Coming-out im Fußball "Der 17. Mai ist nur ein Startpunkt"
Die Kampagne "Sports Free" plant heute am internationalen Tag gegen Homophobie ein Gruppen-Coming-out im Fußball. Das Ziel: Sichtbarkeit schaffen. Noch ist aber unklar, ob auch Profi-Fußballer mitmachen werden.
Über sein Privatleben hat Dirk Elbrächter im Job viele Jahre lang kaum gesprochen. Während andere von ihren Ehefrauen und Kindern erzählten, hielt er bewusst geheim, dass er mit einem Mann zusammenlebt.
Elbrächter ist kein Profi-Fußballer, aber er berichtete über viele Jahre als Reporter und Moderator über den Sport und erlebte, wie in seinem Umfeld Pässe als "schwul" oder Spieler und Schiedsrichter als "Schwuchtel" bezeichnet wurden. "Ich hatte in diesem beruflichen Kontext, gerade was den Fußball angeht, immer das starke Gefühl, dass Homosexualität nicht angesagt ist, nicht männlich ist, da nicht hingehört. Und deswegen dachte ich: Ich sage halt einfach nichts."
Vorbild sein
Seit März 2022 arbeitet Dirk Elbrächter als Leiter Content Management beim Bundesligaclub TSG Hoffenheim. Hier hatte er vor wenigen Wochen sein Coming-out, mit 51 Jahren, in einer Geschäftsleitersitzung. Inspiriert hat ihn die Kampagne "Sports Free", die ein Gruppen-Coming-out im Profi-Fußball plant, für den heutigen Tag gegen Homophobie.
Elbrächter entschied sich, sein Schweigen zu brechen - auch um Vorbild für andere zu sein. Es ist ein Schritt, den er nicht bereut hat. "Alle im Verein kamen direkt in einen Lösungsdialog, wollten wissen, was sie denn für die Spieler tun könnten, warum ich Angst gehabt hätte, mich zu outen. Ich habe in diesem Termin eine ganz große Offenheit gespürt."
Dirk Elbrächter arbeitet seit zwei Jahren als Leiter Content Management beim Bundesligaclub TSG Hoffenheim - und hat sich geoutet.
Kaum geoutete Fußballspieler
Die Idee für die Kampagne "Sports Free" und das Gruppen-Coming-out kommt von Marcus Urban, Ex-Fußballer und LGBT-Aktivist. Urban war Jugendnationalspieler in der DDR, galt Anfang der 1990er-Jahre als großes Fußball-Talent. Doch die Entscheidung für die Profi-Karriere hätte damals das Aus für ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, sagt er. "Ich hatte Angst, mich zu blamieren, wenn ich mich oute. Ich habe mich als Fußballer extrem verleugnet und mich bis zum Erbrechen verbogen."
Urban will mit seiner Geschichte vorangehen. Doch bis zur Normalisierung von Homosexualität im Profi-Fußball scheint es noch ein langer Weg zu sein. In Deutschland hat sich bislang nur ein Ex-Profi-Fußballer öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt: Thomas Hitzlsperger. Das war 2014. Seitdem gab es noch einzelne Coming-outs von aktiven Fußballern in Tschechien, Schottland oder Australien.
Unklar, wie viele mitmachen
Für heute plant Urban eine Art digitale Bilderwand, auf der Internetseite der Kampagne, wo Spieler, aber auch Trainer, Schiedsrichter und andere Personen aus dem Umfeld des Profi-Fußballs ihre Geschichten teilen können. Ob auch bekannte Bundesliga-Spieler dabei sein werden, weiß Urban nicht. "Die Spieler haben bis heute Angst, dass sie in Ungnade fallen könnten nach einem Coming-out. Es gibt Leute, die sehr gut an den Spielern verdienen."
Dennoch ist Urban überzeugt, dass Aktionen wie "Sports Free" wichtig sind, um ein Bewusstsein zu schaffen. "Der 17. Mai ist nur ein Startpunkt", sagt er. Immerhin beteiligen sich auch mehrere Proficlubs an der Aktion, zum Beispiel Borussia Dortmund, Union Berlin oder der FC St. Pauli.
Kritiker fordern größeres Bündnis
Auch Christian Rudolph macht sich stark für die Sichtbarkeit queerer Sportlerinnen und Sportler. Er leitet die Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt von Deutschen Fußballbund (DFB) und Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD).
Rudolph kritisiert, dass die "Sports Free"-Kampagne sich zu sehr auf den Männerfußball fokussiert und Frauen und queere Menschen aus anderen Sportbereichen in Deutschland nicht sichtbar gemacht werden.
"Es fehlt das starke Bündnis an Unterstützerinnen und Unterstützern aus dem Sport, so wirkt es leider wenig unterstützend und fokussiert sich wieder nur auf eine sehr kleine Gruppe", sagt Rudolph. 2008 sei keine einzige Fußballerin der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft öffentlich geoutet gewesen. Inzwischen gibt es sechs offen queere Frauen im Nationalteam. Von den Frauen könne man hier sehr viel lernen.
Gut findet er, dass auch die Geschichten von homosexuellen Managern, Schiedsrichtern oder Mitarbeitern in Clubs und Verbänden erzählt werden. Denn auch die würden zu einem positiven Klima im Profi-Fußball beitragen. "Wenn wir es schaffen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich sicher sein können, dass sie nicht ausgegrenzt oder beleidigt werden, dann schaffen wir es auch, das auf den Platz zu bringen."
Mehr Offenheit in Clubs durch Coming-outs
Was ein Coming-out bewirken kann, hat Dirk Elbrächter nun selbst erlebt. Er konnte mit seinem Schritt bei seinem eigenem Verein, der TSG Hoffenheim, bereits Veränderungen bewirken.
Seit zwei Wochen ist er offiziell Diversity-Manager des Clubs und Kontakt-Person für Menschen, auch Spieler, die zum Beispiel über ein Coming-out nachdenken. "Ich habe auch ein Video aufgenommen fürs Intranet und habe tolle Reaktionen bekommen. Und ich dachte am Ende: Warum hast du eigentlich so lange gewartet?"