Außen- und Entwicklungsministerium Wie feministische Politik aussehen soll
Die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik soll stärker auf die Rechte von Frauen und Mädchen achten. Aber was ist damit gemeint? Was sagen die neuen Konzepte?
Immer wieder hören die beiden Ministerinnen die Frage, warum denn die außen- und entwicklungspolitischen Leitlinien unbedingt den Zusatz "feministisch" erhalten mussten. Sie hätten überlegt, es anders zu nennen, räumt Entwicklungsministerin Svenja Schulze ein, "aber seien Sie doch mal ehrlich, hätten wir so viel über diesen anderen Blick auf Entwicklungs- und Außenpolitik diskutiert, ohne die Definition als feministische Politik? Wir haben noch nie so viel Aufmerksamkeit für bestimmte Projekte bekommen wie jetzt."
Außenministerin Annalena Baerbock und ihre SPD-Kollegin wissen, dass es nicht einfach ist, Feminismus in Außen- und Entwicklungspolitik zu erklären. Es werde einfacher, je konkreter ein Beispiel sei.
Beide Politikerinnen legen großen Wert darauf, bei ihren Auslandsreisen auf Projekte aufmerksam zu machen, die für sie Vorbildcharakter haben, in denen Frauen eine führende Rolle einnehmen. Ob es die Chefinnenriege einer äthiopischen Kaffeerösterei ist, die Baerbock jüngst besuchte. Oder die von einer Frau geleitete Kakaokooperative, von der Schulze vor wenigen Tagen in der Elfenbeinküste beeindruckt war. Das sind Projekte, die beide Ministerinnen fördern wollen.
Ob in der Wirtschafts- oder in der Sicherheitspolitik - das Ziel feministischer Außenpolitik, so Außenministerin Baerbock, sei es, gemeinsam stärker zu sein. "Friedensverhandlungen sind stabiler und tragfähiger, wenn alle Menschen mit am Tisch sitzen. Und das gilt insbesondere für die Hälfte der Bevölkerung, und das sind Frauen."
Frauen in Konflikten besonders verletzlich
Wie genau Frauen künftig stärker eingebunden werden sollen, hat die Grünen-Politikerin auf 80 Seiten vorgestellt. Darin beschreibt Baerbock feministische Außenpolitik als "bitternötig". Weil Männer und Frauen weltweit noch immer nicht gleichgestellt seien und weil Frauen in Konflikten besonders verletzlich seien, heißt es im Vorwort.
Um die Leitlinien auszuarbeiten, hat das Auswärtige Amt unzählige Gespräche geführt. Mehr als 100 Treffen soll es gegeben haben, mit Vertreterinnen aus anderen Außenministerien, aber auch mit Frauen aus der Zivilgesellschaft.
Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy ist eine davon. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio zeigt sich die Aktivistin überzeugt: Gerade wegen der vielen Kriege und Konflikte sei ein neuer Ansatz dringend nötig. "Die traditionellen Ansätze von Außen- und Sicherheitspolitik, die haben uns nur dazu geführt, dass sich die Zahl der Konflikte weltweit in den letzten Jahren verdoppelt hat. Von ungefähr 30 auf 60. Und auch die Zahl der Geflüchteten von 60 auf 80 Millionen", sagt sie.
Leitlinien gelten auch innerhalb der Ministerien
Drei Ziele beschreibt Baerbock in den Leitlinien: Die Rechte von Frauen und Mädchen sollen geachtet und gefördert werden, Frauen besser vertreten sein. Auch im Auswärtigen Amt selbst. Nur knapp 30 Prozent der deutschen Auslandsvertretungen werden zurzeit von Frauen geleitet. Das soll sich ändern.
Bei der Projektarbeit geht es auch um einen gleichen Zugang, beispielsweise zu Bildung und zu humanitärer Hilfe. Die Förderung von Frauen soll sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Ministerien ziehen.
Was die Leitlinien von früheren Bekenntnissen, auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten, unterscheide: Die Entschiedenheit, mit der die Prinzipien feministischer Außen- und Entwicklungspolitik künftig verfolgt werden sollen.
Gleichstellung von Frauen Bedingung für Fördergelder
Entwicklungsministerin Schulze legte gleichzeitig mit Baerbock die Strategie ihres Hauses auf gut 40 Seiten vor. Sie habe sich vorgenommen, so Schulze, den Anteil an Projekten, die auf Gleichstellung einzahlen, deutlich zu erhöhen. "Wir sind im Moment bei 65 Prozent. Das ist deutlich unter dem, was andere Länder machen. Ich möchte das in den nächsten Jahren auf 93 Prozent erhöhen."
Konkret heißt das, Geld perspektivisch fast nur noch für Projekte zur Verfügung zu stellen, die Frauen im Globalen Süden gleichberechtigt miteinbeziehen, die sie zum Beispiel dabei unterstützen, selbst zu entscheiden, wie viele Kinder sie bekommen. Oder die es ihnen ermöglichen, Land zu kaufen.
"Frauen haben immer noch keine Landrechte in vielen Ländern", klagt Schulze. Sie will mit konkreten Projekten helfen, dass Frauen über genossenschaftliche Projekte Land besitzen können. Nur so könnten sie dann auch Kredite erhalten und zum Beispiel ein kleines Geschäft aufbauen.
"Feministische Außenpolitik steht für Abrüstung"
Frauen als Teil der Lösung gegen Hunger, gegen die Folgen des Klimawandels - darauf kommt es Ministerin Schulze besonders an. In ihrem und auch in Baerbocks Papier geht es um einen anderen Politikstil.
Doch der Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy, Lunz, gehen die Leitlinien nicht weit genug, vor allem in Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Aktivistin sagt, feministische Außenpolitik richte sich auch gegen Gewaltstrukturen. Und damit auch gegen Aufrüstung. Der Bundesregierung seien Waffenlieferungen und Sondervermögen für die Bundeswehr besonders wichtig.
Lunz dagegen fordert, dass "für jeden Euro, der in Militarisierung, Aufrüstung, Ausstattung der Bundeswehr gesteckt wird, auch ein Euro in menschliche Sicherheit durch feministische Außenpolitik, feministische Entwicklungszusammenarbeit fließt." So wie es SPD, Grüne und FDP in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben.
Neuausrichtung umstritten
Kritik kommt auch von der Opposition. Legendär ist der Schlagabtausch im Bundestag zwischen dem Fraktionsvorsitzenden der Union, Friedrich Merz, und Außenministerin Baerbock. "Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, feministische Entwicklungshilfepolitik - das können Sie alles machen. Aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr", sagte Merz vor knapp einem Jahr in der Bundestagsdebatte über das Sondervermögen der Bundeswehr.
Das ließ die grüne Ministerin nicht auf sich sitzen. Sie erinnerte daran, wie der Internationale Strafgerichtshof im Bosnienkrieg Vergewaltigung nicht als Kriegswaffe anerkannt hatte und wie sehr die vergewaltigten Frauen von Srebrenica unter den Folgen der Misshandlung zu leiden hatten. "Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe der Zeit."
Und immer wieder fordern auch Politikerinnen und Politiker, Baerbock müsse dem Iran und den Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen und Mädchen entschiedener entgegentreten, gerade angesichts ihres Anspruchs einer feministischen Außenpolitik. Sonst sei diese von vornherein unglaubwürdig.
Unumstritten ist die Neuausrichtung von Außen- und Entwicklungspolitik also nicht. Sie wird auch nicht vom Kabinett beschlossen. Es sind lediglich Leitlinien für die Arbeit in den Ministerien, denn auch in der Koalitionsregierung gibt es den ein oder anderen, der sich am Begriff Feminismus stört.