Fragen und Antworten So funktioniert das NPD-Verbotsverfahren
Wer darf eigentlich ein Parteiverbot beantragen? Wie lange dauert das Verfahren? Warum ist das letzte NPD-Verbotsverfahren gescheitert? Welche Rolle spielt jetzt der NSU? Und was sind die Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Von Frank Bräutigam, SWR Karlsruhe
Wer darf den Antrag stellen?
Antragsbefugt sind laut Gesetz Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Nach einem möglichen Beschluss der Ministerpräsidenten müsste der Bundesrat noch offiziell entscheiden, dass ein Antrag gestellt wird. Es sind auch mehrere parallele Anträge der genannten Institutionen möglich. Beim ersten Anlauf zum Verbot der NPD 2001 waren alle drei Verfassungsorgane nach Karlsruhe gegangen. Ziel war es, ein Signal der Geschlossenheit auszusenden. Ob Bundestag und Bundesregierung dem möglichen Antrag des Bundesrates folgen werden, ist derzeit offen.
Wer entscheidet über das Parteiverbot?
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist die einzige Institution, die eine Partei verbieten darf. Zuständig sind die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats, unter Vorsitz von Gerichtspräsident Voßkuhle. "Berichterstatter" wäre Verfassungsrichter Michael Gerhardt. Der Berichterstatter arbeitet für den Senat die Rechtslage auf und bereitet das Urteil vor. Er hat aber wie der Präsident bei der der Entscheidung nur eine Stimme im Senat.
Wie genau läuft das Verfahren ab?
Nach einem Beschluss des Bundesrates muss noch die Antragsschrift formuliert werden und mitsamt Beweismitteln beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden. Die genaue Formulierung des Antrags dürfte noch einige Monate in Anspruch nehmen, die Schrift kann viele hundert Seiten lang sein. Das Verfahren geht mit Eingang des Antrags in Karlsruhe los.
Der Senat prüft zunächst nach Aktenlage. Ist an der Sache aus Sicht des Gerichts gar nichts dran, hat es die Möglichkeit, das Verfahren schon in diesem Stadium zu beenden. Wenn der Antrag zulässig ist und die Richter Aussicht auf Erfolg sehen, setzt das Gericht eine mündliche Verhandlung an. Einige Zeit später würde dann das Urteil verkündet.
Welche Mehrheiten bei den Richtern sind erforderlich?
Es gibt hier eine hohe formale Hürde, denn im Senat ist eine Zweidrittelmehrheit für ein Verbot nötig. Das bedeutet umgerechnet, dass sechs Richterinnen und Richter für ein Verbot stimmen müssten. Umgekehrt können drei Richter ein Verbot verhindern, eine Art "Sperrminorität" bilden. So war es 2003, als sich drei von acht Richtern für die Einstellung des Verbotsverfahrens ausgesprochen hatten.
Warum ist das NPD-Verbotsverfahren 2003 gescheitert?
Das Problem waren die V-Leute, also Mitglieder oder Sympathisanten der NPD, die den Verfassungsschutzbehörden Informationen liefern. Erst im laufenden Verfahren hatten die Behörden dem Gericht mitgeteilt, dass wichtige Belastungszeugen gleichzeitig V-Leute seien. Das hatte für große Verstimmung im Gericht gesorgt. Drei der acht Richter sahen nun folgendes Problem: Man könne nicht genau feststellen, welche Äußerungen wirklich der NPD zuzurechnen seien und welche dem Staat. Denn die V-Leute werden vom Staat bezahlt. Das sei ein unüberwindbares Verfahrenshindernis. Das Verfahren wurde eingestellt, ohne dass inhaltlich geprüft wurde, ob die NPD verfassungswidrig ist. Im Hinblick auf ein mögliches neues Verfahren wurden nun nach Auskunft der Behörden die V-Leute in der Führungsebene der NPD "abgeschaltet".
Gab es schon einmal Parteiverbote in der Bundesrepublik?
Ja, zweimal, das ist aber schon lange her. 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die "Sozialistische Reichspartei" (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. 1956 wurde die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) verboten.
Was sind die inhaltlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Den Maßstab setzt Art. 21 Absatz 2 des Grundgesetzes: "Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Zur "freiheitlich demokratischen Grundordnung" zählen zum Beispiel: die Achtung der Menschenrechte des Grundgesetzes, Volkssouveränität, Rechtsstaat, Gewaltenteilung. Hier müssen die Antragsteller konkrete Beweise liefern, warum die NPD oder ihre Anhänger diese Grundsätze beeinträchtigen, zum Beispiel durch rassistische Äußerungen, Forderungen nach Abschaffung der Demokratie etc. In den alten Urteilen hat das Gericht aber noch eine zusätzliche Voraussetzung genannt. Die Partei müsse eine "kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" einnehmen. Hieran knüpfen die Gegner eines neuen Verbotsantrags ihre Zweifel, weil sie fürchten, dass die Zusatzvoraussetzung nicht gegeben ist bzw. man sie nicht beweisen kann.
Kann man eine Prognose über den Ausgang des Verfahrens stellen?
Eine sichere Prognose ist nicht möglich, und zwar aus zwei Gründen:
Grundproblem 1: Die beiden bisherigen Parteiverbote liegen weit zurück. Niemand weiß, wie die heutigen Richter die Vorschrift des Grundgesetzes aus aktueller Sicht auslegen, ob die "Zusatzhürden" weiter in derselben Form gelten. Dass die NPD kurz davor ist, einen Umsturz in Deutschland herbeizuführen, wird niemand behaupten. Aber vielleicht ist auch die Schaffung eines Klimas der Angst und Einschüchterung in einem Land mit vielen Migranten aus aktueller Sicht ein mögliches Kriterium. Wie das Gericht Artikel 21 GG im 21. Jahrhundert verankert, kann man nicht voraussagen.
Grundproblem 2: Zwar können und müssen die Behörden eine Einschätzung abgeben, ob das gesammelte Beweismaterial ausreicht. Entscheidend aber wird sein, ob auch die Richter das so sehen. Ein gewisses Risiko des Scheiterns wird es also immer geben.
Kann der Komplex NSU ein Parteiverbot stützen?
Das Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hat die Debatte über ein NPD-Verbot wieder ins Rollen gebracht. Es gibt aus Sicht der Behörden einzelne Verbindungen zwischen NPD-Mitgliedern und dem NSU. Zum Beispiel soll der ehemalige NPD-Vize von Thüringen, Ralf Wohlleben, dem Trio die Tatwaffe Ceska für ihre Mordserie verschafft haben. Er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Allerdings hat Generalbundesanwalt Range mehrfach betont, aus Sicht der Ermittler sei der NSU nicht der militante Arm der NPD gewesen. Die einzelnen Fälle können also wichtige Beweismittel sein, dürften aber keineswegs allein als Grundlage für ein Verbot reichen.
Sind nur Verstöße von NPD-Mitgliedern relevant für die Beweisaufnahme?
Die Frage ist wichtig, weil es rund um die NPD eine Szene von Kameradschaften gibt, die nicht zwingend Mitglieder sind. In Artikel 21 Grundgesetz ist von "Anhängern" die Rede. Im ersten Parteiverbot gegen die SRP von 1952 wurde der Begriff eher weit gefasst. Was das in einem neuen Verfahren genau bedeuten würde, ist offen. Die Frage der Zurechnung von Gewalt- und anderen Straftaten zur NPD ist jedenfalls ein zentraler Punkt eines neuen Verbotsverfahrens.
Warum sind die Hürden für ein Parteiverbot im Grundgesetz so hoch?
Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes war die Neutralität des Staates gegenüber den Parteien sehr wichtig. Bei niedrigen Hürden für ein Parteiverbot sah man die Gefahr, dass die Vertreter der Mehrheiten sich zu leicht unliebsamer Gegner entledigen könnten. Durch die alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und die hohen inhaltlichen Hürden bewirkt Artikel 21 Grundgesetz einen hohen Schutz der Parteien. Solange Karlsruhe sie nicht verboten hat, stehen jeder Partei dieselben Rechte zu.
Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte?
Die NPD könnte im Falle eines Verbotes beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen. Der hat unter anderem 2003 in einem Verfahren gegen eine türkische Partei Kriterien für ein Parteiverbot aufgestellt, die viele Experten für strenger als die des Grundgesetzes halten. Deshalb warnen sie vor einem neuen Verfahren. Die Partei, so Straßburg, müsse das reale Potenzial haben, die Macht zu ergreifen. Das ist bei der NPD sicher nicht der Fall. Andererseits nennt das Gericht auch eine "dringende gesellschaftliche Notwendigkeit" als Voraussetzung für ein Verbot. Hierunter könnte man auch die Einschüchterung von Migranten fassen, ein Klima der Angst, das gestoppt werden soll.
Wichtig: Aus den bisherigen Straßburger Urteilen lässt sich nicht zwingend darauf schließen, dass ein NPD-Verbot dort auf jeden Fall gekippt würde. Das Gericht müsste den Einzelfall genau prüfen, und berücksichtigt in letzter Zeit immer wieder die Besonderheiten des betroffenen Staates. Möglich ist auch, dass Karlsruhe bereits Kriterien aus Straßburg in seine Prüfung mit einbezieht.
Wie lange kann ein neues Verfahren dauern?
Nachdem die Antragsteller die Antragsschrift geschrieben und eingereicht haben, beginnen die Prüfungen des Gerichts. Bei Erfolgsaussichten nach Aktenlage wird mündlich verhandelt. Danach braucht es Zeit, das Urteil abzufassen. Das erste, gescheiterte Verbotsverfahren hat ca. zwei Jahre gedauert. Sollte ein mögliches Verbot in Straßburg angegriffen werden, kommt weitere Zeit hinzu. Es ist also denkbar, dass endgültige rechtliche Klarheit erst nach drei bis fünf Jahren herrscht.
Was bedeutet der jüngste Antrag der NPD, die eigene Verfassungsmäßigkeit feststellen zu lassen?
Die NPD hat versucht, quasi in Eigeninitiative ein Verbotsverfahren einzuleiten - mit dem Ziel, die eigene Verfassungsmäßigkeit bestätigt zu bekommen. Sie rechtfertigt das mit Äußerungen von Politikern, die ihr Verfassungsfeindlichkeit bescheinigen. Ein solcher Antrag müsste aber erst einmal zulässig sein, bevor das Gericht in eine inhaltliche Prüfung einsteigt. Parteien dürfen laut Gesetz kein Verbotsverfahren einleiten. Um sich gegen einzelne Äußerungen zu wehren, müsste die Partei wahrscheinlich erst einmal durch die Instanzen gehen, bevor Karlsruhe dran ist. Es bestehen also große Bedenken, ob der Antrag überhaupt zulässig ist.