seine Wahl sind jedoch gering. In der vergangenen Legislaturperiode hatte die AfD-Fraktion mehrmals Kandidaten aufgestellt, die aber allesamt die nötige Mehrheit verfehlten. Das dürfte auch diesmal wieder so sein. Somit dürfte es wieder fünf Bundestagsvizepräsidentinnen und -präsidenten geben - von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken.
Wie groß ist der neue Bundestag?
Der 20. Bundestag verfügt mit 736 Abgeordneten über mehr Mitglieder als alle seine Vorgänger. Die größte Fraktion stellt die SPD mit 206 Mitgliedern, gefolgt von der CDU/CSU mit 197. An dritter Stelle stehen die Grünen, die über 118 Abgeordnete verfügen. Dach kommen die FDP mit 92, die AfD mit 82 und die Linkspartei mit 39 Mitgliedern. Hinzu kommen zwei fraktionslose Abgeordnete: Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband und der AfD-Politiker Matthias Helferich.
Der Plenarsaal muss aufwendig umgebaut werden.
Hauptsächlich sitzen weiterhin Männer im Bundestag. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten stieg mit der Bundestagswahl nur leicht - von 30,7 auf nun 34,7 Prozent. Der Anteil der Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit mindestens einem Elternteil, der nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde, wächst von rund acht auf 11,3 Prozent. Auch ist der neue Bundestag jünger geworden: Das Durchschnittsalter liegt jetzt bei 47,3 Jahren. Nach der Bundestagswahl 2017 lag es bei 49,4 Jahren. Jeder vierte Abgeordnete ist jetzt jünger als 40 Jahre (26,2 Prozent). Nach der Wahl 2017 war es nicht mal jeder Fünfte (17,9 Prozent). Jüngste Abgeordnete ist mit 23 Jahren die Grünen-Politikerin Emilia Fester. Erstmals zogen zwei offen lebende Transmenschen in den Bundestag ein: die Grünen-Politikerin Nyke Slawik (27) und ihre Parteikollegin Tessa Ganserer (44).
Wer sitzt wo im neuen Bundestag?
Bisher sitzen im Plenarsaal - vom Bundestagspräsidium aus gesehen - die AfD ganz rechts, daneben die FDP, dann die Union, die Grünen, die SPD und dann die Linkspartei. Die Liberalen drängten auf eine Änderung, weil sie nicht mehr neben der AfD sitzen wollen. Aber die Union sträubt sich dagegen, sie will nicht nach rechts rücken und damit den Platz in der Mitte frei machen. Der Streit ist auch ein symbolischer. Zumal dann die Parteien der möglichen Ampel-Koalition en bloc zusammensitzen würden. Vorerst bleibt wohl auch alles, wie es ist. Sobald aber die neu gewählten Abgeordneten ihre Arbeit aufgenommen haben, können sie einen anderen Sitzplan beschließen. Vorausgesetzt, es findet sich eine Mehrheit.
Sind Kanzlerin Merkel und ihre Minister dann entlassen?
Zwar händigt Steinmeier am späten Dienstagnachmittag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Mitgliedern der Regierung ihre Entlassungsurkunden aus. Das Kabinett bleibt allerdings geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung gewählt ist. Und das kann auch schon mal dauern: Seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 dauerte die Bildung einer neuen Regierung zwischen 30 und 171 Tagen.
Wer sitzt auf der Regierungsbank?
Niemand. Sie bleibt leer. Eine neue Regierung gibt es ja noch nicht und die Amtszeit der alten ist zu Ende. Merkel und ihre scheidenden Minister und Ministerinnen werden daher auf der Besucher- oder Ehrentribüne Platz nehmen. Auch ausscheidende Abgeordnete sitzen hier. Olaf Scholz wird hier übrigens nicht zu finden sein. Er sitzt als Abgeordneter in den Reihen der SPD-Fraktion.