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Corona-Impfungen Darf es Privilegien für Geimpfte geben?

Stand: 30.12.2020 15:25 Uhr

Covid-19-Geimpfte sollen keine Privilegien bekommen, fordern Koalitionspolitiker. Doch ist das rechtlich haltbar? Und gibt es Unterschiede zwischen Privatunternehmen und dem Staat? Antworten auf zentrale Fragen.

Von Michael Nordhardt und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Worum geht es?

Die Impfungen gegen das Coronavirus haben begonnen. Noch ist nicht eindeutig geklärt, ob geimpfte Menschen das Virus weiter übertragen können. Sobald gesicherte Erkenntnisse vorliegen, könnte es in Cafés, Kinos und anderen privat geführten Einrichtungen heißen: Zutritt nur für Menschen mit Corona-Impfung.

Doch solche Sonderrechte für Geimpfte lehnen Politikerinnen und Politiker der Regierungskoalition ab, um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften zu vermeiden.

"Viele warten solidarisch, damit einige als erste geimpft werden können", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. "Und die Noch-Nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden." Auch Politikerinnen und Politiker von SPD und CSU haben sich gegen Sonderrechte für Geimpfte ausgesprochen.

Wie ist die rechtliche Ausgangslage?

Für Private gilt in Deutschland der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Jede und jeder darf sich frei aussuchen, mit wem sie oder er Verträge schließt - und eben auch, mit wem nicht. Das bedeutet, dass grundsätzlich niemand gezwungen werden kann, Kunden und Kundinnen zu akzeptieren, die er oder sie nicht will.

Der Betreiber einer Diskothek muss einen Gast zum Beispiel nicht reinlassen, wenn ihm der Kleidungsstil nicht passt. Viele Restaurants verweigern angetrunkenen Personen den Zutritt. Das sind legale Auswahlentscheidungen, die jeden Tag getroffen werden. Grenzen setzt insoweit aber das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). So sind zum Beispiel Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts unzulässig.

Was heißt das für die Corona-Impfung?

Angewendet auf die künftig mögliche Situation heißt das: Betreiberinnen etwa von Cafés und Kinos dürften sagen, dass sie nur noch Verträge mit geimpften Personen schließen wollen. Zum Beispiel, um sich selbst zu schützen, ihr Personal oder andere Gäste. Und in der Konsequenz könnten sie nur noch Geimpfte bei sich reinlassen. Das ist derzeit rechtlich zulässig. Bislang ist der Impfstatus nicht als Kriterium für eine unzulässige Diskriminierung im AGG genannt.

Was schlägt die Politik vor?

Die Regierungskoalition überlegt, dies zu ändern und eine Diskriminierung wegen des Impfstatus' per Gesetz zu verbieten. "Eine Klarstellung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dass niemand benachteiligt werden darf, der sich nicht impfen lässt", sei denkbar, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner.

Auch eine Ergänzung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) brachte Fechner ins Spiel: "Hier könnte man festlegen, dass zum Beispiel AGBs unzulässig sind, die den Transport von Personen an den Impfstatus knüpfen." Mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) legen Unternehmen fest, welche Vertragsbedingungen im Verhältnis zu ihren Kundinnen gelten. Für die angedachten Regelungen wäre eine Gesetzesänderung erforderlich.

Was spricht gegen diese Vorschläge?

Solche Anpassungen im Gesetz würden die grundrechtlich abgesicherte Vertragsfreiheit und Privatautonomie einschränken, ohne dass es dafür eine ausreichende Rechtfertigung gäbe. So zumindest sehen es Kritiker wie der Gießener Jura-Professor Steffen Augsberg. Insbesondere wäre der Infektionsschutz kein Argument mehr, sollten geimpfte Menschen das Virus tatsächlich nicht weiterverbreiten können. "Es erscheint mir kaum vorstellbar, Café- oder Kino-Betreibern zu verbieten, zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften zu unterscheiden", sagt Augsberg. "Zumal es dann ja einen guten Grund für diese Unterscheidung gibt."

Auch ohne entsprechende Anpassungen sieht Augsberg nicht die Gefahr einer "Impfpflicht durch die Hintertür", sagt er. "Wenn Private Vorteile gewähren, bedeutet das keine staatliche Impfpflicht. Solidarität kann auch bedeuten, dass die Nicht-Geimpften den Geimpften gönnen, stärker ins öffentliche Leben zurückkehren zu dürfen", sagte er der ARD-Rechtsredaktion.

Eine allgemeine Impfpflicht hat die Politik bislang kategorisch ausgeschlossen.

Müssen die staatlichen Corona-Maßnahmen für Geimpfte gelockert werden?

Die staatlichen Corona-Maßnahmen, zum Beispiel Kontaktverbote oder Ausgangsbeschränkungen, greifen massiv in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Ein Argument könnte nun sein: Sollte irgendwann feststehen, dass von einem Menschen keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, darf der Staat seine Rechte auch nicht weiter beschränken. In diesem Zusammenhang wird über sogenannte Immunitäts- oder Impfausweise diskutiert.

Allerdings sieht auch hier die Politik die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn Geimpfte schon wieder dürfen, was Nicht-Geimpften weiterhin verwehrt wird. Sollten geimpfte Menschen allerdings unter Verweis auf ihre Grundrechte auf die Wiedereinräumung ihrer Freiheiten klagen, würden die Gerichte im Einzelfall prüfen. Es könnte sein, dass sie es nicht auf Dauer zulassen, dass Geimpfte aus Solidarität genauso in ihren Rechten beschränkt werden wie nicht geimpfte Menschen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Dezember 2020 um 20:00 Uhr sowie Deutschlandfunk am 30. Dezember 2020 um 01:00 Uhr in den Nachrichten.