Illegale Grenzübertritte Wie Schleuser Polizei und Justiz belasten
Im vergangenen Jahr hat nicht nur die Zahl der Schleusungen zugenommen. Die Schleuser werden auch immer aggressiver. Das belastet zunehmend die Justiz.
Patrick Rautenberg blickt konzentriert auf den Verkehr an der A94 bei Mühldorf in der Nähe der bayerisch-österreichischen Grenze. Lang muss der erfahrene Fahnder nicht warten. Ein schwarzer Kleinbus mit albanischem Kennzeichen taucht auf. "Ein typisches Schleuserfahrzeug", so Rautenberg.
Seine Kollegin drückt aufs Gaspedal. Am Ende ist diese Kontrolle unauffällig, wie die meisten Kontrollen, erzählt Rautenberg. Doch manche werden zur gefährlichen Verfolgungsjagd - mit zum Teil tödlichen Folgen.
Die unerlaubten Einreisen nach Deutschland sind 2023 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 2023 registrierte die Bundespolizei knapp 128.000 illegale Grenzübertritte, rund 39 Prozent mehr als 2022.
Viele Fälle für die Justiz
Außerdem berichten viele Bundespolizisten, dass die Schleuser rücksichtsloser werden. Dadurch steigen die Gefahren für Geflüchtete, unbeteiligte Verkehrsteilnehmer und die Polizei.
Eine weitere Folge: Jede aufgedeckte Schleusung wird zu einem Fall für die Justiz. Staatsanwaltschaften und Gerichte in den Grenzregionen haben immer mehr zu tun - zeitweise kommen sie überhaupt nicht mehr hinterher.
Heute verläuft Rautenbergs Schicht ruhig. Auch das nächste kontrollierte Fahrzeug hat nur eine Familie mit Baby an Bord, keine Geschleusten. Doch vieles, was er und seine Kolleginnen und Kollegen von der Bundespolizei an den Grenzen zu Polen, Tschechien und Österreich erleben, landet bei der Justiz.
Wie zum Beispiel der Unfall bei Ampfing im Landkreis Mühldorf. Dort starben im Oktober 2023 sieben Geflüchtete, als sich das Auto nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei mehrmals überschlug. Oder der Fall des Schleusers, der direkt auf eine Kollegin von Rautenberg losraste. Sie konnte sich gerade noch durch einen Sprung zur Seite retten.
Deutliche Zunahme bei Schleuserverfahren
Um solche Fälle kümmert sich Pia Dirnberger, Staatsanwältin im grenznahen Traunstein. Gerade bereitet sie sich auf ein mehrtägiges Verfahren gegen einen Schleuser vor, geht noch einmal die Anklage durch. Dem Schleuser wird unter anderem vorgeworfen, die Geflüchteten mit einer Waffe bedroht zu haben.
Die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringt Dirnberger mit Schleuserfällen. Im vergangenen Herbst prasselten so viele neue Verfahren auf ihre Abteilung ein, dass sie die Arbeit im ganzen Haus verteilen mussten.
In den Bundesländern, an denen die Balkanroute für viele Geflüchtete endet, haben die Schleuserverfahren in den letzten Jahren deutlich zugenommen. In Bayern hat sich die Zahl der Verfahren zwischen 2019 und 2023 mehr als verdreifacht. In Brandenburg hatten die Staatsanwaltschaften im vergangenen Jahr 28 Prozent mehr Fälle abzuarbeiten als noch 2022.
In Sachsen haben sich die Fälle im selben Zeitraum fast verdoppelt. Das Amtsgericht Pirna war zwischenzeitlich fast nur noch mit Schleuserfällen beschäftigt. Räume wurden knapp, Dolmetscher fehlten und auch die Gerichtsmitarbeitenden kamen an ihre Grenzen.
Aufwendige Gutachten
Doch die Schleuserverfahren nehmen nicht nur zu, sie werden auch immer aufwendiger, erklärt die Traunsteiner Staatsanwältin Pia Dirnberger. Je rücksichtsloser die Schleuser vorgehen, desto höher fällt am Ende die Strafe aus.
Doch es ist arbeitsintensiv, nachzuweisen, ob und wie Schleuser andere Menschen gefährdet haben. Die Geschleusten müssen zum Beispiel als Zeugen den halsbrecherischen Fahrstil des Fahrers beschreiben. Meistens brauchen sie dafür einen Dolmetscher.
Aufwendig sind auch die zahlreichen Gutachten, um zum Beispiel zu beweisen, dass eine Schleuserfahrt tödlich hätte enden können. Aufwendig ist zudem die Suche nach den Hintermännern, die meist im Ausland sitzen. Bei grenzüberschreitenden Ermittlungen müssten zum Teil erst extra Staatsverträge über die juristischen Einzelheiten der Zusammenarbeit geschlossen werden, so Dirnberger.
Staatsanwältin Pia Dirnberger verbringt die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Schleuserverfahren.
Pro Asyl: Unmenschliche Bedingungen an den EU-Außengrenzen
Es ist schwer vorherzusehen, wie sich die Migrationsbewegungen nach Deutschland in Zukunft entwickeln. In Brandenburg hat man laut einer Sprecherin der Bundespolizeidirektion Berlin gute Erfahrungen mit den stationären Grenzkontrollen gemacht. Geflüchtete kämen inzwischen häufiger zu Fuß über die Grenze statt in lebensgefährlich überfüllten Kastenwägen.
Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl haben einen anderen Blick auf die Entwicklung. Die Bedingungen für Geflüchtete in den Staaten an den europäischen Außengrenzen würden immer unmenschlicher, so die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith. Solange dies der Fall sei und es keine anderen legalen Wege nach Deutschland gebe, seien Geflüchtete auf rücksichtslose Schleuser angewiesen.