Streit um Corona-Maßnahmen Dürr fordert Länder zum Handeln auf
Wie gut ist Deutschland auf den Corona-Herbst vorbereitet? Angesichts steigender Infektionszahlen drängen die Länder auf schnelle bundesweite Regelungen. FDP-Politiker Dürr forderte sie auf, selbst aktiv zu werden.
Angesichts steigender Infektionszahlen und der befürchteten Corona-Herbstwelle hat FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr den Ländern vorgeworfen, immer nur nach dem Bund zu rufen, aber selbst zu wenig zur Vorbeugung zu tun.
"Die rufen oft nach freiheitseinschränkenden Maßnahmen, aber bereiten sich selbst organisatorisch nicht auf die Herbst-/Winterwelle vor", sagte Dürr im Deutschlandfunk. "Ich erwarte eine organisatorische Vorbereitung ohne jede Freiheitseinschränkung zunächst mal, und dann schauen wir uns an, was ist noch nötig, was müssen wir dem einzelnen Bürger noch abverlangen." Dürr gab zu: "Corona ist sehr gefährlich, und Corona bleibt wahrscheinlich für immer." Und: "Es wird wieder eine Welle geben."
Dürr lehnt Lockdowns ab
Die Bundesländer drängen deshalb darauf, frühzeitig vor dem Herbst bundesweite Regelungen zu treffen, nachdem die meisten auf Drängen der FDP ausgelaufen waren und auch der weiter geltende Rechtsstatus für Basis-Schutzmaßnahmen Mitte September ausläuft. Dürr sieht dafür aber keinen großen Zeitdruck, weil dies sehr schnell geschehen könnte. "Der Bundestag hat das innerhalb weniger Tage geschafft, solche Maßnahmen zu beschließen." Man sei auch jetzt schon vorbereitet, "selbst im Sommer, wenn was passieren würde."
Bestimmte Maßnahmen schloss Dürr aber aus: Lockdowns, Ausgangssperren oder Schulschließungen dürften "kein Instrument mehr sein, das wir flächendeckend nutzen".
"Rechtzeitige Vorsorge ist entscheidend"
Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt dringt auf eine schnelle rechtliche Vorbereitung für eine Herbstwelle. "Die weitere Corona-Vorsorge muss jetzt sehr schnell erarbeitet werden, damit die bewährten Maßnahmen auch im Herbst und Winter bei Bedarf möglich bleiben", schrieb sie auf Twitter. "Rechtzeitige Vorsorge ist das Entscheidende in der Bekämpfung einer Pandemie. Für den Fall, dass eine neue Virusvariante auftaucht oder das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt, müssen wir vorbereitet bleiben. Bewährtes muss dann wieder möglich sein."
Göring-Eckardt verwies auf den Sachverständigenrat der Regierung, der am Freitag seinen Bericht zur Bewertung bisheriger Corona-Maßnahmen vorgelegt hatte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren darin zu dem Schluss gekommen, dass die Maßnahmen zwar wirken, aber nur begrenzt. Masken helfen demnach nur, wenn sie richtig getragen werden - und ein Lockdown nur, solange die Menschen dazu bereit sind. Die Experten beklagten zudem eine mangelhafte Datengrundlage.
Städtetag macht Druck
Der Deutsche Städtetag rief die Bundesregierung zum raschen Handeln auf. "Die Ampel muss sich noch vor der Sommerpause einigen", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Erst im Herbst ein Gesetzgebungsverfahren für ein neues Infektionsschutzgesetz zu starten, kommt zu spät." Der Bund solle ermöglichen, dass "bei Gefahrenlage" das Tragen von Masken in Innenräumen "verpflichtend möglich ist", forderte Dedy.
"Auch Zugangsregelungen für 2G/3G gehören in den Instrumentenkasten. Wir müssen vorbereitet sein, wenn gefährlichere Virusvarianten auf uns zurollen." Zudem betonte Dedy die Bedeutung der kostenlosen Bürgertests. "Bund und Länder sollten Bürgertests deshalb einfach zugänglich halten, wenn es nötig wird."
Ärzte: Kinder schützen, Schulen offen halten
Mit Blick auf den Herbst mahnte die Bundesärztekammer eine gezielte Schutz-Strategie für Kinder und Jugendliche an. "Wir brauchen jetzt einen Runden Tisch von Gesundheits- und Kultusministern sowie mit Ärzten, Pädagogen und anderen wissenschaftlichen Disziplinen, um eine tragfähige Corona-Strategie für Schulen und Kitas zu entwickeln", sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt ebenfalls den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es sei bedenklich, dass die Auswirkungen von Schulschließungen auf das Infektionsgeschehen kaum wissenschaftlich belegt seien.
Dagegen zeigten zahlreiche Studien deutlich die massiven psychischen und körperlichen Folgen von sozialer Isolation für Kinder und Jugendliche. "Wechselunterricht und Schulschließungen dürfen, wenn überhaupt, nur die Ultima Ratio sein", unterstrich der Mediziner. Mit dem Sachverständigengutachten habe die Politik eine wichtige Orientierungshilfe bekommen. Nötig seien konkrete gesetzgeberische Schritte, inklusive ausreichender Haushaltsmittel unter anderem zur Förderung der Pandemieforschung und zur Offenhaltung der Schulen, forderte der Ärzte-Chef.
Lauterbach warnt vor "schwerem Herbst"
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) wollen noch im Juli einen Vorschlag für das neue Infektionsschutzgesetz vorlegen, welches das Vorgehen im Herbst und Winter regeln soll.
Lauterbach warnte im tagesthemen-Interview vor einem "schweren Herbst". Er glaube, dass "wir mit der BA.5-Variante, die sich jetzt hier ausbreitet, große Schwierigkeiten bekommen werden". Der Minister relativierte die Bedeutung des Sachverständigen-Gutachtens auf die anstehende Reform. Neben dem Gutachten gebe es zahlreiche internationale Studien, die Expertise des eigenen Expertenrates und internationaler Wissenschaftler, die ebenfalls beachtet werden müssten.