Ein Mann trägt eine heruntergerutschte Maske.
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Fünf Jahre Corona So gespalten war die Bevölkerung

Stand: 11.03.2025 05:00 Uhr

Fast jeder Zweite hatte ernsthafte Meinungsverschiedenheiten wegen Corona. Der Bruch verlief auch zwischen den Generationen. Besonders die Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen spielten dabei eine Rolle.

Eine Analyse von Jan Koch, WDR und Christian Basl, WDR

Laura war als Intensivpflegerin lange ungeimpft. Für sie mit gutem Grund, denn für sie war trotzdem klar: Sie gab alles, schützte ihre Patientinnen und Patienten mit Maske und der Einhaltung der Hygiene- und Kontaktregeln. "Ich habe mir jeden Tag acht Stunden mit Herz, wirklich mit Herz, meinen Arsch aufgerissen für andere Menschen. Weil mir so viel daran liegt", erzählt Laura, die eigentlich anders heißt, im WDR-Podcast "CUT - Das Virus, das uns trennt".

Weil sie aber ungeimpft blieb, musste die damalige Intensivpflegerin sich immer und immer wieder rechtfertigen. "Das hat mich so überrascht, wie böse auch die Menschen über Ungeimpfte gesprochen haben und wie sehr sie in einer Schublade waren. Und das waren Kollegen, die ich von Herzen gemocht und geschätzt habe", sagt sie heute. 

Fundamentale Differenzen?

Dass es Meinungsverschiedenheiten gab, zeigt auch eine Befragung des ARD-DeutschlandTrends für den WDR-Podcast aus dem Januar: Wie Laura hatte fast jeder zweite Deutsche (46 Prozent) im Freundes- oder Familienkreis ernsthafte Meinungsverschiedenheiten. 53 Prozent hatten wegen Corona keine Meinungsverschiedenheiten. 

In den vielen Tragödien, die Laura erlebte, begegnete sie den Patienten mit kleinen menschlichen Gesten, zum Beispiel, der älteren Patientin die Lieblings-Teesorte ans Bett zu bringen. Sie investierte all ihre Kraft in den Job - mit Maske, aber eben ungeimpft: Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert.

Ein WDR-Team wollte der Frage nachgehen, entlang welcher Linien die Meinungsverschiedenheiten während der Corona-Pandemie angewachsen sind. Dafür wurden mehr als 140 Fragen aus dem ARD-DeutschlandTrend, die während der ersten Pandemiejahre gestellt wurden, übergreifend ausgewertet und berechnet, wie sehr sich die Antworten im Lauf der Zeit voneinander unterschieden.

Ein Ergebnis: Nach anfänglicher Einigkeit wuchsen Meinungsdifferenzen in Fragen zur Corona-Pandemie allmählich an, vor allem zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien, aber auch zwischen jung und alt.

Generationen bewerteten Maßnahmen zunehmend unterschiedlich

Das zeigt sich etwa an folgender Frage, die zwischen 2020 und 2022 mehrmals gestellt wurde: "Sind die aus Ihrer Sicht geltenden Corona-Maßnahmen in Deutschland alles in allem angemessen, gehen sie zu weit oder gehen sie nicht weit genug?" Im ersten Pandemiejahr, im Oktober 2020, lagen die Altersgruppen in ihrer Antwort noch näher beieinander. So gaben 17 Prozent der 18-34 Jährigen an, die Maßnahmen gingen zu weit - von den über 65 Jährigen gaben das 6 Prozent an. Jung und alt trennte in dieser Frage also nur 11 Prozentpunkte. 

Doch dieser anfängliche Unterschied wuchs im Laufe der Pandemie allmählich an und erreichte im Februar 2022 einen ersten Höhepunkt. Da lag zwischen jung und alt inzwischen ein Unterschied von bis zu 30 Prozentpunkten: Während nur 17 Prozent der über 65-Jährigen die Corona-Maßnahmen als "zu weitgehend" empfanden, taten das bereits 47 Prozent der 35-49 Jährigen und 44 Prozent der 18-34 Jährigen. 

Auch zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien sind die Meinungsdifferenzen allmählich angewachsen. Im Mai 2020, als über die bestehenden Corona-Maßnahmen diskutiert wurde, fand die Hälfte der Deutschen, dass die Politik größere Lockerungen beschließen sollte. Die Anhänger der unterschiedlichen Parteien lagen zu diesem Zeitpunkt noch näher beieinander, genauer: 32 Prozentpunkte, zwischen den FDP-Anhängerinnen und - anhägern auf der einen und den SPD-Anhängerinnen und -anhängern auf der anderen Seite. 

Im August 2020 trennten die Anhänger der unterschiedlichen Parteien bereits 43 Prozentpunkte bei der Beurteilung der Corona-Maßnahmen als "zu weitgehend". Lager bildeten sich heraus. Auf der einen Seite: die AfD-Anhänger, die späteren Maßnahmenkritiker. Auf der anderen Seite: die Anhänger der Grünen, der SPD und der Union, die den Corona-Maßnahmen auch im Verlauf der Pandemie weniger kritisch gegenüberstanden. 

Dann, im Frühjahr 2021, erreichte diese Differenz den ersten Höhepunkt: zwischen der AfD- und Grünen-Anhängerschaft lagen im Februar in der Beurteilung der Corona-Maßnahmen 72 Prozentpunkte. 

Kontaktabbrüche kamen nur selten vor

Mit den Maßnahmen war Intensivpflegerin Laura alles in allem einverstanden, vor allem, um Corona-Patienten und Risikogruppen zu schützen. Doch es gab keinen Tag, an dem sie auf der Arbeit, in den Medien oder auch im Freundeskreis nicht mit ihrer Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, konfrontiert war. Sie hatte aus ihrer Sicht gute Gründe: nicht Verschwörungserzählungen, sondern vor allem fehlende Informationen über die Impfungen. 

Immer wieder musste sie sich rechtfertigen: "Es gab mich nicht. Es gab ja entweder die Geimpften, die es gerafft haben, die solidarisch sind oder es gab die Verschwörungstheoretiker und Nazis - und dazwischen war irgendwie kein Raum."

Es wurde Sommer 2021 und die Diskussionen gingen weiter. Auch für Intensivpflegerin Laura, die weiterhin unter enormer Belastung aufgrund der vielen Corona-Patienten arbeitete. Gemeinsam mit ihrem damaligen Freund redete sie häufig über Corona und auch die Impfung. "Wir waren da voll auf einem Nenner", erzählt sie im WDR-Podcast. "Es tat immer gut, mit so einem - ich sage jetzt mal - Verbündeten zu sprechen." 

Eines Abends aber offenbarte ihr Freund ihr, dass er sich bei der Arbeit doch hatte impfen lassen - ohne das vorher mit Laura abzusprechen. Die Intensivpflegerin war zutiefst enttäuscht. "Ich frage mich wirklich, wie er das tun konnte. Wieso er das gemacht hat?" Sie habe sich hintergangen gefühlt, erzählt sie.

In einigen Familien oder Freundeskreisen führten die Meinungsverschiedenheiten sogar zu Kontaktabbrüchen. Von den 46 Prozent, die im Januar 2025 angaben, Meinungsverschiedenheiten gehabt zu haben, erlebte jeder Vierte (25 Prozent) einen dauerhaften oder zeitweisen Kontaktabbruch. Die Hauptgründe dafür seien die Corona-Impfung (52 Prozent) und die Corona-Einschränkungen gewesen (32 Prozent).

Vor allem die Impfdebatte beförderte Meinungsdifferenzen

Dass es vor allem diese beiden Themen waren, die den gesellschaftlichen Graben vergrößert haben, zeigt auch die Auswertung der DeutschlandTrend-Fragen. Sowohl bei Fragen zum Impfen als auch bei Fragen zu Maßnahmen gehen die Antworten generationenübergreifend zunehmend auseinander.

So lagen die verschiedenen Altersgruppen bei Impf-Fragen im August 2020 durchschnittlich 12 Prozentpunkte auseinander - im Juli 2022 war dieser Unterschied auf 55 Prozentpunkte angewachsen. Besonders bei Fragen rund um eine mögliche Impfpflicht zeigten sich die jüngeren Altersgruppen kritischer als die älteren. Auch die Anhänger unterschiedlicher Parteien beantworteten Impf-Fragen zunehmend anders, der Unterschied wuchs von 26 auf 55 Prozentpunkte. Weder zwischen Ost und West noch zwischen Männern und Frauen taten sich solche Unterschiede auf. Ähnliches lässt sich bei den verschiedenen DeutschlandTrend-Fragen zu Corona-Maßnahmen beobachten.

Auch die aktuelle Befragung aus dem Januar 2025 zeigt, dass die Pandemie je nach Parteianhängerschaft oder Alter anders wahrgenommen wurde: So gab etwa eine Mehrheit von 57 Prozent der AfD-Anhänger an, ernsthafte Meinungsverschiedenheiten gehabt zu haben - bei SPD-Anhängern sind es nur 36 Prozent. Bei den unter 35-Jährigen hatten 58 Prozent ernsthafte Meinungsverschiedenheiten, bei den über 65-Jährigen nur 33 Prozent.

Heute ist Intensivpflegerin Laura geimpft. Doch sie bereut es. Sie habe es Ende 2021 nur gemacht, weil sie dem gesellschaftlichen Druck und einer drohenden Impfpflicht für Klinik- und Pflegepersonal nicht mehr standgehalten habe, erzählt sie im WDR-Podcast. "Als hätte ich mich selber verraten. Ich habe es nur gemacht, weil ich mich gezwungen gefühlt habe."

Methodik der Analyse
Für die Analyse wurden aus den gesammelten Jahresdatensätzen 2020, 2021 und 2022 die Ergebnisse aller Fragen zum Thema Corona (n=144) in den jeweiligen Untergruppen neu berechnet und analysiert, wie weit die Ergebnisse in den Altersgruppen, politischen Lagern, zwischen Ost und West sowie zwischen den Geschlechtern jeweils maximal auseinander liegen (= Spannweite). Neben der Spannweite wurden weitere statistische Maße errechnet (Standardabweichung und Interquartilsabstand), um die Streuung der Antworten zu überprüfen. Die Neuberechnung war nötig, um eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse herzustellen. So wurde etwa die Einteilung der Altersgruppen vereinheitlicht. Dadurch und durch technisch bedingte unterschiedliche Rundungsmethoden kann es vereinzelt zu geringfügigen Abweichungen (<= 1 %) von früher veröffentlichten Ergebnissen kommen. 

Neben der übergreifenden Analyse wurde auch eine repräsentative Befragung durchgeführt. Erhebungszeitraum: 6. bis 8. Januar 2025. Fallzahl: 1.323 Befragte (785 Telefoninterviews und 583 Online-Interviews). Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent, 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent.