Fragen und Antworten zum BGH-Urteil Warum dürfen Bewerter anonym bleiben?

Stand: 01.07.2014 13:12 Uhr

Wenn über jemanden in einem Onlineportal Lügen verbreitet werden, darf er die zwar löschen lassen - an den Namen des Bewerters kommt er aber nicht. Das hat der BGH entschieden. Aber was steckt hinter dem Urteil? Fragen und Antworten zu dem Richterspruch.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Um welchen Fall ging es?

Im November 2011 entdeckte ein Arzt auf dem Portal sanego.de Bewertungen seiner Praxis. Ein User schrieb dort unter Pseudonym, der Arzt verschreibe falsche Medikamente, habe Patientenakten in Waschkörben in der Praxis herumstehen, außerdem betrage die Wartezeit bis zu drei Stunden.

Dabei ging es nicht um Meinungsäußerungen des Users, die man so oder so sehen könnte. Diese Angaben waren erwiesenermaßen falsch, was die Gerichte später festgestellt haben. Der Arzt forderte vom Portal die Löschung der Einträge, was auch geschah.

Allerdings wiederholte der User seine Bewertungen mehrfach auf dem Portal, die Löschungen brachten also nichts. Der Arzt wollte daher wissen, wer hinter den falschen Bewertungen steckt, um die betreffende Person verklagen zu können. Er zog vor Gericht und verlangte von sanego.de Auskunft über Name und Anschrift des Users.

Mit welcher Begründung hat der BGH den Auskunftsanspruch abgelehnt?

Der Bundesgerichtshof leitet sein Urteil aus dem "Telemediengesetz" (TMG) her. Dort sei eine sehr strenge Zweckbindung der Nutzerdaten geregelt. Solange der betroffene User nicht einwillige, sei für die Herausgabe seiner Daten eine ausdrückliche gesetzliche Regelung nötig.

In § 14 Absatz 2 TMG nennt das Gesetz einige Fälle, in denen die Portale Nutzerdaten herausgeben müssen, zum Beispiel auf Anfrage der Strafverfolgungs- oder Polizeibehörden für Ermittlungen oder zur Abwehr von Gefahren. Klagen von Betroffenen, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen, seien dort gerade nicht genannt, sagte der Vorsitzende Richter. Diese bewusste Einschätzung des Gesetzgebers sei zu respektieren.

Gibt es überhaupt keine Möglichkeit, an die Daten der zu kommen?

Doch. Im Gesetz ist ja ausdrücklich genannt, dass zum Beispiel die Strafverfolgungsbehörden Auskunft über die Daten verlangen können. Ein Betroffener kann also Anzeige wegen Verleumdung oder Beleidigung erstatten, dann könnte die Staatsanwaltschaft aktiv werden und die Daten herausverlangen. Hier hat man als Betroffener aber wenig Einfluss, wie intensiv die Behörden den eigenen Fall wirklich verfolgen.

Von dieser strafrechtlichen Seite muss man die sogenannte "zivilrechtliche" Seite unterscheiden, bei der der Betroffene selbst gerichtlich gegen den User vorgeht und Unterlassung oder Schadensersatz fordert. Für den zivilrechtlichen Weg hat der BGH jetzt den Auskunftsanspruch abgelehnt.

Wie groß wären überhaupt die Chancen gewesen, an Name und Anschrift zu kommen?

Möglicherweise gar nicht so groß, das hängt von den hinterlegten Daten beim Portal ab. Am Ende der mündlichen Verhandlung am BGH vor einigen Wochen hatte der Anwalt des Portals darauf hingewiesen, dass sanego.de Name und Anschrift des User wohl gar nicht habe, sondern nur eine E-Mail-Adresse und eine verschlüsselte IP-Adresse. Ob man darüber wirklich an die Originalperson gekommen wäre, könnte zweifelhaft sein.

Ist ein Betroffener völlig machtlos gegen falsche Eintragungen auf Bewertungsportalen?

Nein. Der Betroffene hat die Möglichkeit, vom Portalbetreiber unter bestimmten Umständen die Löschung der Einträge bzw. die Unterlassung rechtswidriger Eintragungen zu fordern. Die Portalbetreiber müssen zwar nicht von sich aus jede Eintragung kontrollieren, aber auf Beschwerden von betroffenen Nutzern reagieren. Auf das entsprechende Grundsatzurteil vom 25. Oktober 2011 (VI ZR 93/10) weist der BGH jetzt ausdrücklich hin.

Ist das Urteil nun ein Freibrief für Falschangaben unter dem Schutz der Anonymität?

Das Internet ist und bleibt kein rechtsfreier Raum. Beleidigungen oder erwiesen falsche Behauptungen sind hier - wie überall - nicht zulässig. Das Urteil macht es für Betroffene aber schwer, den wahren Urheber von falschen oder ehrverletzenden Äußerungen auf Portalen im Netz ausfindig zu machen.

Der BGH betont, dass es sich um den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers handele, die Anonymität im Netz ziemlich hoch zu hängen, und für Ausnahmen von diesem Grundsatz konkrete Regelungen vorzusehen. Sollte der Gesetzgeber für Fälle wie jenen des Arztes eine Schutzlücke sehen, müsste er das Telemediengesetz ergänzen und einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch hineinschreiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. Juli 2014 um 12:00 Uhr.