Nach Ausschreitungen in Stuttgart Aufarbeitung nach dem "Gewaltrausch"
31 verletzte Einsatzkräfte, 228 festgestellte Identitäten: Nach dem Großeinsatz der Polizei in Stuttgart werden Rufe nach dem Verbot einer weiteren Eritrea-Veranstaltung laut. Davon sehen die Behörden aber fürs Erste ab.
Hämatome, eine Fleischwunde und Prellungen: Die Folgen des Einsatzes am Wochenende spüren die Polizeibeamten noch immer. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprach vor der Presse in Stuttgart von einem unerwarteten Gewaltexzess seitens eines wütenden Mobs gegenüber der Polizei. Wären die Beamtinnen und Beamten nicht so mutig vorgegangen, dann "hätte es wahrscheinlich Tote gegeben", so schätzt Strobl die Lage rückblickend ein.
Am vergangenen Samstag war es am Rande einer angemeldeten Eritrea-Veranstaltung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Organisiert wurde sie vom Verband der eritreischen Vereine in Stuttgart und Umgebung. Während sich in den Räumen des Stuttgarter Römerkastells im Stadtteil Bad Cannstatt rund 80 bis 90 Menschen versammelten, die laut Polizei dem diktatorischen Regime im Nordosten Afrikas nahestehen, sammelten sich vor dem Gebäude mehr als 200 Gegnerinnen und Gegner der eritreischen Regierung.
228 Identitäten festgestellt
Im Verlaufe des Nachmittags kam es dann zu Angriffen auf die Polizeibeamten, die die Veranstaltung absicherten. Mit Steinen, Flaschen, Metallstangen und Holzlatten seien die Einsatzkräfte vor Ort angegriffen worden, so ein Polizeisprecher. Zunächst hieß es, 27 Menschen seien verletzt worden. Am Nachmittag sprach Innenminister Strobl nun von insgesamt 31 verletzen Einsatzkräften. Die Zahl werde sich wohl noch in den kommenden Tagen erhöhen "wenn das Adrenalin nachlässt". Erst dann würden manche Verletzungen zutage treten, so der Innenminister.
Strobl zitierte eine Beamtin, die den Angriff am Wochenende beschrieb, als habe man sich einer "Wand aus Steinen" stellen müssen. Der Innenminister dankte den Beamtinnen und Beamten für ihren Einsatz gegen die zahlenmäßig überlegenen Angreifer. Man habe bereits fast alle Identitäten von 228 Menschen festgestellt, die eingerichtete Ermittlungsgruppe werde nun "zügig, professionell und minutiös" die Geschehnisse des Wochenendes aufarbeiten, so Strobl.
"Unerwarteter Gewaltrausch"
Auf die Frage, ob die Veranstaltung besser hätte abgesichert werden sollen und ob man die Lage unterschätzt habe, reagierte der Innenminister abweisend. Die Polizei habe sich gut vorbereitet und keine Anmeldung für eine Gegendemonstration vorgelegen. Zum Schutz der angemeldeten 80 Menschen im geschlossenen Raum seien 20 Polizisten eingeplant gewesen. Das spätere Störungsausmaß sei so nicht absehbar gewesen sein, hieß es heute von Strobl: "Die Polizei war in einem unerwarteten Gewaltrausch konfrontiert."
Doch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Baden-Württemberg, Ralf Kusterer, hält in einem SWR-Interview dagegen. Er teile die Einschätzung Strobls nicht: "Meine Lageeinschätzung wäre eine andere gewesen." Man hätte von einem erhöhten Gefährdungspotenzial ausgehen müssen, so Kusterer. Bereits im Juli hatte es Ausschreitungen um ein Eritrea-Festival im hessischen Gießen gegeben.
26 Polizeikräfte wurden damals verletzt - sieben davon schwer. Die Stadt Gießen hatte die Veranstaltung zunächst verboten. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Beschluss allerdings auf. Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) äußerte sich nach den Ausschreitungen in Stuttgart zum eritreischen Konflikt in Deutschland kritisch. Die Gewalttäter müssten zur Verantwortung gezogen werden.
Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs
Für kommenden Samstag wurde eine weitere Veranstaltung vom Verband der eritreischen Vereine in Stuttgart angekündigt. Die Stadt gab an, im Vorfeld mit allen Parteien sprechen zu wollen. Bisher habe es keine Gründe gegeben, die Eritrea-Veranstaltungen zu verbieten, die Stadt werde aber Konsequenzen aus den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft ziehen, hieß es. Der Ordnungsbürgermeister der Stadt Stuttgart, Clemens Maier (Freie Wähler), sagte heute, ein Verbot einer Veranstaltung sei allerdings ein "scharfes Schwert". Es sei auch nicht sinnvoll, den Veranstalter dafür zu bestrafen, dass Gegendemonstranten sich straffällig verhielten.
Ähnlich sieht es auch Johannys Russom vom Dachverband der eritreischen Vereine in Stuttgart, der die vergangenen Veranstaltungen in Stuttgart und Gießen mit verantwortet hat. "Sie wollen uns mundtot machen. Wieso sollten wir den Gewalttätern nachgeben?" Er will an dem Termin in Stuttgart festhalten. Zum Vorwurf, dass bei den Veranstaltungen Geld gesammelt werde, um das eritreische Regime damit zu unterstützen, sagte Russom dem SWR: "Dafür gibt es keine Beweise."
Baden-Württembergs Innenminister Strobl betonte, in Deutschland würden "politische Auseinandersetzungen nicht mit Gewalt geführt". Wer hingegen im "Gewaltrausch" Beamtinnen und Beamte angreife, mache deutlich, dass er in dieser Gesellschaft nicht dazugehören wolle. Er sei sich sicher, dass der Rechtsstaat auf die Vorkommnisse am Wochenende klare Antworten haben werde, so Strobl vor der Presse in Stuttgart. Gegen die Tatverdächtigen wird unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und Körperverletzung ermittelt.