Merkel zur Corona-Krise "Wir müssen Zeit gewinnen"
Erstmals hat sich Bundeskanzlerin Merkel ausführlich zur Corona-Krise geäußert. Sie betonte, oberstes Ziel sei es, die Ausbreitung zu verlangsamen. Nur so könne eine Überlastung des Gesundheitssystem verhindert werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es in der Coronakrise als zentrale Aufgabe bezeichnet, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Wichtig sei es, Zeit zu gewinnen. Das Vorgehen im Kampf gegen das Virus müsse davon bestimmt sein, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
"Das Virus ist in Europa angelangt, es ist da. Das müssen wir alle verstehen", sagte Merkel in Berlin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dem Chef des Robert Koch-Institus, Lothar Wieler.
Ja, räumte die Kanzlerin ein, die Ratschläge zum Umgang mit dem Virus veränderten sich regelmäßig. Aber das liege in der Natur der Sache: dem fortschreitendem Erkenntnisstand. Derzeit gebe es noch keine Therapie und keinen Impfstoff. Und angesichts der Prognose von Experten, dass langfristig 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infiziert würden, sei es umso wichtiger, die Ausbreitung so lange wie möglich zu verzögern.
"Eben nicht egal, was wir tun"
"Es ist eben nicht egal, was wir tun. Es ist nicht vergeblich. Es ist nicht umsonst", sagte Merkel. Es gehe um den Schutz der älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, bei denen Infektionen einen schwereren Verlauf haben können.
Die Ausmaße der Corona-Krise seien noch nicht absehbar, warnte Merkel. Noch sei unbekannt, was für Immunitäten in der Bevölkerung aufgebaut werden. Im Vergleich zur Finanzkrise 2008 gelte: "Wir müssen mit viel mehr Unbekannten noch agieren, deshalb ist die Situation schon noch eine andere."
Solidarität mit Italien
Merkel informierte auch über die Video-Konferenz des Europäischen Rats vom Vorabend. Sie betonte, es gehe nicht darum, sich in Europa voneinander abzuschotten. Vielmehr müsse nun gemeinsam gegen die Ausbreitung des Virus vorgegangen werden. Die Staats- und Regierungschefs der EU hätten vereinbart, sowohl die Beihilferegeln wie auch den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Eurozone flexibel zu halten. "Wir sagen Italien selbstverständlich nicht, dass es nicht in sein Gesundheitssystem investieren kann", sagte Merkel mit Verweis auf die Schuldenregel. Jedes europäische Land müsse nun seinen Beitrag leisten.
Der italienischen Bevölkerung wünschte Merkel Kraft für die kommenden Tage und Wochen. Dort gehe die Regierung derzeit hart vor, das sei aber nötig. Sie hoffe, das die strengen Maßnahmen "eine Wende zum Besseren bringen".
Das Virus gehe auch an der Wirtschaft nicht spurlos vorbei, sagte Merkel. Die Bundesregierung habe daher schnell gehandelt. Sie werde noch in dieser Woche Liquiditätshilfen für Unternehmen bereitstellen, insbesondere über die staatliche Förderbank KfW. Auch die Finanzierung des am Dienstag von der EU-Kommission angekündigten 25-Milliarden-Pakets zur Bekämpfung des Coronavirus werde an Deutschland nicht scheitern.
Zudem zeigte sich Merkel offen für eine Abkehr von der Schwarzen Null in der Haushaltspolitik. Ihre Priorität liege auf der Bekämpfung des Virus. Erst "am Ende" werde geschaut, "was bedeutet das für unseren Haushalt", sagte sie. Mehreren Ökonomen hatten in einem Strategiepapier eine Abkehr der strikten Sparpolitik gefordert.
Die Bürgerinnen und Bürger bat Merkel um Unterstützung im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. "Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen."
Spahn: Wir werden verzichten müssen
Auch Gesundheitsminister Spahn sagte, oberstes Ziel bleibe es, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Er appellierte an die Bevölkerung, bei privaten Aktivitäten zum Verzicht bereit zu sein. Er verstehe, dass beispielsweise Fußballfans das Herz blute, wenn sie Spiele nicht im Stadion verfolgen könnten. Aber im Sinne des Schutzes der Allgemeinheit sei dies nicht vermeidbar.
In diesem Zusammenhang betonte Spahn, dass die Empfehlung zur Absage von Großveranstaltungen kein Freifahrtschein für kleinere Veranstaltungen sei. Das heiße nicht, "dass alles unter 1000 Teilnehmern per se stattfinden sollte", sagte Spahn. Es müsse auch da mit Augenmaß entschieden werden. Die Tanzveranstaltung und das Rockkonzert seien etwas anderes als eine Semesterprüfung an der Universität, bei der die Teilnehmer weit auseinander säßen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und Lothar Wieler (l.), dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts.
RKI-Chef Wieler betonte, es sei wichtig im Kampf gegen das Coronavirus systematisch vorzugehen. Auch hierzulande würden die Fallzahlen noch steigen: "Natürlich werden auch bei uns noch mehr Menschen sterben."
Beratungen mit Arbeitgebern
Am Freitagabend will Merkel will mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über weitere Maßnahmen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise beraten. An dem Treffen sollen auch Arbeitsminister Hubertus Heil und Finanzminister Olaf Scholz teilnehmen. Das Bundeskabinett hatte am Dienstag ein Gesetz auf den Weg gebracht, das eine massive Ausweitung der Kurzarbeit vorsieht.
Immer mehr Bundesländer befolgen inzwischen die Empfehlung des Krisenstabs, Großveranstaltungen abzusagen und Versammlungen einzuschränken. So wird die Bundesligapartie zwischen Union Berlin und Bayern München am Samstagabend nach Angaben der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci nun doch ohne Zuschauer stattfinden. Auch Frankfurt wird gegen Mönchengladbach in einem leeren Stadion spielen.
Die Kultusminister der Bundesländer wollen sich bei ihrer Sitzung am Donnerstag und Freitag auf eine bundesweite Notfallstrategie für die Abiturprüfungen verständigen. Es werde darüber beraten, wie das Abitur "unter diesen Bedingungen stattfinden kann", sagte KMK-Präsidentin Stefanie Hubig den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Von den Notfallplanungen betroffen seien sowohl die schriftlichen Prüfungen als auch das mündliche Abitur.
Mehr als 1200 Infektionen
Zuvor hatte die Bundespolizei bereits angekündigt, ihre Kontrollen an den Grenzen verstärken. So soll eine weitere Verbreitung des Virus verlangsamt werden. Der Krisenstab der Bundesregierung teilte mit, die Polizei werde die Kontrollen "insbesondere an den Südgrenzen noch einmal intensivieren".
Laut Robert Koch Institut haben sich bislang knapp 1300 Menschen in Deutschland mit dem Virus angesteckt. Die amerikanische John-Hopkins University zählt dagegen mehr als 1600 Infektionen. In Deutschland gibt es bislang drei Tote durch die Krankheit. In Italien - dem am stärksten betroffenen Land in Europa - infizierten sich mehr als 10.000 Menschen von denen etwa 630 verstarben.