ARD-DeutschlandTrend Mehrheit gegen starke NATO-Präsenz
Die Deutschen lehnen mehrheitlich eine stärkere NATO-Militärpräsenz in Osteuropa ab. Zugleich schätzt eine große Mehrheit im ARD-DeutschlandTrend die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EU - gerade in Krisenzeiten.
Die Diskussion ist Jahrzehnte alt und plötzlich wieder brandaktuell: Soll das vereinte Deutschland wirklich tief verwurzelt im westlichen Bündnis sein? Oder ist es schon aufgrund seiner geografischen Lage so etwas wie die Brücke zwischen Ost und West und sollte deshalb auch politisch eine mittlere Position einnehmen? Die Hälfte der Deutschen wünscht sich genau das: 49 Prozent der Befragten im DeutschlandTrend wollen eine Bundesrepublik, die eine "mittlere Position zwischen dem westlichen Bündnis und Russland" einnimmt. 45 Prozent sehen sie als festen Teil des Westens.
Kein Wunder, dass in dieser Frage Meinungsunterschiede zwischen Ost - und Westdeutschland deutlich hervortreten: Unter den Befragten aus den östlichen Bundesländern sehen nur 31 Prozent unser Land "fest im westlichen Bündnis", 60 Prozent hingegen in einer "mittleren Position".
Und auch wenn der DeutschlandTrend im März gezeigt hat, wie groß das Misstrauen gegenüber Russland und wie tief die Abneigung gegen dessen Präsidenten Wladimir Putin in Deutschland ist: Die NATO-Entscheidung, mehr militärische Präsenz in den östlichen Mitgliedsstaaten zu zeigen, wird mehrheitlich abgelehnt. Nur 40 Prozent finden die stärkere Sicherung des Luftraums durch Flugzeuge der NATO-Länder richtig. 53 Prozent lehnen diesen Weg ab.
Während das militärische Zusammenrücken in der NATO sehr kritisch beurteilt wird, schätzen die Deutschen die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union in Krisenzeiten mehr als sonst. Zwei Drittel (65 Prozent) wollen generell mehr gemeinsame Politik der EU-Länder. 70 Prozent wünschen sich sogar, dass die EU "außenpolitisch stärker in Erscheinung" tritt. Der Konflikt mit Russland habe die EU wieder stärker zusammengeschweißt, urteilen 62 Prozent. Denn: "Durch die EU leben wir in Europa sicherer", finden 72 Prozent der Befragten.
Kritik an der Europäischen Union gibt es gleichwohl: Sie schaffe es auch in schwierigen Situationen häufig nicht, mit einer Stimme zu sprechen, kritisieren 71 Prozent.
Mehr Interesse dank Personalisierung?
Was das für die Beteiligung an der Europawahl Ende Mai bedeutet, lässt sich mit demoskopischen Mitteln nicht abschätzen. Bei den letzten beiden Wahlen hatte sie mit rund 43 Prozent einen Tiefststand. Es wird spannend zu beobachten, ob die gewachsene Bedeutung der EU Einfluss auf diese Zahlen hat. Und ob vielleicht auch die Personalisierung dieser Wahl das Interesse steigert. Denn zum ersten Mal treten europaweit zwei Spitzenkandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission an. Im direkten Vergleich liegt der deutsche SPD-Politiker und Parlamentspräsident Martin Schulz nur knapp vor dem christdemokratischen luxemburgischen Ex-Ministerpräsident Jean-Claude Juncker mit 29 Prozent.
Schulz ist in Deutschland der populärere Politiker, die Union aber ganz unbestritten die stärkste politische Kraft. In der Sonntagsfrage zur Europawahl liegt sie stabil bei 40 Prozent. Die SPD holt auf, gewinnt zwei Punkte gegenüber dem Vormonat, erreicht aber auch damit nur 28 Prozent. Die Grünen geben nach auf 9 Prozent (-2), die Linke ist stabil bei 7 Prozent. Die AfD steht bei 6 Prozent (+1) und die FDP bei 3 Prozent (-1). Für weitere kleinere Parteien lässt sich mit den Mitteln einer Telefonumfrage kein verlässlicher Wert angeben.
Der Aufwind der Sozialdemokraten dürfte mit dem innenpolitischen Thema dieser Woche zusammenhängen: SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles hat am Mittwoch den Mindestlohn durch das Bundeskabinett gebracht, und am Donnerstag wurde ihre Rentenreform zum ersten Mal im Bundestag beraten. Dazu gehört die von der Union durchgesetzte bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ältere Mütter, vor allem aber die Rente mit 63 für langjährig Versicherte. Experten kritisieren die Vorhaben wegen ihrer hohen Kosten, die Befragten spenden Applaus: 73 Prozent finden, dass die Rentenpolitik der Bundesregierung alles in allem in die richtige Richtung geht. Besonders breit ist der Rückhalt bei den SPD-Anhängern mit 80 Prozent. Eine wichtige Erklärung dafür: Die meisten Deutschen würden selbst gern eines Tages früher in Rente gehen als im Moment gesetzlich vorgesehen, 60 Prozent gaben das bei unserer Umfrage an, nur 6 Prozent möchten länger arbeiten als gesetzlich festgelegt.
Ganz offensichtlich haben vor allem die jüngeren Befragten eine schwierige Abwägung zu treffen. Auf der einen Seite ist ihnen bewusst, dass die Rente mit 63 eine Belohnung für Ältere ist und den Spielraum für ihre eigenen Renten verkleinert. Auf der anderen Seite beurteilen gerade die 30 bis 50-jährigen die Rente mit 67 besonders negativ und schätzen die symbolische Wirkung der neuen Regelung deshalb hoch ein. Für die SPD ist das ein Überlebensthema. Ihre katastrophalen Wahlergebnisse 2009 und 2013 haben im Kern mit der Rentenpolitik zu tun. Nahles versucht gegenwärtig gutzumachen, was die Partei ihrem Vorgänger Franz Müntefering nie verziehen hat.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl/ Dual Frame
(Relation Festnetz-/Mobilfunknummern 70:30)
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)***
Fallzahl: 1006 Befragte
Erhebungszeitraum: 31. März bis 01. April 2014
Sonntagsfrage Deutschland und Sonntagsfrage Europawahl: 1.506 Befragte
Erhebungszeitraum Sonntagsfragen: 31. März bis 02. April 2014
Zusatzfragen Lufthansa-Streik: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 01. und 02. April 2014
Zusatzfrage Tarifeinheit: 500 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. April 2014
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
*bei einem Anteilswert von 5 Prozent **bei einem Anteilswert von 50 Prozent
*** Aus statistischen und methodischen Gründen lassen sich bei der Telefonumfrage sehr kleine Parteien nicht sinnvoll ausweisen. Infratest dimap verfolgt deshalb die Praxis, Parteien, deren Anteil lediglich bei zwei Prozent oder darunter vermutet wird, nicht aufzuführen.