Gewalt gegen "Klimakleber" Ist das Notwehr?
Es kommt immer wieder vor, dass Autofahrer selbst Gewalt anwenden, wenn Aktivisten der "Letzten Generation" die Straßen blockieren. Ob sie sich dabei auf Notwehr berufen können, ist nicht immer eindeutig.
Immer wieder kleben sich Aktivisten der "Letzten Generation" auf den Straßen fest und blockieren den Verkehr. Ihr Ziel: Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken und die Politik unter Druck setzen, mehr Klimaschutz umzusetzen. Manche Autofahrer, die aufgrund dieses Protests warten müssen, werden in solchen Situationen selbst handgreiflich. Sie zerren die Aktivisten von der Straße, oder teilen sogar Schläge oder Tritte aus. Doch ob man das in diesen Lagen überhaupt darf, ist umstritten - auch unter Juristen. Wie so oft kommt es auch hier auf die konkrete Situation im Einzelfall an.
Grundsätzlich ist es natürlich verboten, andere gegen deren Willen herumzuzerren, zu schlagen oder gar zu treten. Solche Handlungen können den Tatbestand der Nötigung, der Körperverletzung, bei Tritten mit schweren Schuhen unter Umständen sogar den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllen. Damit wären solche Handlungen eigentlich strafbar.
Es sei denn, es liegt ein Rechtfertigungsgrund vor. Die Notwehr ist ein solcher Rechtfertigungsgrund. Denn wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. Die Strafbarkeit einer - eigentlich strafbaren - Handlung entfällt dann ausnahmsweise, denn sie war in der konkreten Situation eben nicht rechtswidrig.
Notwehrlage nicht immer eindeutig
Notwehr ist im Gesetz definiert als die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Erste Voraussetzung ist also eine Notwehrlage: Ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff muss bestehen. Die ersten Gerichte haben schon Klimaaktivisten wegen Klebe-Protests verurteilt: Das sei Nötigung der Autofahrer, die nicht weiterfahren können. So sieht es die Mehrheit der erstinstanzlichen Gerichte.
Der Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel von der Universität Augsburg mahnt aber zur Differenzierung: "Nicht in wirklich jedem Fall muss ein solcher Klimaprotest auch zwingend eine rechtswidrige Nötigung sein." Denn die Demonstrierenden könnten sich auch auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen. Nur wenn dessen Grenzen überschritten seien, liege eine rechtswidrige Nötigung vor. Eben diese Abgrenzung ist nicht immer einfach.
Ganz vereinzelt haben Amtsgerichte auch schon angeklagte Aktivisten vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Ein Urteil einer höheren Instanz steht dazu aktuell noch aus. Es ist also zumindest nicht immer ganz eindeutig, wie solche Blockaden konkret einzuordnen sind.
Hinzu kommt als zweite wichtige Voraussetzung, dass der rechtswidrige Angriff auch "gegenwärtig" sein muss. Das ist gerade dann nicht mehr der Fall, wenn eine Blockade schon beendet ist. "Wer also gegen einen bereits von der Straße entfernten Aktivisten nochmal nachtritt oder nachschlägt, kann sich in diesem Moment sicher nicht mehr auf Notwehr berufen", sagt Kubiciel. Gleiches dürfte gelten, wenn die Straße schon wieder befahrbar ist, etwa weil schon einige Aktivisten entfernt wurden.
Keine Notwehr, wenn Polizei in der Nähe ist
Wenn eine Notwehrlage gegeben ist, muss die Notwehrhandlung aber auch immer "erforderlich" sein. Das bedeutet, es darf kein milderes Mittel geben, das genauso gut geeignet ist, den gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff abzuwenden. Das aber dürfte regelmäßig dann der Fall sein, wenn die Polizei schon vor Ort oder auch in unmittelbarer Nähe ist.
"Unsere Rechtsordnung ist eine Friedensordnung", sagt Kubiciel. "Die Notwehr privater Bürger steht nicht gleichberechtigt neben dem Eingreifen der Polizei - wenn die in der Nähe ist, tritt das Notwehrrecht darum zurück."
Zudem muss die Notwehr in der konkreten Situation auch "geboten" sein. Das bedeutet, dass im Einzelfall das Notwehrrecht ausnahmsweise eingeschränkt sein kann. Etwa dann, wenn ein Angreifer erkennbar schuldlos handelt oder wenn der Angriff bewusst provoziert wurde, gerade um Notwehr üben zu können. Aber auch dann, wenn die Folgen der Notwehrhandlung in einem außerordentlich krassen Missverhältnis zum drohenden Schaden stünden. Einen Menschen zu überfahren und so dessen Tod zu verursachen, bloß weil man eine kurzzeitige Verspätung nicht hinnehmen will, dürfte jedenfalls darunter fallen.
Selbstjustiz nicht erlaubt
Notwehr muss zudem immer von einem Notwehrwillen getragen sein. Diese subjektive Anforderung liegt nicht vor, wenn jemand nur aus Wut auf einen anderen oder aus politischen Gründen Gewalt anwendet. "Das Notwehrrecht soll keine Selbstjustiz legitimieren", sagt der Strafrechtler Kubiciel. "Wer einem anderem lediglich eine Lektion erteilen will, handelt nicht in Notwehr."
Generell sei deshalb davon abzuraten, gewalttätig gegen "Klimakleber" vorzugehen, meint Kubiciel: "Denn ob es im Einzelfall wirklich berechtigte Notwehr ist oder nicht, hängt eben von vielen Parametern ab und ist nicht immer leicht zu sagen."