Entschädigung für Germanwings-Opfer Kein Geld für emotionalen Schaden
Wie viel Entschädigung bekommen die Angehörigen der Germanwings-Opfer? Bei der Summe wird es große Unterschiede geben, sagt Opferanwalt Elmar Giemulla im tagesschau.de-Interview. Der Grund: In Deutschland gibt es für emotionalen Schaden kein Geld.
tagesschau.de: Grundlage für Entschädigungszahlungen ist das Montrealer Übereinkommen. Gehen Sie davon aus, dass alle Angehörigen des Germanwings-Absturzes gleich entschädigt werden?
Elmar Giemulla: Nein, am Ende wird es deutliche Unterschiede geben. Denn die Höhe des Schadensersatzes richtet sich nicht nach dem Montrealer Übereinkommen. Dafür sind die nationalen Gesetze ausschlaggebend. Welche Gesetze das im Einzelfall sind, darüber entscheiden verschiedene Fragen: Wo habe ich das Ticket gekauft? Wo ist der Hauptsitz der Fluggesellschaft? Wo habe ich meinen Wohnsitz?
Für die Hinterbliebenen der deutschen Opfer deutet derzeit alles auf die Anwendung des deutschen Rechtes hin. Für die vier US-Amerikaner sieht es dagegen anders aus: Deren Angehörige werden voraussichtlich nach amerikanischem Recht behandelt.
Elmar Giemulla lehrt als Honorarprofessor für Luftrecht an der TU Berlin. Der Jurist hat nach mehreren Flugzeugkatastrophen als Opferanwalt gearbeitet - unter anderem für die Hinterbliebenen der Concorde-Katastrophe und von Flug MH17, der in der Ukraine abstürzte. Giemulla ist Anwalt in Deutschland und den USA. Er berät auch Hinterbliebene des Germanwings-Absturzes.
Deutsches Recht kennt keinen emotionalen Schaden
tagesschau.de: Welchen Unterschied macht das?
Giemulla: Das amerikanische Recht kennt etwa einen emotionalen Schaden, den es in Deutschland nicht gibt. In den USA werden dafür Millionenbeträge gezahlt. Der Durchschnitt der Schadensersatzzahlungen in den letzten Jahre betrug hier etwa 6,5 Millionen Dollar. Diese Summe erwarte ich auch im aktuellen Fall. Für die deutschen Hinterbliebenen rechne ich damit, dass man in den meisten Fällen mit den bereits von der Lufthansa angebotenen 50.000 Euro auskommt.
tagesschau.de: Warum?
Giemulla: In Deutschland ist vor allem entscheidend, welche Aufwendungen und Verluste die Hinterbliebenen haben. Das sind in erster Linie Dinge wie die Überführungs- und Beerdigungskosten. Dafür reichen 50.000 Euro aus. In einzelnen Fällen wird aber sicherlich noch etwas hinzukommen - nämlich dann, wenn ein Ernährer verstorben ist. Hier haben die Angehörigen möglicherweise einen Unterhaltsanspruch. Das sind aber keine Millionen - in den meisten Fällen sind es etwa 100.000 Euro pro Person. Wenn man alles zusammenrechnet, muss die Lufthansa wahrscheinlich nur einen zweistelligen Millionenbetrag bezahlen.
tagesschau.de: Also nicht besonders viel.
Giemulla: Richtig, das ist überhaupt nicht viel.
"Jeder Mensch kann eine solche Katastrophe verkraften"
tagesschau.de: Warum wird der emotionale Verlust in Deutschland nicht entschädigt?
Giemulla: Bei uns gilt der Grundsatz, dass ein emotionaler Schaden nur entschädigt wird, wenn er sich körperlich auswirkt. Die Rechtsprechung sagt, dass Menschen darauf ausgerichtet sind, ihre Angehörigen zu verlieren. Der Mensch hat die psychischen Reserven, um eine solche Katastrophe zu verkraften. Die Gerichtsbarkeit sagt: Ein Flugzeugabsturz ist nicht anders zu bewerten als andere Todesnachrichten. Nur in Ausnahmefällen wird von diesem Grundsatz abgewichen.
tagesschau.de: Was halten Sie von dieser Regelung?
Giemulla: Wenn ich Hinterbliebenen ihre Rechtsposition erkläre, reagieren die oft entsetzt und sagen: Das kann doch nicht sein! Ich habe deshalb beim Justizministerium nachgefragt, ob sie eine Möglichkeit für ein 'Hinterbliebenen-Schmerzensgeld' sehen. Die Antwort war jedoch eindeutig: Das wäre eine Sonderbelastung für die Wirtschaft, deshalb machen wir es nicht. Da driften unser Rechtsempfinden und die juristische Wirklichkeit auseinander.
tagesschau.de: Für die Lufthansa gibt es aber auch die Möglichkeit, freiwillig mehr zu zahlen. Halten Sie das in diesem Fall für wahrscheinlich?
Giemulla: Ich kann die Lufthansa nur ermutigen, sich nicht nur auf die Buchstaben des Rechts zu berufen - nach dem Motto: Das ist für uns eine billige Nummer. Nach meiner Meinung sollte es einen Ausgleich für den emotionalen Schaden geben. Er muss nicht amerikanische Verhältnisse annehmen, aber den Verlust abbilden. Da würde ich die Richtzahl von einer Millionen Euro in den Raum stellen.
"Man muss nicht denken, je mehr Geld desto besser"
tagesschau.de: Wie zugänglich sind denn Fluggesellschaften für eine solche Position?
Giemulla: Das hängt von der Tragweite des Unglücks ab. Beim Concorde-Absturz war es etwa so, dass das französische Selbstverständnis stark darunter gelitten hat. Dadurch kam es zu der Situation, dass den Hinterbliebenen Schadensersatz über dem gesetzlichen Minimum angeboten und pro Opfer 1,2 Millionen Euro ausgezahlt wurden.
Man muss aber nicht denken, je mehr Geld desto besser. Es gibt eine Grenze die vom Publikum nicht mehr verstanden wird. Im Concorde-Fall war es etwa so, dass ein Hinterbliebener erkannt wurde und man ihn zur Entschädigungssumme beglückwünschte. Das ist natürlich nicht gut.
tagesschau.de: Macht es einen Unterschied für die Entschädigungssumme, ob es ein Unfall oder ein vorsätzlicher Absturz war?
Giemulla: Nein, Entschädigung ist Entschädigung. In den USA ist das anders. Dort gibt es einen sogenannten Bestrafungs-Schadensersatz. Dabei kann die Summe verdoppelt und verdreifacht werden um dem Urteil eine Denkzettel-Funktion zu geben. Ob diese Möglichkeit genutzt wird, liegt im Ermessen des Richters.
"In zwei Jahren ist der Fall abgeschlossen"
tagesschau.de: Wann rechnen Sie mit einem Abschluss des Germanwings-Falles?
Giemulla: Ich rechne damit, dass demnächst die ersten Verhandlungen zwischen den Anwälten der Angehörigen und der Lufthansa beginnen. Dort werden materielle Ansprüche eingereicht und belegt. Normalerweise ist es aber so, dass die Gespräche erst nach einem Jahr härter werden. Dann nämlich, wenn der offizielle Unfallbericht veröffentlicht wird.
Dann wissen die Beteiligten, dass keine neuen Erkenntnisse zu befürchten sind und einigen sich auf eine Summe. Gelingt diese Einigung nicht, ist der nächste Stichtag zwei Jahre nach dem Unglück. Dann verjähren die Ansprüche. Sollte es bis dahin keine außergerichtliche Einigung geben, müssen die Hinterbliebenen klagen. Im aktuellen Fall glaube ich aber nicht, dass es die Lufthansa darauf ankommen lassen wird.
Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de