Bundespräsident kritisiert Flüchtlingspolitik "Niemand sollte sich daran gewöhnen"
Bundespräsident Gauck hat die Flüchtlingspolitik der EU kritisiert. Die wachsende Zahl der Bootsflüchtlinge sei auch eine Reaktion auf die Abschottung. Niemand solle sich an die Bilder von Lampedusa gewöhnen. Auch Deutschland müsse mehr tun.
Angesichts steigender Flüchtlingszahlen hat Bundespräsident Joachim Gauck mit deutlichen Worten mehr Engagement für Zufluchtsuchende in Europa gefordert. In einer Grundsatzrede in Berlin verlangte er mehr Solidarität mit Flüchtlingen, aber auch bei der Teilung der Lasten zwischen den europäischen Ländern. "Wir, das heißt Deutschland und auch Europa, tun viel - aber nicht so viel, wie es uns selbst manchmal scheint", sagte Gauck.
Kritik an Abschottung der EU-Grenzen
"Die Bilder der Särge im Hangar des Flughafens von Lampedusa, die Bilder der kletternden Menschen am Stacheldrahtzaun der Exklaven Ceuta oder Melilla - sie passen nicht zu dem Bild, das wir Europäer von uns selber haben", sagte der Bundespräsident. Die wachsende Zahl der Bootsflüchtlinge sei "auch eine Reaktion auf die zunehmende Abschottung der südöstlichen Landgrenzen der Europäischen Union".
Immer mehr Fluchtwillige versuchten den "lebensgefährlichen Weg übers Meer". Dabei seien in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten vermutlich etwa 23.000 Menschen verdurstet, ertrunken oder verschollen, sagte Gauck. "Ich kann mich daran nicht gewöhnen. Niemand in Europa sollte sich daran gewöhnen." Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik habe nicht nur die europäischen Grenzen zu schützen, sondern auch Menschenleben an den Grenzen Europas.
Gründliche Einzelfallprüfung in Deutschland gefordert
Der Bundespräsident mahnte, auch in Deutschland müssten die Menschenrechte der Migranten gewahrt werden. Dazu gehöre eine gründliche Einzelfallprüfung für jeden Zufluchtsuchenden. Flüchtlinge und Asylbewerber sollten zudem einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, um ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu können. Gauck begrüßte die Verabredung der Koalitionsparteien Union und SPD, für eine schnellere Prüfung von Asylanträgen zu sorgen.
Zudem warnte er die Deutschen vor Selbstgerechtigkeit: In absoluten Zahlen kämen in kein Land Europas mehr Asylbewerber als in die Bundesrepublik. Gemessen an der Bevölkerungszahl aber liegt Deutschland nach Gaucks Worten in Europa längst nicht an der Spitze, sondern auf Platz 9, deutlich hinter Schweden, auch hinter Österreich, Ungarn und Belgien.