Die Kirche und der Krieg Was ist aus der Friedensbewegung geworden?
Die evangelische Kirche steckt in einem Dilemma. Zwischen dem Anspruch, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, und der Solidarität mit der Ukraine. Beim Kirchentag in Nürnberg wird das offen diskutiert
Es gibt sie noch: die christliche Friedensbewegung. In Halle 1 auf der Nürnberger Messe wirbt Religionslehrer Rainer Schmid von der Deutschen Friedensbewegung für den Pazifismus. "Die Kirche sollte nicht mehr zweigleisig fahren, sondern ganz auf die gewaltfreien Methoden setzen", fordert er.
"Es ist Zeit für Waffen!"
"Zweigleisig fahren" - bei der Eröffnung des Kirchentags brachte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das christliche Dilemma auf den Punkt: Ja, Frieden schaffen ohne Waffen. Das ist der Anspruch. Auf der anderen Seite steht die Solidarität mit der Ukraine. "Auch ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Neben all den anderen Anstrengungen: Es ist Zeit für Waffen!"
Das Motto dieses Kirchentags, "Jetzt ist die Zeit!", lädt ein zu Wortspielen. Steinmeiers Plädoyer für Waffenlieferungen an die Ukraine stieß nur auf vereinzelten Widerspruch im Publikum. Rainer Schmid sagt: "Ich bin enttäuscht von meiner Kirche." Sie sollte ein prophetisches Wort finden, meint er, "jetzt ist die Zeit für Abrüstung, für nicht-militärische Methoden".
Fehlt die Stimme der Friedensbewegung?
Nur: Wer soll dieses prophetische Wort sprechen? Gerd Bautz von der Martin-Niemöller-Stiftung vermisst die Stimme der Friedensbewegung beim Kirchentag. Zum Beispiel Margot Käßmann. "Dass die abgesagt hat, ist ein großer Verlust für den Kirchentag", findet Bautz. "Sie sagt nicht genau, warum. Aber auch, weil man sie in der Friedensfrage frustriert hat. Da wäre ich auch hingegangen, weil das ist Spiritualität und Politik in einem. Das ist der Kern des Kirchentages."
Früher war Margot Käßmann der Stargast des Kirchentages. Die Theologin füllte spielend und zuverlässig große Messehallen. In Nürnberg ist sie überraschend nicht dabei. Über die Gründe für ihre Absage will sie nicht sprechen. Dem Bayerischen Rundfunk hat sie vor dem Kirchentag ein Interview gegeben. In der ARD-Dokumentation geht es um die friedensethische Debatte in der evangelischen Kirche und: warum die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD offen und öffentlich vernehmbar Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ablehnt.
Käßmann sagt: "Ich habe den Eindruck, dass all überall im Land und auch in der Kirche, in den Spitzen, in den Eliten, so eine unisono Meinung verbreitet wird. Es geht nicht anders. Wir müssen jetzt Milliarden an Waffen an die Ukraine geben. Dieser Krieg muss gewonnen werden, da werden unsere Werte verteidigt. Das ist so ein Standard, der jetzt durchgeht, und das erlebe ich an der Gemeindebasis wie auch im Alltag anders, und dass Menschen dann fast schon die Stimme senken, wenn sie sagen: ich finde das alles sehr problematisch."
Uneinigkeit bei Waffenlieferungen
Der Streit um militärische Unterstützung spaltet die evangelische Kirche. Auch der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer, spricht sich seit Beginn des Krieges gegen Waffenlieferungen aus. Er dürfte damit an der Kirchenspitze eher in der Minderheit sein.
Militärbischof Bernhard Felmberg findet, in der evangelischen Kirche muss differenzierter über Krieg und Frieden geredet werden. "Wir leben in einer Zeit, in der Demokratien eher auf dem Rückzug sind, und da muss man sich seiner eigenen Werte klar sein. Und man muss sich auch rüsten dagegen, dass andere einem diese Werte streitig machen."
Heute feiert Felmberg beim Kirchentag einen Gottesdienst mit Soldatinnen und Soldaten. Dagegen will Religionslehrer Rainer Schmid vor der Kirchentür demonstrieren.