Abstimmung im Bundestag Organspende - darum geht es
Bei der Abstimmung über die Organspende im Bundestag standen zwei Modelle zur Wahl. Wer will was? Wie denkt die Bevölkerung? Wie ist das Thema in anderen Ländern geregelt? Die wichtigsten Antworten.
Worum ging es bei der Abstimmung im Bundestag?
Zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe lagen vor: Eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach schlug eine "doppelte Widerspruchslösung" vor. Demnach sollten automatisch alle Bürger als Organspender gelten. In dem Fall, in dem keine Willensbekundung des potenziellen Spenders vorliegt, sollten auch die Angehörigen befragt werden. Sie dürften dabei aber nicht ihre eigene Meinung geltend machen, sondern würden ausschließlich gefragt, ob sie eine Meinungsäußerung des potenziellen Spenders kennen. Spahn räumte ein, dass dieser Weg "einen nicht geringen Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen bedeuten" würde.
Der Organspendeausweis reicht ihm nicht: Gesundheitsminister Spahn will die Organspende neu organisieren.
Ähnlich sahen das auch die Kritiker der "Widerspruchslösung" und strebten deshalb eine "Entscheidungslösung" an. Für diesen Gesetzentwurf warb eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Katja Kipping (Linkspartei). Kernpunkt ihres Vorschlags ist eine aktive Abfrage bei den Bürgern alle zehn Jahre - etwa bei der Verlängerung des Personalausweises. Hausärzte sollen zudem mindestens alle zwei Jahre über eine mögliche Spende beraten. Die Antworten sollen dann in einer zentralen Datenbank registriert werden.
Wie ist die Organspende bislang geregelt?
In Deutschland regelt das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz die Organspende. Entnahmen sind nur bei einem ausdrücklichen Ja zulässig. Durch diese erweiterte Zustimmungslösung müssen sowohl Patienten zu Lebzeiten als auch ihre Angehörigen nach dem Tod einer Organspende zustimmen. Bedingung für eine Organentnahme ist der Hirntod des Patienten.
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1300 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen, die potenzielle Organspender identifizieren, melden und die Angehörigen begleiten sollen. Die Übertragung der Organe erfolgt in den bundesweit etwa 50 Transplantationszentren.
Neben der postmortalen Organspende ist auch eine Lebendorganspende möglich. Sie ist allerdings an enge rechtliche Rahmenbedingungen geknüpft. Eine Spende ist zudem nur an eine kleine Gruppe von Menschen möglich: Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offensichtlich nahestehen. Durch die hohen Auflagen soll der verbotene Organhandel unterbunden werden.
Wie viele Menschen warten auf Organe?
Derzeit warten in Deutschland mehr als 9000 Menschen auf ein Spenderorgan. Mit Abstand am dringendsten gebraucht werden Nieren. Viele Erkrankte warten außerdem auf eine Spenderleber oder ein neues Herz.
Bei dieser Zahl sind jedoch die Patienten nicht berücksichtigt, die zwar ein neues Organ bräuchten, aber nicht auf die Warteliste aufgenommen wurden. Laut DSO sind in Deutschland beispielsweise mehr als 90.000 Patienten aufgrund eines Nierenversagens dialysepflichtig. Nach Expertenschätzungen könnte etwa der Hälfte dieser Patienten mit einer Nierentransplantation geholfen werden, wenn die Wartezeiten auf eine Spenderniere kürzer wäre. Derzeit beträgt sie acht Jahre.
Wie viele Organspender gibt es?
Auf Spenderseite gab es zuletzt wenig positive Nachrichten: Nach einem Anstieg 2018 ging die Zahl 2019 leicht zurück: 932 Menschen spendeten nach ihrem Tod laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) insgesamt 2995 Organe. Am häufigsten wurden Nieren (1524), Lebern (726) und Lungen (329) gespendet.
In Ostdeutschland liegt die Zahl der Organspender leicht höher als in Westdeutschland.
Wie viele Menschen haben einen Organspendeausweis?
Einen ausgefüllten Organspendeausweis hatte 2018 etwa jeder dritte Deutsche. Einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse zufolge liegt die Zahl derzeit bei 40 Prozent. Demnach hat unter den Jüngeren von 18 bis 29 jeder Zweite einen Spendeausweis (51 Prozent), ab 70 ist es noch jeder Vierte (25 Prozent). Bei den Altersgruppen dazwischen liegt dieser Anteil zwischen 40 und 45 Prozent.
Interessant: Laut der BZgA-Studie erlauben 81 Prozent eine Organentnahme ohne Beschränkung. Wird die Spendenbereitschaft eingeschränkt, betrifft dies mit 56 Prozent am häufigsten die Augenhornhaut. Das Herz schließen 27 Prozent von der Spende aus, die Haut 17 Prozent.
Was sagt die Bevölkerung?
Die eher positive Einstellung zum Thema Organ- und Gewebespende ist in Deutschland derzeit mit 84 Prozent so hoch wie nie zuvor. Das ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unter 4000 Menschen zwischen 14 bis 75 Jahren aus dem Jahr 2018.
Demnach wären 72 Prozent der Befragten grundsätzlich bereit, selbst Spenderin oder Spender zu werden. 21 Prozent wären damit nicht einverstanden. Mit einer durchschnittlichen Spenderrate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner ist Deutschland allerdings weiter eines der Schlusslichter im internationalen Vergleich.
Das liegt am derzeitigen Organspendesystem. 33 Prozent der für die BZgA-Befragten haben den Eindruck, dass nach dem Tod gespendete Organe in Deutschland nicht gerecht verteilt werden. Die meisten Befragten (77 Prozent) wissen von Unregelmäßigkeiten bei Organvergaben, über die in den letzten Jahren berichtet wurde.
Wie macht es das Ausland?
Der Blick auf andere Staaten zeigt: In Europa überwiegt die Widerspruchslösung. Rund 20 europäische Staaten haben sie eingeführt. Jeder Bürger, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist damit ein potenzieller Organspender.
Darüber hinaus gilt in einigen Ländern eine erweiterte Zustimmungslösung - etwa in Dänemark, Island, Litauen, Rumänien und der Schweiz. In Bulgarien kann man sogar gegen den eigenen Willen zum Organspender werden.
Spanien ist mit einer Quote von 46,9 Spendern auf eine Million Einwohner Weltführer bei den Organspenden. Hier gilt die "Widerspruchsregel". Eine Organentnahme darf dort aber auch bei einem Herztod geschehen.
Welche Rolle spielt Eurotransplant?
Acht europäische Länder haben sich im sogenannten Eurotransplant-System zusammengeschlossen. Die Stiftung organisiert die Vergabe von Spenderorganen über Ländergrenzen hinweg.
Außer Deutschland sind Belgien, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien Mitglied bei Eurotransplant. In allen anderen Eurotransplant-Ländern außer Deutschland gilt die Widerspruchsregel.
Die Kooperation ermöglicht es, Spenderorgane einem möglichst geeigneten Empfänger zuzuordnen. Laut eigener Aussage zählen bei der Zuteilung von Organen ausschließlich medizinische und ethische Gesichtspunkte - etwa Blutgruppe oder Gewebetyp. Die konkrete Zuteilung erfolgt über eine elektronisch errechnete Matchliste.
Nach Entnahme müssen Spenderorgane innerhalb weniger Stunden transplantiert werden. Auf der zentralen Warteliste stehen derzeit rund 14.000 Patienten. Jedes Jahr werden etwa 7000 Organe über Eurotransplant vermittelt. Deutschland erhält mehr Organe als es zur Verfügung stellt.