Bundeswehr in Afghanistan Rückzug vom Rückzug
Eigentlich sollte die Zahl der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ab 2016 weiter sinken. Doch die kurzzeitige Besetzung von Kundus durch die Taliban hat zu einem Umdenken geführt. Nun wollen auch die Bündnispartner ihre Truppen im bisherigen Umfang am Hindukusch belassen.
Soldaten mit Sturmgewehren patrouillieren durch die Julius-Leber-Kaserne im Berliner Stadtteil Tegel. Die Sicherheitsvorkehrungen - in Zeiten von Terrorgefahr deutlich erhöht. Und bestimmt ist es auch kein Zufall, dass sich die Verteidigungsminister der 22 im Norden Afghanistans engagierten Nationen an diesem Tag in der schmucklosen Kaserne gleich neben dem Flughafen und nicht im Verteidigungsministerium im Berliner Stadtzentrum treffen: kurze Wege, leicht abzusichern.
Für Ursula von der Leyen ist es ein wichtiges Treffen, geht es doch um Deutschlands Engagement am Hindukusch. Das soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht wie ursprünglich geplant ab 2016 verringert, sondern sogar auf maximal 980 Soldaten leicht ausgeweitet werden. Doch damit die Verlängerung der NATO-geführten Mission "Resolute Support" sinnvoll ist, müssen sich auch die anderen 21 Nationen dazu entscheiden, ihre Soldaten mindestens im gleichen Umfang wie bisher in Afghanistans Norden zu belassen.
Präsenz in Afghanistan stärken
Diese Zusage hat von der Leyen nun bekommen: "Wir sind übereingekommen, dass wir gemeinsam unseren Beitrag fortsetzen wollen, um die Sicherheitsarchitektur in Afghanistan zu stärken und weiter auszubauen", verkündete die Ministerin. Die NATO und ihre Verbündeten wollen demnach die Präsenz in der Fläche beibehalten und sich nicht wie ursprünglich geplant auf Kabul zurückziehen und der afghanischen Armee und Polizei allein die Sicherheitsverantwortung überlassen. Kommende Woche werden die Außenminister der Militärallianz in Brüssel den formalen Beschluss dazu fällen.
Im Feldlager im nordafghanischen Masar-i-Sharif sind derzeit noch rund 1500 Soldaten stationiert. Die Bundeswehr, die dort mit etwa 750 Soldaten präsent ist, führt den Einsatz zur Beratung der einheimischen Sicherheitskräfte in der Region. Und diese Beratung ist offenbar weiterhin dringend erforderlich. Als Ende September die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt Kundus eroberten, lag das auch daran, dass viele Soldaten der afghanische Armee nicht auf ihren Posten waren. Erst mit massiver Unterstützung durch die USA konnten die Taliban wieder aus Kundus vertrieben werden.
Truppenkontingent nicht einmal voll erfüllt
Auch die NATO und ihre Verbündeten waren vom massiven Vormarsch der Aufständischen überrascht. Ohnehin hatten sich offenbar schon etliche der am Hindukusch engagierten Nationen auf ein baldiges Ende der Mission eingestellt und ihre zugesagten Truppenkontingente gar nicht mehr voll erfüllt. So beklagte der deutsche NATO-General Hans-Lothar Domröse, der als Befehlshaber des Joint Forces Command Brunssum für den Afghanistan-Einsatz zuständig ist, in einem Interview mit dem MDR erst kürzlich, dass rund 2000 Stellen in der Mission nicht mit Soldaten besetzt seien. Auch von der Leyen sieht Nachbesserungsbedarf. "Wir müssen Lehren aus Kundus ziehen", sagt sie und, dass der "Feinschliff" der Mission angepasst werden müssen. Gleichzeitig wolle man "ein starkes Signal der Verlässlichkeit an die afghanische Bevölkerung senden, dass wir an ihrer Seite stehen".
Bleibeperspektive für afghanische Flüchtlinge
Dieses Signal hat auch handfeste innenpolitische Gründe. Denn von der Leyen weiß, dass immer mehr junge Afghanen aus Mangel an Perspektiven und aus Sorge um die schlechte Sicherheitslage ihrer Heimat den Rücken kehren - mit Ziel Deutschland. Die Afghanen stellen nach den Syrern aktuell die größte Gruppe von Flüchtlingen, die in die Bundesrepublik kommen. Erst vor einer guten Woche startet das Auswärtige Amt deshalb eine "Informationskampagne", die die Menschen am Hindukusch zum Bleiben bewegen soll - mit Plakaten auf denen Sätze wie dieser stehen: "Glauben Sie nicht an Gerüchte und bewusst gestreute Falschinformationen über das angeblich so einfache Leben in Deutschland."
Auch die afghanische Regierung möchte die Flucht gerade vieler junger Menschen ins Ausland möglichst verhindern. Denn genau die braucht man dringend zum Wiederaufbau des Landes. Von der Leyen verwies heute darauf, dass auch die afghanische Seite ihre Hausaufgaben machen muss und mahnte politische Reformen an. Für eine dauerhafte Konsolidierung in Afghanistan brauche es zudem den "Willen zur Versöhnung im Land selbst".