Statistisches Bundesamt Höchststand bei Kindeswohlgefährdung
Vernachlässigung, sexuelle, psychische oder körperliche Gewalt: Im vergangenen Jahr haben die Jugendämter in Deutschland mehr als 62.000 solcher Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt. Zudem gibt es mehr Bedarf an erzieherischer Hilfe.
Jugendämter in Deutschland haben im vergangenen Jahr so viele Fälle von Kindeswohlgefährdungen festgestellt wie nie zuvor. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, stieg die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um rund vier Prozent - rund 2.300 Fälle - auf fast 62.300 Kinder oder Jugendliche, deren Wohlergehen durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt gefährdet war.
Etwa vier von fünf der betroffenen Kinder waren jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite sogar jünger als acht Jahre, hieß es. Während Jungen bis zum Alter von elf Jahren etwas häufiger von einer Kindeswohlgefährdung betroffen waren, traf dies ab dem 12. Lebensjahr auf die Mädchen zu.
Die meisten betroffenen Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern (42 Prozent) oder bei beiden Eltern gemeinsam (38 Prozent) auf, zehn Prozent bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und weitere neun Prozent in einem Heim, bei Verwandten oder in einer anderen Konstellation.
Knapp die Hälfte der betroffenen Jungen und Mädchen (47 Prozent) nahm zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch, stand also schon in Kontakt zum Hilfesystem.
Gestiegener Bedarf an erzieherischer Hilfe
Die zuständigen Behörden verzeichneten für das Jahr 2022 auch einen gestiegenen Bedarf an erzieherischer Hilfe um zwei Prozent im Vergleich zu 2021. In etwa 68.900 Fällen, in denen keine Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde, wurde entsprechende Erziehungshilfe geleistet.
Geprüft hatten die Jugendämter insgesamt 203.700 Hinweise, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen bestand. Das entspricht einem Plus von drei Prozent.
Starke Zunahme von 2017 bis 2020
Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen hat sich laut den Angaben auch langfristig erhöht. So gab es in den Jahren von 2012 bis 2022 einen Anstieg um rund 24.000 Fälle (63 Prozent). Dabei nahmen die Fallzahlen von 2017 bis einschließlich dem ersten Corona-Jahr 2020 besonders kräftig zu - jährlich um neun bis zehn Prozent. Im zweiten Corona-Jahr 2021 sanken sie dann leicht um ein Prozent.
Die Zahl der sogenannten latenten Fälle, bei denen eine gegenwärtig vorliegende Gefahr nicht eindeutig bestätigt werden konnte, aber ein ernster Verdacht blieb, ging 2022 zwar um zwei Prozent auf 28.900 zurück. Gleichzeitig stiegen aber die akuten Fälle, bei denen eindeutig eine Kindeswohlgefährdung vorlag, um zehn Prozent auf 33.400 Fälle.