Bundesverfassungsgericht Wer klagt für das Klima - und warum?
Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltverbände haben eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Sie wollen, dass die Bundesregierung mehr Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzt.
Arvid Jasper packt gerne an. Der 30-Jährige aus Kassel baut Solarkraftwerke auf Balkone und Dächer. Er arbeitet in einem gemeinnützigen Verein, der Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise bei der Installation der Solarpaneele hilft.
Jasper engagiert sich bereits viele Jahre für den Klimaschutz. Doch er ist frustriert, weil sich die Politik in diesem Bereich "nur in Trippelschritten" bewege.
Angst vor Klimakatastrophen
"Ich fürchte mich vor einer Gesellschaft, die nach mangelndem Klimaschutz richtig crasht: mit Stürmen, Überschwemmungen und zunehmenden Konflikten, Kriegen und Fluchtbewegungen", sagt der Unternehmer. Er hofft, dass es nicht dazu kommt, dass "wir viel zu spät mit zu weitreichenden Maßnahmen radikalen Klimaschutz umsetzen müssen".
Dann könne dies die Freiheit einschränken, befürchtet er. Deshalb hat sich Jasper, so wie weitere Zehntausende Menschen, der Klimaschutzklage der Umweltverbände Greenpeace und Germanwatch angeschlossen, die sie heute in Karlsruhe einreichen.
Es sei "auch ein Protest gegen die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung und ein wichtiges Mittel einer Demokratie. Denn die Gerichte überwachen die Politik und setzen auch Leitplanken", sagt Jasper.
Verfassungsgericht hat Klimaschutz anerkannt
Rückenwind gibt es für die Klimakläger durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, das anerkannt hat, dass Klimaschutz Verfassungsrang hat. Bei der neuen Beschwerde geht es unter anderem um die Novelle des Klimaschutzgesetzes, die aus Sicht der Verbände verfassungswidrig ist.
"Deutschland wird es bis 2030 nicht schaffen, weniger CO2 auszustoßen, als das Gesetz erlaubt", konstatiert Roda Verheyen. Die Rechtsanwältin und Richterin des Hamburgischen Verfassungsgerichts hat an der Beschwerde mitgearbeitet und ein Buch dazu geschrieben.
Wenn Deutschland sein Klimaziel verfehle, "wird es krass, und am krassesten für diejenigen die wenig Geld haben". Etwa, wenn die Spritpreise, Strom- oder Gaspreise enorm steigen, befürchtet Verheyen.
Erstmals Privatpersonen dabei
Dass Zehntausende Bürgerinnen und Bürger mitklagen, sei "organisatorisch viel Arbeit" gewesen, betont die Klimajuristin. Der Klageweg sei aber auch "eine Art der Selbstermächtigung, um sich nicht ohnmächtig zu fühlen angesichts der Veränderungen, die durch den Klimawandel entstehen".
Diese Veränderungen machen auch Andreas Tränkenschuh aus Frankfurt zu schaffen: "Ich überlege schon, wie meine Zukunft aussehen wird. Man stellt sich vor, man wohnt in einer Wohnung, später würde ich vielleicht gerne in einem Haus leben. Aber wie soll das alles funktionieren, wenn ich von Dürren höre, oder wie teuer alles werden soll?"
Die Frage, ob er im Alter von 30 Jahren eigene Kinder in diese Welt setzen will, stellt sich der Bildungsreferent auch. Der Frankfurter konsumiert bewusst, engagiert sich bei Greenpeace und nimmt an Demonstrationen teil. Doch als Privatmensch habe das alles Grenzen: "Der Einzelne kann etwas beitragen, aber letztendlich nicht den großen Wurf hinlegen", glaubt er.
Zukunftsvision statt Schreckensszenario
Deshalb will Tränkenschuh in die höchste Instanz gehen. Die Klagebereitschaft steckt an: Auch seine Freundin klagt, ebenso wie sein Vater.
"Zukunftsklage" nennen die Organisationen die Verfassungsbeschwerde. Tränkenschuh wünscht sich für seine persönliche Zukunft eine positive Vision: "Wir reden viel über Verhinderung, nicht über das, was wir gewinnen können, wenn wir die Klimakrise als Krise annehmen und verändern. Noch haben wir die Möglichkeit dazu."