Bildung in der Corona-Krise Forderung nach vollständiger Schulöffnung
In einigen Bundesländern läuft der normale Schulbetrieb wieder an. Das sei zu früh, warnen Pädagogen. Das Kinderhilfswerk ist dafür, ansonsten drohe eine "verlorene Generation".
Der Streit über die Wiederöffnung von Schulen und Kindergärten in der Corona-Krise verschärft sich. Das Deutsche Kinderhilfswerk warnte vor gravierenden Folgen für Kinder und Jugendliche, wenn Schulen und Kitas nicht bald wieder vollständig öffnen sollten. "Die Normalisierung des Schul- und Kitabetriebes muss jetzt zügig von statten gehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Kollateralschäden auswachsen", sagte Präsident Thomas Krüger der Zeitung "Die Welt".
Ökonomen zufolge werde die junge Generation auf dem Arbeitsmarkt mit größeren Nachteilen konfrontiert sein, so Krüger: "Es droht eine Generation, die Corona ausbaden muss." Die Jugend stehe heute vor enormen Herausforderungen. "Wir bekommen es hier, wenn wir nicht schnell den Weg der vollständigen Öffnung von Schulen und Kitas gehen, womöglich mit einer verlorenen Generation zu tun."
"Völlig neue Hygiene-Konzepte"
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält solche Pläne für verfrüht. Die GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke sieht vor allem die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften gefährdet.
Auch der Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hält nichts davon, den Schulbetrieb bereits jetzt wieder voll aufzunehmen. "Das setzt nämlich ein völlig neues Hygiene- und Gesundheitsschutzkonzept voraus, das man nicht so einfach aus dem Hut zaubern kann", sagte er der "Passauer Neuen Presse".
Dann würden Atemschutzmasken im Unterricht, umfassende Testungen, kleine Lerngruppen und regelmäßiges Lüften notwendig. Trotzdem bleibe ein schlechtes Gefühl, "ob wir mit einer kompletten Schulöffnung nicht doch in ein riskantes Experiment mit der Gesundheit unserer Kinder und Lehrer gehen, dessen Ausgang niemand kennt".
Wie ansteckend sind Kinder?
Diesen Bedenken teilt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. "Die Wahrheit ist, dass wir aktuell eine Studienlage haben, die keine echten Schlüsse zulässt, inwieweit Kinder zur Verbreitung des Virus beitragen", sagte er der "Augsburger Zeitung".
Spahn wies darauf hin, dass es fast täglich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Virus gebe. Das zwinge auch die Politik, Einschätzungen zu verändern und Maßnahmen anzupassen. "Besonders schwierig sind die Bereiche Kindergarten und Schule", sagte er.
Schrittweise Rückkehr
Obwohl es bisher keine gesicherten Erkenntnisse über die Ansteckungsgefahr gibt, die von Kindern ausgeht, planen immer mehr Bundesländer inzwischen eine schrittweise Rückkehr zum Regelbetrieb.
Schleswig-Holstein zum Beispiel hatte am Mittwoch entschieden, dass dort alle Grundschüler schon vom 8. Juni an wieder zur Schule gehen sollen - und zwar ohne Abstandsregeln. In Nordrhein-Westfalen sollen alle Schüler ab Ende Mai tageweise Präsenzunterricht erhalten.
Ähnlich weit gediehen sind die Pläne auch in Ostdeutschland. In Thüringen sollen spätestens nach Pfingsten wieder alle Schüler am Präsenzunterricht teilnehmen können. Im Nachbarland Sachsen sollen Kinder und Jugendliche zumindest teilweise wieder an den Schulen unterrichtet werden. Vergangene Woche sprach sich Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dafür aus, dass nach den Sommerferien wieder regulärer Unterricht stattfinden soll.