
Fünf Jahre nach Pandemiebeginn Was hätte bei Corona besser laufen können?
Schon lange diskutieren Politik und Wissenschaft über Lehren aus der Corona-Zeit. Bundespräsident Steinmeier fordert eine ausführliche Aufarbeitung. Nun äußern sich Drosten, Müller und andere dazu, was hätte besser laufen können.
Es gebe einen deutlichen Unterschied zwischen wissenschaftlicher Bewertung und politischer Entscheidung, macht Virologe Christian Drosten im WDR-Podcast "CUT" sehr schnell klar. Seine Haltung: Die Wissenschaft könne darstellen, wie die Lage ist und welche Optionen auf dem Tisch liegen. Welche Schlüsse daraus gezogen werden sollten, das entscheide die Politik.
Über die Festlegung auf erste Maßnahmen im März vor gut fünf Jahren sagt er heute: "Ich wurde ein bisschen von den politischen Maßnahmen überrascht. Es ging irgendwie dann viel rabiater und schneller zur Sache, als ich mir das vorstellen konnte. Ich habe tatsächlich die Informationen im Hintergrund geliefert, und als Mitte März die ersten Maßnahmen kamen und ich dann sah, was die Politik daraus postwendend macht, war ich schon ganz schön überrascht bei einigen Dingen."
Drosten: Versammlungsverbote waren wichtig
Dass die Politik immer zu heftig reagiert habe, ließe sich so pauschal aber auch nicht sagen, so Drosten: "An einigen Stellen hat die Politik forscher oder stärker reagiert, als das nach meinem Empfinden aus der Politikberatung hervorging. An anderen Stellen war es gerade umgekehrt. Da hat sie eher gezögert." Das sei natürlich besonders deutlich zum Winter 2020/21 hin gewesen. Bei der damaligen schweren Winterwelle habe die Politik zu wenig gemacht und zu spät gehandelt, so der Virologe.
Am Ende gilt aber auch, dass Virologen wie Christian Drosten die Bundesregierung elementar beraten haben. Viele Entscheidungen der Politik der damaligen Bundesregierung fußten auf ihren wissenschaftlichen Aussagen. Heute sagen viele, eine Aufarbeitung der Pandemie sei wichtig.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei klar: Maske tragen, Versammlungsverbote, all das habe laut Christian Drosten das Virus eingedämmt und den Pandemieverlauf positiv beeinflusst. Vor allem Versammlungsverbote "haben von allen Maßnahmen am meisten gebracht. Die haben auch eindeutig mehr gebracht, wenn die maximale Gruppengröße möglichst klein gehalten war. Also je einschneidender, desto effektiver", sagt Drosten im WDR-Podcast.
Müller: Junge Erwachsene vergessen
Einer der politischen Entscheider vor fünf Jahren war der Berliner SPD-Politiker Michael Müller. Er war während der Corona-Pandemie Regierender Bürgermeister von Berlin und von Herbst 2020 bis Herbst 2021 Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Er hat die politischen Maßnahmen der ersten Winterwelle entscheidend mitgeprägt - und setzt sich heute, fünf Jahre nach der Pandemie, für eine politische Aufarbeitung dieser Zeit ein.
Müller ist davon überzeugt, dass die Mehrheit der getroffenen Maßnahmen richtig gewesen seien. Heute zeigt er sich aber auch selbstkritisch: "Wir haben sehr viel über die Alten in Pflegeheimen gesprochen. Zu Recht." Bei den jungen Erwachsenen hätte man aber gar nicht auf dem Schirm gehabt, was das für sie bedeute. "Die konnten nicht zu ihrer Familie, weil Reisen ging ja nicht mehr, war ausgeschlossen. Die konnten zu keiner Arbeitsstelle, Gastronomie, Dienstleistung. Hat alles nicht stattgefunden. Die konnten nicht in die Uni."
Gruppe der Ungeimpften
Viel wurde im Laufe der Pandemie über die Ungeimpften gesprochen. In der Coronazeit warf Müller ihnen "Egoismus und Gleichgültigkeit" vor. Auf seine harte Linie angesprochen, sagt Müller im WDR-Podcast: "Ich akzeptiere jede Nachfrage, jede Sorge und dass man bessere Aufklärung wollte oder vielleicht auch mehr Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen." Es sei nicht alles gelungen in der Corona-Zeit. "Aber den grundsätzlichen Weg zu sagen: Ihr müsst Abstand halten, ihr müsst Maske tragen. Und bitte nehmt das Angebot jetzt auch schnell an, weil ihr andere schützt und weil es nicht nur um euch geht. Das finde ich immer noch richtig."
Für seine politischen Entscheidungen musste sich Müller nicht nur in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Auch im eigenen Freundeskreis gab es dazu Diskussionen, erzählt er: "Ein Freund, der nicht bei seinem Vater sein konnte, als er gestorben ist. Durch unsere Regeln konnte er nicht im Altenheim dabei sein. Das gab kritische Nachfragen bei mir, um es mal vorsichtig zu sagen."
Damit ist er nicht alleine. Eine exklusive Erhebung des ARD-DeutschlandTrends im Auftrag des WDR-Podcast "CUT" zeigt: Fast jeder Zweite hat sich mit seiner Familie oder Freunden in der Coronazeit gestritten, zum Beispiel zu unterschiedlichen Haltungen zur Corona-Impfung.
Fokus auf Regierungsentscheidungen?
Hat dazu auch die Berichterstattung beigetragen? Florian Harms ist einer der führenden Journalisten in Deutschland, Chefredakteur des Online-Portals t-online. Er sagt: "Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass es bestimmte Meinungen oder Ansichten gibt, die aktiv unterdrückt worden seien durch die Medien, wie das beispielsweise in autokratischen Systemen passiert." Und trotzdem kritisiert er gleichzeitig eine zu starke Fokussierung auf Regierungsentscheidungen - auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Nicht nur er, auch einige Wissenschaftler kritisieren, dass der Bevölkerung im Nachgang nicht deutlich genug kommuniziert worden wäre, welche Virologen und Wissenschaftler zu politischen Beratern wurden und welche nicht. Das könne verbessert werden.
Es gibt also viel, was aus heutiger Sicht nochmal rekapituliert werden könnte, worüber nochmal gestritten werden sollte - und woraus wir für die Zukunft Schlüsse ziehen können. Eine gesellschaftliche Corona-Aufarbeitung könnte helfen besser durch kommende historische Konflikte zu kommen.