ARD-DeutschlandTrend November 2007 Raus aus dem Tal der Langeweile
Für Kurt Beck und seine SPD hat sich die Hinwendung zu sozialen Themen gelohnt: Die Partei legt in der Sonntagsfrage drei Punkte zu. Beck selbst wird ebenfalls populärer - der Abstand zu Kanzlerin Merkel bleibt aber groß. Weiter zugelegt in der Beliebtheitsskala hat Becks Widersacher Franz Müntefering. Gute Nachrichten auch für die GDL: Eine Mehrheit unterstützt ihre Forderungen.
Die Rechnung von Parteichef Kurt Beck ist aufgegangen. Der Streit um populäre Themen wie das Arbeitslosengeld I hat die SPD wiederbelebt. Sie ist raus aus dem Tal der Langeweile und macht zum ersten Mal seit langem in der Sonntagsfrage einen richtigen Satz nach oben. In nur einem Monat gewinnt sie drei Punkte hinzu und steigt von 27 auf 30 Prozent – kein Traumwert, aber der Trend zeigt nach Monaten der Talfahrt wieder nach oben. Während CDU/CSU mit 40 Prozent und die FDP mit 8 Prozent unverändert bleiben, holt die SPD ihre Punkte im eigenen Lager. Die Grünen geben nach auf 8 Prozent (-2) und die Linke auf 10 Prozent (-1).
Ob der neue Schwung der Sozialdemokraten nur ein Strohfeuer nach ihrem Parteitag ist, der viel Aufmerksamkeit gefunden hat, oder ob Beck mit der Neupositionierung wirklich eine neue Basis gelegt hat, lässt sich nicht vorhersagen. Aber immerhin profitiert die SPD diesmal nicht von den Schwächen anderer, sondern hat in den letzten Wochen systematisch Positionen besetzt, die in der Bevölkerung Beifall finden. Schon der ARD-DeutschlandTrend im Oktober hatte gezeigt, dass sich 85 Prozent der Deutschen eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I wünschten und die Beck-Idee damit weitaus mehr Unterstützung fand als etwa die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze.
SPD spricht dem Volk aus der Seele
Auch die Ankündigung auf dem SPD-Parteitag, die Rente mit 67 wenigstens in Teilen zu überdenken, spricht dem Volk aus der Seele. Ganze 6 Prozent wollen, dass es bei der beschlossenen Erhöhung des Rentenalters bleibt. 51 Prozent fordern hingegen, diese Regelung komplett zu kippen, weitere 42 Prozent wünschen sich eine frühere Rente für besonders belastete Berufsgruppen – etwa die vielzitierten Dachdecker. Nimmt man die beiden Gruppen zusammen, kommt man auf 93 Prozent Zustimmung für Korrekturen an der Rente mit 67. Wer also zweieinhalb Monate vor wichtigen Landtagswahlen ein zugkräftiges Thema sucht, ist hier gut aufgehoben.
Gelungen ist der SPD in den letzten vier Wochen die Schärfung ihrer sozialen Profilkanten. Das war auch dringend nötig, denn ihr Image als Arbeitnehmerpartei ist grundlegend gefährdet. Auf die Frage, welche Partei sich am ehesten um die Interessen der Arbeitnehmer kümmert, antworten 36 Prozent "Union" und nur 33 Prozent "SPD". Hier muss die SPD noch etwas tun. Anders übrigens sieht es bei den Interessen der Arbeitslosen aus. Hier nennen 33 Prozent die SPD, 21 Prozent die Union. Bei beiden Fragen spielt die Linkspartei keine nennenswerte Rolle.
Aufwärtstrend für Beck, Müntefering legt weiter zu
Auch Kurt Beck selbst gewinnt langsam Boden unter den Füßen. Nach den katastrophalen Werten der Vormonate gehen bei ihm die Pfeile nach oben – wenn auch auf niedrigstem Niveau. Unter den vier starken Männern der Sozialdemokratie genießt er mit 44 Prozent die niedrigste Zustimmung für seine Arbeit, hat aber gegenüber dem Vormonat drei Punkte zugelegt.
"Gewinner des Monats" ist sein Widersacher Franz Müntefering, der jetzt bei 53 Prozent (+5) steht – ganz knapp hinter Finanzminister Steinbrück (54 Prozent). Aber auf Augenhöhe mit der Kanzlerin steht weiterhin nur Außenminister Steinmeier. Mit 67 Prozent Zustimmung liegt er nur noch knapp hinter Angela Merkel (72 Prozent). Beck ist also gegenwärtig sicher nicht der erfolgversprechendste Kanzlerkandidat, den seine Partei hat. Wenn man den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen könnte, sprächen sich "nur" noch 59 Prozent (-8) für Angela Merkel und 25 Prozent (+6) für Kurt Beck aus.
Die Kanzlerin gilt verglichen mit Beck als sympathischer (53 zu 26), glaubwürdiger (51 zu 19) und verlässlicher (49 zu 15). Aber schon beim Thema Bürgernähe sieht Beck gar nicht schlecht aus. 35 Prozent glauben die Kanzlerin sei besser mit den Problemen der Menschen vertraut, immerhin 34 Prozent nennen hier Beck, der ja immer für sich reklamiert, "nah an den Menschen" zu sein. Ihm wird ganz eindeutig die Kompetenz auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit zugebilligt, dafür liegt die Wirtschaftskompetenz bei der CDU-Kanzlerin – irgendwie ist alles fast wie früher.
Wählergewinn dank Tempo 130
Auffällig ist, dass unter der Stärke der SPD nicht die Union, kaum die Linke, sondern vor allem die Partei der Grünen leidet. Ganz offensichtlich spielt das Thema Tempo 130 auf deutschen Autobahnen hier eine große Rolle. Auf dem SPD-Parteitag hat sich die Basis hier gegen die Parteiführung durchgesetzt und damit gutes Gespür bewiesen. Der öffentliche Wind hat sich nämlich gedreht. 50 Prozent der Deutschen wollen jetzt Tempo 130, nur noch 48 Prozent lehnen es ab. Während die Grünen-Anhänger fast komplett dafür sind, ist aber auch unter den SPD-Anhängern die Mehrheit mit 60 Prozent ziemlich deutlich.
Und noch etwas könnte für die SPD wichtig werden: Anders als bei den meisten anderen Klima- und Umweltthemen überlässt die Kanzlerin bei Tempo 130 der SPD gern das Feld. Endlich mal eine Debatte, in der die Koalitionspartner verschiedene Positionen besetzen und damit auch für die Wähler wieder unterscheidbarer werden. Und aus SPD-Sicht endlich wieder ein Thema, mit dem sie ins grüne Lager winken kann, ohne dass Angela Merkel das vorher auch schon getan hätte.
Merkel bleibt trotz Verlusten sehr populär
Die Kanzlerin übrigens schwebt nicht mehr ganz so hoch im Popularitätshimmel wie in den letzten Monaten. Was auch deshalb Beachtung verdient, weil der ARD-DeutschlandTrend diese Woche mit dem glanzvollen Merkel-Staatsbesuch in Indien zusammenfiel. In den letzten Monaten hatten ihr außenpolitische Auftritte immer spürbar geholfen. Diese Woche verliert sie fünf Punkte – 72 Prozent sind aber immer noch mit ihrer Arbeit zufrieden. Nur Frank-Walter Steinmeier spielt mit 67 Prozent noch in ihrer Klasse.
Sympathie für die GDL
Bei allen Veränderungen der politischen Stimmung in diesem Monat bleibt die Unterstützung für die Streikpläne der Lokführer ziemlich stabil. Dass hier von unterschiedlichen Instituten in den letzten Tagen sehr unterschiedliche Zahlen auf dem Markt waren, hat wohl mit sehr unterschiedlichen Frageformulierungen zu tun.
Für den ARD-DeutschlandTrend haben wir zu diesem Thema in den letzten Wochen stets gleichlautend gefragt und können damit die Entwicklung der Stimmung gut nachvollziehen. In unserem Fragebogen steht: "Die Lokführer haben in den letzten Wochen mehrfach gestreikt, um einen eigenständigen Tarifvertrag und Lohnerhöhungen durchzusetzen. Haben Sie Verständnis für diese Streiks oder haben Sie kein Verständnis dafür?" Anfang Oktober hatten 57 Prozent solches Verständnis, bis Mitte Oktober war es auf 64 Prozent gestiegen und hat nun mit 66 Prozent noch mal einen höheren Wert erreicht. Die Rückendeckung für die Streikenden in der Bevölkerung ist also stabil.
Das gilt sowohl für die Bevölkerung insgesamt als auch für die Gruppe der regelmäßigen Bahnfahrer, die tatsächlich von den bisherigen Streiks betroffen waren. Bei ihnen ist das Verständnis für die Streikenden sogar noch ein bisschen ausgeprägter. Genauso eindeutig ist übrigens, was die Deutschen von den Arbeitsrichtern erwarten, die sich ja auch am Freitag wieder mit der Rechtmäßigkeit von Streiks beschäftigen. Fast zwei Drittel finden, dass es nicht Sache der Gerichte ist, darüber zu entscheiden, ob Arbeitnehmer streiken dürfen.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 29. bis 30. Oktober 2007
Sonntagsfrage: 29. bis 31. Oktober 2007
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte