Missbrauchsprozess in Traunstein Gericht sieht Kirche in Haftung
Muss die katholische Kirche bis hin zu Ex-Papst Benedikt XVI. Schmerzensgeld an ein Opfer sexualisierter Gewalt zahlen? Das Landgericht Traunstein sieht die Kirche in Haftung. Nun geht es um die Höhe des Schmerzensgeldes.
Das Verfahren um Schmerzensgeld für einen Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Traunstein ist kein kurzer Prozess. Das Verfahren zieht sich, auch weil dem beklagten Erzbistum München und Freising für die Bewertung der Höhe der Zahlungen die bisherigen Erklärungen des Betroffenen nicht ausreichen. Dazu soll es ein psychiatrisches Gutachten geben. Das Gericht rechnet nicht damit, dass dieses Jahr noch ein Urteil fällt. Zuvor waren Güteverhandlungen gescheitert.
Der Anwalt des Klägers, des 39-jährigen Andreas Perr, hatte zuvor angegeben, dass die Mitte der 1990er-Jahre erlittene sexualisierte Gewalt den Jungen total aus der Bahn geworfen habe. Er habe Zuflucht in Drogen und Alkohol gesucht. Hier muss nun geklärt werden, was davon auf die erlittene sexualisierte Gewalt zurückzuführen ist.
Ermöglicht worden sei die Tat des früheren Ortspfarrers von Garching an der Alz, Peter H., weil die Verantwortlichen des Erzbistums München und Freising den Täter trotz entsprechender Vorwürfe und Urteile wieder in Gemeinden einsetzten, so die Argumentation des Klägers. Die Vorsitzende Richterin erklärte nun, grundsätzlich sehe sie einen Haftungsanspruch gegen das Erzbistum. Diese sei als Anstellungskörperschaft verantwortlich zu machen für den Schaden aus der Missbrauchshandlung.
Klage richtet sich auch gegen Ratzinger
Für Aufsehen sorgt das Verfahren, weil in dem Fall einer der früheren Verantwortlichen Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., ist. Gegen ihn richtete sich die Klage ebenfalls, obwohl er stets bestritt, etwas mit dem Einsatz von H. in der Seelsorge zu tun gehabt zu haben. Da jedoch bis zum heutigen Gerichtstermin niemand das Erbe des Ende 2022 verstorbenen Papstes angetreten hat und damit auch das Verfahren mit übernehmen würde, wurde die Klage gegen Benedikt XVI. abgetrennt. Ob es je zu einem Urteil hier kommen wird, ist mehr als fraglich.
Bemerkenswert war eine Äußerung der Vorsitzenden Richterin, die eine Mitschuld von Kardinal Ratzinger an dem Fall sieht. Der spätere Papst habe 1980 als Erzbischof von München und Freising an einer Sitzung teilgenommen, in der beschlossen wurde, dass H. nach München wechsele. Darum habe er "entsprechend Kenntnis von dem Vorleben" des Priesters gehabt. Und dennoch sei der Mann dann "ohne weitere Beschränkungen und Vorkehrungen" übernommen und weiter in der Kinder- und Jugendseelsorge eingesetzt worden.
Dass es nun auch in dem anderen Verfahren in Traunstein zu keiner Einigung oder Entscheidung kam, ist für Betroffene zunächst enttäuschend. Schließlich hatten sie gehofft, dass das oberbayerische Gericht der Linie eines Kölner Gerichts folgt. Auch hier sahen die Juristen wie in Traunstein eine Amtshaftung durch die Kirche als gegeben an. Die Richter in Köln verurteilten daher das Erzbistum Köln zu einem Schmerzensgeld von 300.000 Euro. Damit wurde der Rahmen für Schadensersatz und Schmerzensgeld bei Taten sexualisierter Gewalt deutlich nach oben verschoben.
Die bisherige Obergrenze für Anerkennungsleistungen an Betroffene in der katholischen Kirche lag bei 50.000 Euro. In der Realität gab es zwar schon sechsstellige Beträge, die in besonders schweren Fällen aufgerufen wurden. Im Schnitt jedoch erhielten Betroffene in den vergangenen Jahren 22.000 Euro.
Hohe Hürden vor Gericht
Argumentiert wurde stets, dass man sich mit den 50.000 Euro am oberen Rahmen der zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und entsprechenden Gerichtsurteilen orientiere. Entsprechend klar ist auch die Erwartung des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, dass nun eine Verbesserung des Anerkennungssystems unabdingbar sei. Die Zeit der Almosen müsse ein Ende haben. Auch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), die über die Höhe der Zahlungen entscheidet, zeigte sich offen für eine Überprüfung.
Doch die Hürden vor Gericht sind höher. So muss etwa bewiesen werden, dass ein Schaden durch die sexualisierte Gewalt und nicht durch andere verursacht wurde. Im Anerkennungsverfahren der Kirche genügt es in der Regel, dass die Angaben plausibel sind, die ein Betroffener macht. Dazu kommen vor Gericht weitere Prozesskosten.
Im Traunsteiner Fall hatte die Initiative "Sauerteig" nach eigenen Angaben 25.000 Euro zur Finanzierung der Prozesskosten gesammelt. Sie setzt sich in Garching an der Alz für Aufarbeitung ein. Dort war Peter H. zwei Jahrzehnte lang als Seelsorger tätig.
Traubensaft statt Wein
Der Fall Peter H. ist einer der prominentesten Fälle in Deutschland, auch weil er mit Ratzinger verknüpft ist. Letzterer war Erzbischof in München, als die Entscheidung fiel, dass Peter H. von Essen nach München kommen kann. Später erlaubte Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation Peter H., Traubensaft statt Wein in der Messe zu verwenden.
Das Erzbistum hatte eine entsprechende Sondererlaubnis erbeten, da H. unter Alkoholeinfluss Missbrauchstaten begangen habe. Während der Kläger hier einen Beweis sieht, dass Ratzinger um die Taten wusste und nicht handelte, erklärte der frühere Papst-Sekretär Erzbischof Georg Gänswein, die Unterschrift Ratzingers unter der Genehmigung beweise nicht, dass der Kardinal damals den Brief auch gelesen habe.