Schulreform im Saarland Abschied vom Turbo-Abi
Das Saarland führte als erstes westdeutsches Flächenland das G8 - das sogenannte Turbo-Abi - ein. Nun kehrt es zu G9 zurück. Was bringt die Reform der Reform?
Von Julia Berdin, SR
Man wolle den Fehler G8 nun korrigieren, sagte die neue saarländische SPD-Ministerpräsidentin, Anke Rehlinger, in ihrer ersten Regierungserklärung. 2001 war im Saarland das Abitur nach der zwölften Jahrgangsstufe eingeführt worden.
Junge Menschen sollten früher in den Arbeitsmarkt einsteigen und damit früher Sozialabgaben zahlen. So sollte das soziale Sicherungssystem in Deutschland entlastet werden. Nach der Reform im Saarland zogen fast alle der alten Bundesländer mit G8 nach, nur Rheinland-Pfalz blieb bei G9.
Die Effekte der Reform waren ernüchternd. Studien, unter anderem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, ergaben: G8-Abiturienten fangen seltener direkt nach dem Abschluss an zu studieren. Es gibt zudem mehr Sitzenbleiber. Immerhin sind keine signifikant schlechteren Abitur-Noten zu beobachten.
Unter dem Strich gebe es keine nennenswerten Unterschiede zwischen G8- und G9-Abiturienten, fasst Bildungsforscher Olaf Köller vom Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik zusammen. Aber - und das deckt sich mit der Kritik vieler Eltern - G8-Schülerinnen und -Schüler hätten deutlich weniger Freizeit.
Die Re-Reform: Zurück zu G9
Bundesweit entstanden Eltern-Initiativen für die Rückkehr zu G9. Der Druck der Öffentlichkeit gegen das sogenannte Turbo-Abi wuchs. Inzwischen sind alle westdeutschen Länder, die sich damals für G8 entschieden haben, ganz oder teilweise wieder zu G9 zurückgekehrt.
Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verabschiedeten sich komplett von G8. In Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig Holstein herrscht Wahlfreiheit. Es gibt dort Gymnasien, die in acht oder neun Jahren zum Abitur führen und welche, die ein G8-/G9-Parallelsystem vorhalten.
Nach Ansicht von Bildungsforscher Köller verspricht man sich zu viel von der Reform. In erster Linie sei die Rückkehr zu G9 eine politische Entscheidung gewesen, etwa um vor Wahlen noch Stimmen einzufangen. Der Preis sei allerdings hoch: Die Re-Reform verursache Kosten im mehrstelligen Millionenbereich.
Historisch gewachsener Flickenteppich
In den neuen Bundesländern und den Stadtstaaten gilt weiterhin hauptsächlich G8 an den Gymnasien. In Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Berlin, Bremen und Hamburg wird zusätzlich das Abitur nach neun Jahren an anderen Schulformen angeboten.
Dass der Osten Deutschlands zu G8 und der Westen zu G9 tendiert, ist historisch gewachsen. Vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik war G8 vorherrschend. Als vor 100 Jahren das deutsche Schulsystem grundlegend reformiert und eine gemeinsame vierjährige Grundschule eingeführt wurde, verlängerte sich die Gesamtschulzeit bis zum Abitur auf 13 Jahre.
Während des NS-Regimes wurde sie auf zwölf Jahre verkürzt, um einen zusätzlichen Offiziersanwärter-Jahrgang zu gewinnen. Mit Ende des zweiten Weltkrieges knüpften die westdeutschen Länder an das Weimarer Schulsystem an, das G9 zur Folge hatte.
Die DDR blieb zunächst bei G8. Nach der Wende führten einige Länder zwischenzeitlich zwar das Abitur nach neun Jahren ein, kehrten in den 2000er-Jahren aber zum alten System zurück.
Umstellung zum nächsten Schuljahr
Das Saarland wird nach den Sommerferien mit der Umstellung zu G9 beginnen. Die neuen Fünftklässler werden wieder ein reiner G9-Jahrgang sein. So viel ist klar.
Was noch fehlt, ist ein Konzept, wie der Umstieg genau gestaltet werden soll. Insbesondere Lehrerverbände und -gewerkschaften sowie die Landesschülervertretung halten die Reform daher für überstürzt.
Das saarländische Bildungsministerium hingegen setzt auf einen Mitbestimmungsprozess, an dem unter anderem Eltern, Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler beteiligt werden sollen. Der Zeitplan, den sich die saarländische Landesregierung dafür gesetzt hat, ist jedenfalls sportlich.