Mitgliederschwund Kreativität gegen Kirchenaustritte
In Deutschland erreichte die Zahl der Kirchenaustritte zuletzt einen Rekord. Inzwischen sind weniger als die Hälfte der Bürger evangelisch oder katholisch. Bei den Kirchen ist Kreativität gefragt.
Ob digitaler "Sway-Gottesdienst" zu Ostern oder eine Talk-Runde mit dem Bischof, in der man alles fragen darf: Eva Brambrink und Johanna Tewes wollen Kirche anders gestalten. Jung, kreativ und experimentierfreudig, sagen sie, orientiert an den Bedürfnissen der Gläubigen. Beide sind in der Jugendkirche des Bistums Münster aktiv, Eva Brambrink hauptamtlich, Studentin Johanna Tewes als Ehrenamtliche.
Kirche für und von den Mitgliedern
"Klar macht das was mit mir, wenn ich höre, dass die Zahl der Kirchenaustritte auf einem Rekordhoch liegt. Ich merke auch, dass man zunehmend mit großen Augen angeguckt wird, wenn man sagt: ich engagiere mich in der Kirche", sagt Brambrink. Tewes erzählt, dass sie sich immer häufiger dafür rechtfertigen müsse, warum sie noch in der katholischen Kirche ist. Erstmals seit Jahrhunderten sind weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland katholisch oder evangelisch.
Dabei sei bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Glaube und Gemeinschaft immer noch groß, beobachten die beiden. Nur in dem System Kirche können sich offensichtlich viele nicht mehr wiederfinden. Das liegt aus ihrer Sicht an den verkrusteten Strukturen der katholischen Kirche, an der starren Hierarchie, die nicht mehr zeitgemäß sei. Genau damit wollen sie im Bistum Münster mit der Jugendkirche brechen.
"Bei uns können junge Menschen Kirche selbst gestalten, eigene Themen setzen, Wünsche äußern. Wir definieren auch nicht, was Glaube für jemanden bedeuten sollte", sagt Brambrink. Bei ihren Gottesdiensten wird Popmusik gespielt, die Mitglieder setzen eigene Themen wie zum Beispiel Liebe und Freundschaft, sie bespielen einen Instagram-Kanal.
Glaube in die Gamer-Community bringen
Für Hanno Rother, Pfarrer in einer katholischen Gemeinde in Recklinghausen, steht fest, dass die Kirche es versäumt habe, "von ihrem hohen Ross herunterzukommen". "Wir bieten immer noch gute Sachen, aber haben so eine Mentalität, die besagt: 'Kommt doch zu uns'." Stattdessen sollte die Kirche sich überlegen, wie sie bei den Menschen sein könne.
Rother tut das digital. Unter dem Namen "Kirchendude" macht er YouTube-Streams und ist in der Gamer-Szene unterwegs. Dort treffe er auf Menschen, die mit Kirche eigentlich nicht mehr viel am Hut hätten, die sich aber auch existenzielle Fragen stellen. Was passiert, wenn ein geliebter Mensch stirbt? Wie ist das, wenn eine Beziehung zerbricht? Wie umgehen mit dem Krieg in der Ukraine? "Bei all diesen Themen sehe ich eine Chance, mit Menschen ins Gespräch zu kommen", sagt Pfarrer Rother.
Evangelische Kirche will auf ihre Stärken setzen
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland verliert Mitglieder. Ende 2021 waren nur noch 19,72 Millionen Deutsche evangelisch, ein Rückgang von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, hatte Anfang März erklärt, diese Zahlen nicht als gottgegeben hinzunehmen und wo möglich, entschieden gegenzusteuern - zum Beispiel mit speziellen Angeboten für Familien, die Taufen nachholen wollen.
Die Bischöfin von Hamburg und Lübeck, Kerstin Fehrs, glaubt, dass die Evangelische Kirche sich auf ihre Stärken berufen sollte, um attraktiver zu werden, nämlich auf die Seelsorge: "Ich bin sicher, dass wir viel anzubieten haben, was Menschen in dieser Zeit für ihre Seele brauchen."