Elektronische Krankmeldung Ziel bisher verfehlt
Seit 2023 müssen Arbeitgeber Krankmeldungen digital bei der Krankenkasse erfragen. Das System soll für weniger Bürokratie sorgen. In der Praxis ist oft noch das Gegenteil der Fall.
Der "Gelbe Schein" hat ausgedient: Wer wegen Krankheit nicht zur Arbeit erscheinen kann, musste bisher die offizielle Krankmeldung an Arbeitgeber und Krankenkasse schicken. Mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) soll sich das ändern. Sie soll digital vom Arzt an die Krankenkasse übermittelt werden, wo der Arbeitgeber sie dann abrufen kann.
Dieser Vorgang ist seit dem 1. Januar nun auch für Arbeitgeber verpflichtend. Und tatsächlich werden laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bereits mehr als 80 Prozent der AU-Bescheinigungen digital übermittelt. Fast alle Arztpraxen nutzen demnach das System und auch in Firmen wird die Möglichkeit zunehmend umgesetzt: Dieses Jahr wurden bereits mehr als 21 Millionen digitaler Krankmeldungen von Arbeitgebern abgerufen, im März waren es 13 Prozent mehr als im Februar. Ziele der digitalen Lösung sind der Abbau von Bürokratie, Vermeidung von Papier sowie die Schaffung von mehr Transparenz.
Jährlich eine Million Stunden mehr Bürokratie
In der Praxis würde dieses Ziel bisher jedoch verfehlt, so Roland Stahl, Pressesprecher der KBV. Im Gegenteil hätte sich der bürokratische Aufwand durch die eAU sogar merklich erhöht. Grund sei das aufwändige elektronische Signaturverfahren, mit dem Ärzte die herkömmliche Unterschrift ersetzen müssen.
Zudem kommt es vermehrt zu technischen Problemen: Bei einem fehlgeschlagenem Digitalversand muss dann noch immer eine papiergebundene Ersatzbescheinigung ausgestellt werden. Der KBV-Bürokratieindex für 2022 hat ergeben, dass jeder Vorgang somit 50 Sekunden länger dauert. Im Jahr bedeute das ein Mehr von 1,25 Millionen Stunden Bürokratie in deutschen Praxen.
Software als Herausforderung
Wie gut das System funktioniert, ist in vielen Fällen abhängig von der Software. Um die Sicherheit sensibler Patientendaten auch weiterhin zu gewährleisten, müssen geeignete Schnittstellen geschaffen werden. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber Daten erst dann anfordern darf, wenn der Arbeitnehmer sich telefonisch krankgemeldet hat. Firmen müssen sich also proaktiv an die Krankenkassen wenden.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) teilte auf Anfrage mit, dass keine Fälle zu Datenschutzrechtsverletzungen in Zusammenhang mit der elektronischen Krankmeldung bekannt seien. Die Anbindung selbst kann jedoch zu Aufwand und Kosten führen, beispielsweise wenn Arbeitgeber eine Lohnsoftware nutzen, für die noch keine Schnittstelle existiert.
Übermittlung teils mehrere Tage verzögert
Zudem haben auch bestehende Systeme Verbesserungspotenzial: So hat die Vogel Communications Group in Würzburg zeitnah eine Schnittstelle integriert. Wenn sich ein Mitarbeitender hier krankmeldet, stellt Sachbearbeiterin Anita Kempe nun eine Anfrage an die jeweilige Kasse, um die eAU abzurufen. Eine zeitnahe Übermittlung am Tag der Anfrage sei aber die Ausnahme, erzählt Kempe. Meist gebe es nur die Fehlermeldung "eAU liegt nicht vor."
Teilweise komme es zu einer Verzögerung von bis zu fünf Tagen oder einem generellen Fehlen der Übermittlung. Immer wieder muss Kempe die Anfrage deshalb erneut stellen: "Im Gegensatz zu früher ist es schon fast der doppelte Aufwand."
Papierscheine weiterhin im Einsatz
Das Problem sei, dass der Fehlerursprung bei einer fehlenden eAU kaum ermittelt werden kann. "Wir wissen nicht: Liegt es an unserer Technik, der Kasse oder wurde vom Arzt gar nichts übermittelt?", so Gerhard Zall, Leiter der Personalabteilung. Auch wenn ein falscher Krankheitszeitraum abgefragt wurde, erscheine lediglich eine Fehlermeldung ohne weitere Hinweise. "Da bleiben einfach zu viele Fragen", so Zall. Im schlimmsten Fall wird dann ein Mitarbeitender zu Unrecht einer unentschuldigten Fehlzeit beschuldigt.
Auch Lohnfortzahlungen können in Gefahr sein, da die Krankmeldung gesetzlich spätestens zum vierten Tag der Abwesenheit vorliegen muss. Die Vogel-Personalabteilung hat deswegen beschlossen, dass Mitarbeitende auch weiterhin auf freiwilliger Basis einen Durchschlag der AU einreichen können.
Bisher nur für gesetzlich Versicherte
Papierlos funktioniert also auch das neue System noch lange nicht. Hinzu kommt, dass ohnehin nicht alle Arbeitnehmer an dem Verfahren der eAU teilnehmen können. Ausgeschlossen sind unter anderem privat Versicherte, Studierende und Schülerinnen und Schüler.
Auch wenn Behörden, wie beispielsweise die Agentur für Arbeit, im Spiel sind, braucht es weiterhin die Bescheinigung in Papierform. Zudem erhält ohnehin jeder Arbeitnehmer noch immer einen Durchschlag der AU für seine Unterlagen. Dies könnte erst mit einer Aufnahme der AU in die elektronische Patientenakte vermieden werden.