Jüdische Sportler in Deutschland "Wir fühlen uns nicht mehr sicher"
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel hat sich das Leben für Freddy Ries vollkommen verändert. Der Makkabi-Sportler fühlt sich ausgegrenzt. Jüdischsein sei problematisch geworden.
"Vor ein paar Tagen hat mich mein Sportsfreund Mustafa angerufen", erzählt Freddy Ries im Gespräch mit tagesschau.de. "Zehn Jahre lang haben wir zusammen Sport gemacht. Er hat mir immer neue Kraftübungen gezeigt und wir waren zusammen laufen. Jetzt will er nichts mehr mit mir zu tun haben." Mustafas Familie sei unter Druck gesetzt worden, sich nicht mehr mit ihm zu treffen. Ries ist Jude. Mit seinem muslimischen Freund Mustafa hat er nun keinen Kontakt mehr.
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel hat sich das Leben für Freddy Ries in der baden-württembergischen Stadt Baden-Baden komplett verändert. Früher habe er ohne Probleme samstags in die Synagoge gehen können. Jetzt müsse er auf Kleidung verzichten, die ihn als Jude erkennbar macht. Sonst werde er in der Stadt komisch angeschaut und beobachtet.
"Das Jüdischsein und jüdische Menschen sind plötzlich problematisch. Im Bus höre ich Gespräche, die Juden mit der Politik Israels gleichsetzen", erzählt der 66-Jährige. "Dabei habe ich doch nie in Israel gelebt und spreche nur gebrochen Hebräisch." Seine Nachbarn seien zwar freundlich wie immer, jedoch würden sie sich kaum noch länger mit ihm oder seiner Frau unterhalten. Ries fühlt sich immer mehr ausgegrenzt.
Mit am schlimmsten für ihn ist, dass er nicht mehr das Trikot seines Sportvereins Makkabi Baden-Baden tragen kann. Vor fünf Jahren hat Freddy Ries den Verein mitgegründet. Aus Angst vor Übergriffen nun hat der Dachverband Makkabi Deutschland empfohlen, dass die Sportler und Sportlerinnen das Trikot nicht mehr in der Öffentlichkeit tragen. Denn auf der Brust prangt unverkennbar der Davidstern als Vereinswappen. Der Verein Makkabi Berlin hatte zwischenzeitlich sogar den Spielbetrieb eingestellt.
Der Dachverband Makkabi Deutschland hat empfohlen, das Trikot nicht mehr in der Öffentlichkeit zu tragen
Sorge um Kinder
Die Angst erscheint nicht unbegründet. Ermittlungsbehörden zählen insgesamt 80 antisemitische Fälle von Sachbeschädigungen. Erst vor wenigen Tagen tauchten am Rastatter Schloss antisemitische Parolen auf den Wänden auf - keine 20 Kilometer von Baden-Baden entfernt. Dort wohnt auch Michael Kolganov seit rund acht Jahren. Der 49-Jährige ist zweifacher Weltmeister und Olympiadritter im Kanu. Auch er ist Mitglied im Verein Makkabi Baden-Baden, auch er trägt sein Trikot nicht mehr in der Öffentlichkeit.
Am meisten sorgt er sich um seinen Sohn. Der ist 14 Jahre alt und geht in Baden-Baden zur Schule. "Ich habe ihm gesagt: Besser nicht mehr mit dem Trikot in die Schule gehen. Wir wurden zwar noch nie angegriffen, aber wir fühlen uns einfach nicht mehr sicher hier", erzählt Kolganov. Eigentlich wolle er sich nicht verstecken, aber die derzeitige Situation für Juden in Deutschland sei schlecht.
Ein Ort für alle Menschen
Auch Freddy Ries will sich nicht verstecken. Diese Woche hat er deshalb seinen Mut zusammengenommen und ist wieder im Makkabi-Shirt gejoggt. "Es war niemand auf der Straße und trotzdem habe ich gemerkt, wie mich die Lage traumatisiert. Ich konnte nicht normal laufen, ich habe mich immer umgeschaut", sagt er im Gespräch und schweigt dann lange, bevor er wieder ansetzt: "Wir in Deutschland haben keine Schuld an dem Konflikt. Weder die Juden noch die Muslime. Ich wünsche mir, dass wir hier einfach wieder alle zusammenleben können, in Frieden."
Makkabi sei ein Ort für alle Sportler und Sportlerinnen, egal welchen Glaubens. Auch für Mustafa, seinen langjährigen Sportkollegen. Er hofft, dass er schon bald wieder mit ihm in den Fitnesspark gehen kann.