ARD-DeutschlandTrend April 2010 Desaströse Werte für die FDP
Will man für den neuen DeutschlandTrend einen klaren Verlierer benennen, ist das die FDP. Nur noch acht Prozent würden heute die Liberalen wählen. In Sachen Wirtschafts-, Steuer- und Bildungspolitik trauen ihnen immer weniger etwas zu, und Guido Westerwelle ist der mit Abstand unbeliebteste Minister im Kabinett. Auch Kanzlerin Merkel fällt in der Politiker-Rangliste weiter zurück.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Für die schwarz-gelbe Regierungskoalition zeigen weiterhin alle demoskopischen Pfeile nach unten. Die Bemühungen von Kanzlerin Merkel, in Sachen Euro Härte und Entschlossenheit zu zeigen, und die Signale aus der FDP, den Streit um die Steuerreform entschärfen zu wollen, haben den Abschwung bisher nicht gebremst. Allerdings sind das noch recht junge Botschaften, deren demoskopische Wirkungen erst mit Verzögerung zu messen sind.
Infratest dimap hat in unserem Auftrag am Montag und Dienstag dieser Woche 1500 Wahlberechtigte gefragt und verglichen mit Anfang März für Union und FDP Verluste gemessen. Die CDU/CSU gibt einen Punkt ab auf nun 35 Prozent. Und die FDP büßt zwei Punkte ein und fällt auf acht Prozent zurück. Von der Schwäche der Regierung profitiert die SPD, die drei Punkte hinzugewinnt und nun bei 28 Prozent steht. Die Grünen sind stabil bei 14 Prozent, die Linke verliert einen Punkt und rangiert bei zehn Prozent.
Wähler kehren der FDP den Rücken
Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme dieser Woche, aber im Vergleich der letzten Wochen und Monate gibt es klare und langfristige Trends. Hauptveränderung seit der letzten Bundestagswahl ist die Abwanderung von FDP-Wählern. Vor allem traditionelle Unionswähler, die im September aus Enttäuschung über CDU und CSU ihre Zweitstimme der FDP gegeben hatten, haben längst den Rückweg angetreten. Während die FDP ihren Stimmenanteil gegenüber ihrem Wahlergebnis fast halbiert hat, rangiert die Union immerhin noch gut einen Punkt über ihrem Resultat vom 27. September.
Genau die gleiche Entwicklung spiegelt sich in der Bewertung der Parteikompetenzen wieder. Der FDP war es bis zum letzten Sommer gelungen, kontinuierlich auf den Feldern der Wirtschafts-, Steuer- und Bildungspolitik Kompetenz aufzubauen. Kurz vor der Wahl nannten sie immerhin 14 Prozent als die Partei mit der höchsten Wirtschaftskompetenz und 13 Prozent als die Partei mit der höchsten Bildungskompetenz. Die Werte haben sich nun auf sieben beziehungsweise sechs Prozent halbiert.
Noch etwas schneller ging der Absturz in der Steuerpolitik: Noch im Dezember war die FDP für 15 Prozent die Partei mit der besten Steuerpolitik, jetzt nennen sie nur noch sieben Prozent der Deutschen. Völlig unabhängig vom Erscheinungsbild der Bundesregierung ist es der CDU/CSU durch alle Krisen hindurch gelungen, sich in den Köpfen der Wähler als die Partei zu etablieren, die am ehesten die deutsche Wirtschaft voran bringt. Das sahen im September 47 Prozent der Befragten so, diese Woche sind es 49 Prozent.
Und auch über zwei weitere Parteien lässt das Kompetenzprofil interessante Aussagen zu: Es belegt zum Beispiel, dass die Zugewinne der SPD in den letzten Wochen nicht selbst erarbeitet sind. In der Kernkompetenz "soziale Gerechtigkeit" lag die SPD trotz miserablen Wahlergebnisses im September bei 44 Prozent, gegenwärtig steht sie nur bei 37 Prozent. Von ihren politischen Konzepten her halten die Wählerinnen und Wähler die SPD heute nicht für stärker als im letzten Herbst.
Grüne scheinen von AKW-Debatte zu profitieren
Erstaunlich ist der Zugewinn der Grünen auf dem Feld der Energiepolitik. Noch im Dezember nannten nur 16 Prozent die Grünen als die Partei, die am besten die deutsche Energieversorgung sichern kann. Nun ist der Wert auf 28 Prozent gestiegen. Sehr wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass die Debatte um die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke ein Thema zurück auf die Tagesordnung gebracht hat, das viele Menschen längst vergessen hatten. Und obwohl Umweltminister Norbert Röttgen die Debatte angestoßen hat, profitiert vor allem die Partei der Grünen.
Breite Mehrheit für Atomausstieg
Denn die Stimmung in der Bevölkerung ist eindeutig: 65 Prozent der Befragten sprechen sich im Grundsatz für den Ausstieg aus der Atomenergie aus. Das ist bei dieser Frage seit Jahren der höchste Wert. Wir haben differenzierter nachgefragt, wann dieser Atomausstieg erfolgen soll. Sechs Prozent wünschen den sofortigen Ausstieg, weitere 48 Prozent wollen das Festhalten am bestehenden Atomkompromiss, also den Ausstieg bis 2021. Das ist zusammen genommen bereits eine gesellschaftliche Mehrheit. Weitere 29 Prozent präferieren den Vorschlag von Umweltminister Röttgen, die Laufzeit um etwa 10 Jahre auf 2030 zu verlängern. Der von einigen Unions- und FDP-Politikern, vor allem von Unions-Fraktionschef Volker Kauder vertretende Vorschlag, die Laufzeit darüber hinaus zu verlängern und eventuell erst nach 2050 abzuschalten, findet kaum Zustimmung: Nur 13 Prozent unterstützen ihn.
Besonders spannend ist allerdings, wie breit der Rückhalt für Röttgen innerhalb der eigenen Anhängerschaft ist. 49 Prozent der Unionswähler finden den von ihm vorgeschlagenen Weg des Ausstiegs bis 2030 richtig. Weitere 30 Prozent wollen einen früheren oder sofortigen Ausstieg. Selbst im Unionslager plädieren nur 21 Prozent für eine deutliche Verlängerung der Laufzeiten oder für den gänzlichen Verzicht auf den Atomausstieg. In jedem Fall zeigen die Ergebnisse, dass dieses Thema nach wie vor an den Nerv vieler Menschen rührt und bestens geeignet ist für die Mobilisierung vor allem grüner Wähler.
Hohe Unzufriedenheit mit Bundesregierung
Was das Image der Bundesregierung, der Kanzlerin und ihrer Minister betrifft, ist eine Trendumkehr ebenfalls nicht in Sicht - im Gegenteil, es geht weiter bergab. Nach 27 Prozent Anfang des Monats sind nun nur 23 Prozent mit der Arbeit der Bundesregierung insgesamt zufrieden. Die deutlichsten Verluste erzielt dabei Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Diskussion über die Luftschläge von Kundus im Bundestags-Untersuchungsausschuss hat sein Image gewaltig ramponiert. Nur noch 55 Prozent zeigen sich mit seiner politischen Arbeit zufrieden - das ist ein Rückgang von 14 Punkten innerhalb eines Monats. Damit fällt er von der Spitze der Politikerrangliste auf Rang zwei zurück - gleichauf mit Kanzlerin Angela Merkel, ebenfalls 55 Prozent Zustimmung, die "nur 7 Punkte" verliert.
Noch geringer ist der Verlust für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Sie büßt zwei Punkte ein und kann mit 56 Prozent Zustimmung zum ersten Mal die Spitze übernehmen. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble, der mit 53 Prozent einen unveränderten Wert erzielt, gehört jetzt eindeutig zur Spitzengruppe.
Schlusslicht Westerwelle
Auffällig ist der unterschiedliche Trend bei zwei FDP-Ministern, die im Vormonat ans untere Ende der Tabelle zurückgefallen waren. Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle verliert noch einmal zwei Punkte und erzielt unter allen abgefragten Politikern und Politikerinnen mit nur 23 Prozent den schlechtesten Wert. Mit seinen scharfen Tönen vor allem in Sachen Hartz IV ist es ihm ganz offenkundig weder gelungen, das eigene Image zu verbessern, noch den Abwärtstrend der FDP wirksam zu bremsen. Einziger echter Gewinner im Kabinett ist hingegen FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler, der in einem Monat 10 Punkte zulegt und nun immerhin 34 Prozent Zustimmung erhält. Seine Bemühungen, die Kosten für Medikamente innerhalb des Gesundheitssystem zu begrenzen, werden offensichtlich honoriert.
Lieber Schulden tilgen als Steuern senken
Kernproblem der regierenden Koalition bleiben die offenkundigen Meinungsverschiedenheiten in zentralen politischen Fragen. Vor allem die von FDP und CSU forcierten Pläne, im kommenden Jahr die Einkommensteuer zu senken, waren in den Vormonaten auf große Vorbehalte gestoßen. Konstant 58 Prozent der Befragten hatten solche Überlegungen abgelehnt. Nun haben die beiden kleineren Koalitionspartner signalisiert, dass sie sich auch eine Verschiebung dieser Maßnahmen auf Anfang 2012 vorstellen könnten. Populärer werden sie allerdings damit nicht. Wenn es Anfang 2012 finanziellen Spielraum im Bundeshaushalt geben sollte, wäre eine große Mehrheit der Befragten von 63 Prozent dafür, zuallererst Schulden zu tilgen. 23 Prozent fänden es am sinnvollsten, das Geld für wichtige staatliche Aufgaben auszugeben. Nur für zwölf Prozent wäre die oberste Priorität, die Steuern zu senken.
Wenig Beifall für Farbenspiele
Gerade dieses Thema hat dazu beigetragen, dass die FDP an Zustimmung verliert und das schwarz-gelbe Lager insgesamt so schwach dasteht, wie seit Jahren nicht mehr. Zusammengenommen kommen die Parteien auf 43 Prozent. Das ist im ARD-DeutschlandTrend der geringste Wert seit Oktober 2006. Rechnerische Mehrheit gäbe es hingegen für ein schwarz-grünes Bündnis, über das in den letzten Wochen viel diskutiert wurde, und für eine rot-rot-grüne Koalition.
Beide Perspektiven lösen aber bei den Befragten nicht gerade Begeisterung aus. Am besten schneidet noch Schwarz-Grün ab. 40 Prozent der Befragten glauben, ein solches Bündnis könne Deutschland in wichtigen politischen Fragen nach vorn bringen. Und 37 Prozent wünschen sich mehr schwarz-grüne Koalitionen auf Länderebene. Erstaunlich hingegen ist die breite Zustimmung im Grünen-Lager. Hier liegen die entsprechenden Zustimmungswerte immerhin bei 64 und 58 Prozent. Die Unionsanhänger hingegen sind gespalten. 47 beziehungsweise 48 Prozent sehen die schwarz-grüne Perspektive auf Bundes- und Landesebene positiv. Unter dem Strich herrscht bei allen Befragten die Überzeugung vor, dass Union und Grüne nicht gut zusammenpassen.
Deutlich verhaltener ist das Urteil über rot-rot-grüne Bündnisse. 28 Prozent der Befragten glauben, eine solche Koalition könne das Land in wichtigen politischen Fragen nach vorn bringen. Und 31 Prozent wünschen sich solche Koalitionen in den Bundesländern. Überwiegend skeptisch sind hier die SPD-Anhänger, die Grünen-Anhänger geben sich gespalten, während die Anhänger der Linken fast einhellig eine solche Regierungskonstellation befürworten.
Mildes Urteil für Helmut Kohl
Insgesamt zeichnet der DeutschlandTrend im Frühjahr 2010, fünf Wochen vor der wichtigen Wahl in Nordrhein-Westfalen, ein sehr graues Stimmungsbild. Die Regierungspolitik mit wenig Unterstützung, aber verlockende Alternativen sehen die Wähler weder personell noch in anderen Regierungsbündnissen. Da passt es ins Bild, dass sich viele Deutsche mit großem Interesse einem Politiker zuwenden, den sie 1998 mit großer Mehrheit abgewählt und zwei Jahre später wegen seines gesetzeswidrigen Verhaltens im Umgang mit Parteispenden kritisiert hatten: Ex-Kanzler Helmut Kohl wird am Samstag 80 Jahre alt. Und im Angesicht dieses Geburtstages fällt das Urteil über seine Person plötzlich sehr mild aus.
59 Prozent der Befragten finden rückblickend, dass Kohl ein guter Kanzler war. Für jemanden, der polarisiert und das Land gespalten hat wie wenige andere, ist das ein erstaunlicher Wert. Allerdings liegt Kohl damit nicht nur deutlich hinter der Amtsinhaberin Angela Merkel, über die 67 Prozent ein positives Urteil abgeben. Auch die Ex-Kanzler Willy Brandt (68 Prozent) und Helmut Schmidt (75 Prozent) werden deutlich besser bewertet. Einen allerdings lässt auch Kohl weit hinter sich: Gerhard Schröder erhält rückblickend nur von 47 Prozent gute Noten.
Hohe Zufriedenheit mit Barack Obama
Eine Persönlichkeit allerdings, die niemals auf einem deutschen Wahlzettel stehen wird, schlägt sie alle: Der amerikanische Präsident Barack Obama. Obwohl sein erstes Amtsjahr geprägt war in den USA von Schwierigkeiten und Enttäuschungen, sind 88 Prozent der Deutschen mit seiner Regierungsarbeit zufrieden - acht Punkte mehr als vor einem Jahr.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1000 Befragte
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 29. bis 30. März 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte