Studienplatzvergabe Darum geht es im Streit um den NC
Viele junge Menschen träumen vom Arztberuf - doch der Weg dorthin ist steinig. Der Grund: ein kompliziertes Vergabesystem für Studienplätze und ein strenger Numerus Clausus. Jetzt steht das gesamte System auf dem Prüfstand.
Wie ist die Ausgangslage?
Jahrelange Wartezeit auf einen Studienplatz, trotz ordentlicher Abitur-Note - für angehende Ärzte ist das oft die Realität. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt inzwischen 14 bis 15 Semester, ist damit länger, als die Regelstudienzeit für Humanmedizin selbst. Der Grund: Das Angebot an Studienplätzen ist gering, der Andrang an potenziellen Studenten immens. So kamen zuletzt rund 62.000 Bewerber auf gerade mal 11.000 freie Studienplätze.
Darum gibt es in Deutschland ein kompliziertes System zur Studienplatzvergabe für Mediziner: 20 Prozent der Plätze werden zentral (durch die Stiftung für Hochschulzulassung) über eine Abiturnoten-Quote vergeben, weitere 20 Prozent (ebenfalls zentral) über eine Wartezeit-Quote. Die verbleibenden 60 Prozent der Plätze besetzen die Universitäten nach eigenen Kriterien. Dabei achten sie in der Praxis auch sehr stark auf die Abitur-Note, die somit also ein noch stärkeres Gewicht bekommt. Der Numerus Clausus liegt, je nach Universität zwischen 1,0 und 1,2. Studienbewerber mit schlechterem Abitur haben kaum eine Chance, in absehbarer Zeit einen Studienplatz zu ergattern.
Und worum geht es rechtlich?
Um nicht weniger als die Frage, ob das bestehende System noch verfassungsgemäß ist. Zwei abgewiesene Studienbewerber haben gegen ihren Ablehnungsbescheid der Stiftung für Hochschulzulassung geklagt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das diese Fälle zu entscheiden hat, findet, dieses Verfahren verletze das Grundrecht auf Berufsfreiheit und den Gleichheitssatz. Denn nach dem Grundgesetz hat jeder Deutsche das Recht, seinen Beruf und seine Ausbildungsstätte frei zu wählen. Einschränkung kann es dabei natürlich geben, aber diese dürfen eben nur so wenig wie irgend möglich in die Rechte der Bürger eingreifen. Das gilt auch für den Zugang zum Medizinstudium.
Das Verwaltungsgericht hat die Regelungen dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt. Das Verfahren nennt sich "konkrete Normenkontrolle" - weil die "Normen" (also die fraglichen Gesetzesvorschriften, etwa aus dem Hochschulrahmengesetz und aus den Landesgesetzen) nun von Karlsruhe auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin kontrolliert werden.
Die Richter am Gelsenkirchener Verwaltungsgericht finden: Die Abitur-Quote sei dabei überbetont und das Wartezeit-Verfahren benachteilige diejenigen, die schon lange warten, weil sie trotzdem von "Gelegenheitsbewerbern" überholt werden können. Beispiel: Person A und Person B haben die gleiche durchschnittliche Abitur-Note. Person A hat allerdings sein Abitur zwei Jahre früher gemacht als Person B. Er hat mit Medizin nicht viel am Hut und macht eine Lehre als Bankkaufmann. Person B will schon immer Arzt werden, und verfolgt diesen Wunsch konsequent seit dem Abitur, muss aber eben auf einen Studienplatz warten. Nach Jahren kommt Person A plötzlich auch auf die Idee, sich für ein Medizinstudium zu bewerben. Weil es für die Wartezeit nur auf den Zeitablauf seit dem Abitur ankommt, hat A jetzt bessere Karten als Person B, weil in seinem Fall ja seit dem Abi mehr Zeit vergangen ist. Das finden aber viele ungerecht.
Außerdem sollten nach dem Willen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen die Unis eine Landesquote einrichten müssen, denn die Abiturnoten seien deutschlandweit nicht exakt miteinander vergleichbar: In manchen Bundesländern sei es einfacher, eine sehr gute Note zu bekommen.
Medizinstudenten führen in der Charité in Berlin während einer Übung in der "Simulierten Rettungsstelle" eine Notfallversorgung durch.
Was prüft Karlsruhe?
Schon in den 1970er-Jahren hat das Bundesverfassungsgericht zwei Urteile zum Numerus Clausus gesprochen und diesen im Ergebnis bestätigt. Allerdings sagten die Richter damals: Zulassungsbeschränkungen wie der "NC" sind nur dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie "in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden". Und: Auswahl und Verteilung der Bewerber müssten eine reelle Chance für jeden "an sich hochschulreifen" Bewerber bieten. So kam es dann, dass etwa die Wartezeit-Verfahren eingeführt wurden.
Ob diese Regelungen aber auch heute noch der Realität entsprechen, ist zumindest fraglich. Denn in den vergangenen 40 Jahren haben sich die äußeren Rahmenbedingungen für die angehenden Mediziner verschärft: Der Flaschenhals aus verfügbaren Studienplätzen und Bewerbern hat sich immer weiter verengt. Die durchschnittlichen Wartezeiten sind darum immer länger geworden. Möglicherweise stellt Karlsruhe anhand dieser Fälle sogar neue Kriterien auf, wie das Grundrecht auf freie Wahl des Berufes auszulegen ist.
Wie lief die Verhandlung im Oktober?
Bei der mündlichen Verhandlung Anfang Oktober haben die Richter des Ersten Senats einen durchaus kritischen Blick auf das Vergabesystem geworfen. Ihnen war dabei bewusst, dass sich das "Knappheitsproblem" massiv auf die berufliche Lebensplanung junger Menschen auswirkt. Viele Studienbewerber nutzen etwa die Wartezeit auf ihr Studium zu einer Ausbildung, etwa zum Rettungssanitäter. Es stellt sich die Frage, ob solche "Zusatzqualifikationen" nicht auch positiv berücksichtigt werden müssen. Ferdinand Kirchhof, der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, warf die Frage auf, ob neben der Abiturnote nicht auch andere Kriterien wie praktische Handfertigkeit oder menschliche Kommunikationsfähigkeit berücksichtigt werden müssten. Allerdings war auch allen Beteiligten klar, dass in irgendeiner Form eine Auswahl getroffen werden muss, denn die Bewerberzahlen werden in Zukunft wohl nicht signifikant sinken. Und mehr Studienplätze wird es wohl auch nicht geben, denn die sind gerade im Studiengang Medizin sehr teuer für die Unis.
Wie kann eine Entscheidung aussehen?
Am Kernproblem "zu viele Bewerber für zu wenige Studienplätze" wird auch das Bundesverfassungsgericht nichts ändern können. Die entscheidende Frage in diesem Verfahren lautet daher: Ist das hohe Gewicht, das dem Numerus Clausus im Bewerbungsverfahren beigemessen wird, möglicherweise "zu viel des Guten"? Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass der NC komplett gekippt wird. Denkbar wäre aber, dass sie dem Gesetzgeber aufgeben, eine neue Regelung zu schaffen, die stärker auf individuelle Eignungen der Bewerber eingeht.
Dabei hat sich übrigens ein Punkt schon erledigt: Für die Zeit ab dem Wintersemester 2018/2019 gilt eine neuer Staatsvertrag, der die Grundlage für die jeweiligen Landesgesetze ist. Darin ist geregelt, dass künftig nur noch diejenigen Semester als Wartezeit angerechnet werden, in denen sich der Abiturient tatsächlich auf einen Studienplatz für Medizin beworben hat. Das bedeutet, dass dann die sogenannten Gelegenheitsbewerber nicht mehr an schon lange wartenden Bewerbern "vorbeiziehen" können.