Streeck zur Corona-Strategie "Über Gebote reden, nicht über Verbote"
Virologe Streeck setzt auf die Eigenverantwortung der Menschen. Gebote funktionierten bei Corona besser als Verbote, sagt er bei tagesschau24. Er warnt: Bis es einen Impfstoff gibt, könnten auch noch Jahre vergehen.
tagesschau24: Italien geht in Sachen Schnelltests voran. Wie lange wird es noch dauern, bis wir in Deutschland Schnelltests zur Verfügung haben?
Hendrik Streeck: Es wird in vielen Labors im Moment getestet und ausprobiert, wie sicher diese Schnelltests sind. Ich denke, dass wir die relativ schnell einsetzen werden.
Die Kliniker sind natürlich sehr daran interessiert, auch für Patienten schnell entscheiden zu können, ob eine Corona-Infektionen vorliegt, damit sie sehen können, ob Patienten isoliert werden müssen oder nicht. Daher glaube ich, dass man bereits in zwei Wochen Schnelltests zumindest in kleiner Stückzahl anwenden kann - und zum Ende des Monats dann flächendeckend.
Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Eines seiner Spezialgebiete ist die HIV-Forschung. Während der Corona-Pandemie wurde er vor allem durch eine Studie bekannt, die die Ausbreitung des Virus im Kreis Heinsberg untersuchte.
Schnelltest vor Krankenhäusern und Altenheimen
tagesschau24: Die Teststrategie für Deutschland soll in Kürze stehen. Wie könnte die aussehen?
Streeck: Vor allem geht es darum, beim Screening die Antigen-Tests (Anmerkung: medizinische Bezeichnung der Schnelltests) anzuwenden - um damit zum Beispiel vor Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern schnell zu testen, ob eine Person infektiös ist oder nicht.
Will man wirklich eine Covid-19-Erkrankung ausschließen - also wenn jemand schwer krank ist und man ausschließen möchte, dass eine Coronavirus-Infektion vorliegt - dann muss man immer noch auf den PCR-Test warten, weil der sehr viel sensitiver und damit auch besser ist, um eine Infektion auszuschließen.
tagesschau24: Wenn nicht genügend Tests in Deutschland zur Verfügung stünden, wer sollte bevorzugt werden?
Streeck: Bei den Schnelltests steht meiner Meinung nach im Vordergrund, dass wir die Menschen vor einer Infektion schützen, die ein hohes Risiko haben. Man könnte diese Tests also zum Beispiel vor dem Krankenhaus oder am Einlass von Pflege- und Altenheimen einsetzen, damit Patienten dort trotzdem noch Besucher haben können. Das ist kein Test, der als erstes für Flugzeuge oder Stadien zugelassen werden sollte.
"Es ist leider ein Marathon"
tagesschau24: Die Zahl der Menschen, die sich in Deutschland mit Corona infizieren, steigt täglich. Gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen, die Corona ignorant gegenüberstehen. Wie kommt man aus dieser Situation raus?
Streeck: Das Problem ist, dass eine Pandemie nur gemeinsam bewältigt werden kann. Da geht es nicht nur um eine Solidarität von allen Menschen in Deutschland, sondern auch weltweit und vor allem auch innerhalb Europas.
Das Wichtigste hierbei ist in meinen Augen die Kommunikation. Dass jeder Mensch versteht, dass man Eigenverantwortung übernehmen und achtsam füreinander sein muss. Es ist leider ein Marathon, es ist kein kurzes Sprint. Daher ist es umso wichtiger, dass wir über Gebote reden und nicht über Verbote und Verordnungen. Das funktioniert viel besser. Wir wissen auch aus anderen Pandemien und anderen Erkrankungen, dass solche Strategien besser funktionieren als wenn man das über Verordnungen regelt.
Unklarheiten beim Impfstoff
tagesschau24: Verhält sich da die Bundesregierung in ihren Augen richtig?
Streeck: In meinen Augen ist es wichtig, dass wir Lösungen finden. Zu einem guten Krisenmanagement gehören für mich pragmatische Lösungen. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr darüber diskutiert wird, wie man bestimmte Bereiche wieder öffnen kann, wie man bestimmte Dinge wieder zulassen kann - ohne zu sagen, "Wir fahren erstmal wieder gegen Null".
tagesschau24: Die ganze Welt wartet auf einen Impfstoff. Wie lange wird das dauern? Was denken Sie?
Streeck: Das kann man wirklich nicht seriös vorhersagen. Das kann sein, dass der erste Impfstoff wunderbar funktioniert. Es kann aber genauso sein, dass es einige Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte dauert.
Es gibt viele Erreger wie die Tuberkulose oder Malaria, wo wir immer noch keinen Impfstoff haben, obwohl Millionen Menschen jedes Jahr daran sterben. Gerade in der dritten und letzten Phase der Entwicklung, in der sich neue Impfstoffe derzeit befinden, kann sehr viel passieren und können sehr viele unvorhergesehene Ereignisse auftreten, die zeigen, dass der Impfstoff nicht brauchbar ist. Wie gut ein Impfstoff ist, können wir erst sagen, wenn diese Phase abgeschlossen ist.
tagesschau24: Das heißt, Corona wird uns noch lange beschäftigen, oder?
Streeck: Ja, auch wenn wir einen Impfstoff haben, wird uns das Virus wahrscheinlich ein Leben lang begleiten. Wir haben es erst ein einziges Mal geschafft, ein Virus wirklich komplett auszulöschen, so dass die Menschheit keine Probleme mehr hat. Wir haben mit dem Impfstoff die Möglichkeit, es zu kontrollieren. Aber wir werden immer wieder auch Infektionen damit sehen.
Das Interview führte Kirsten Gerhard, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert. Die vollständige Fassung finden Sie als Video auf dieser Seite.