Bremerhavens schiefer Molenturm "Desaster mit Ansage"
Wahrzeichen, Knutschplatz, Touristenattraktion: Seit fast einer Woche steht in Bremerhaven der Molenturm schief, weil ein Teil der Nordmole absackte. Die rote Kuppel ist nun gerettet. Hätte das Drama verhindert werden können?
Da steht er nun, um acht Grad geneigt, fast doppelt so schief wie der Turm von Pisa - und auch fast so berühmt. Um den Bremerhavener Molenturm drängen sich die Touristen und Einheimische. Sie warten darauf, dass etwas passiert: dass das Bremerhavener Wahrzeichen weiter kippt oder es endlich gelingt, seine leuchtend rote Kuppel zu bergen. Seit der Nacht auf den 18. August, als die weit in die Wesermündung ragende Mole an ihrer Spitze plötzlich absackte, ist der Leuchtturm schief und in Gefahr.
Schon mehrere historische Bauwerke kaputt
"Ganz traurig bin ich und kämpfe mit den Tränen. Das ist ein Wahrzeichen und ein alter Knutschplatz aus meiner Jugend. Ich verbinde damit ganz viele Erinnerungen", erzählt Meike Raab, die zur Mole gekommen ist, um das Elend zu betrachten. Sie ist mit ihren Gefühlen nicht allein. Die ganze Stadt ist entsetzt, obwohl oder gerade weil die Bürgerinnen und Bürger schon reichlich Erfahrung mit dem Verfall ikonischer Bauwerke haben. 2019 brannte und sank der berühmte Traditionsdreimaster "Seute Deern" im Museumshafen - das Schiff musste abgewrackt werden. 2021 kollabierte eine historische Drehbrücke im Hafengebiet - Korrosion, Totalschaden. Und nun der pittoreske Molenturm von 1914.
Oberbürgermeister sieht ein "Desaster mit Ansage"
Viele der Schaulustigen an der Mole sind sich sicher, dass das Drama hätte verhindert werden können. Dem würde sogar Oberbürgermeister Melf Grant (SPD) zustimmen: "Wenn man zynisch sein wollte, könnte man sagen, das war ein Desaster mit Ansage", erklärte Grantz - um auch gleich zu versichern, dass er und die Stadt bei anderen Stellen seit Jahren auf das Problem hingewiesen hätten. Damit traf er einen Kern des Problems: Wer für Bremerhavener Untergangsdramen formal zuständig oder politisch verantwortlich ist, ist oft kaum zu entwirren. Für den dramatischen Untergang der "Seute Deern" hat bis heute niemand der vielen Beteiligten des Forschungsmuseums, von Stadt, Land oder Bund die Verantwortung übernommen.
Heruntergehoben und gesichert: die rote Kuppe vom Bremerhavener Molenturm
Schwierige Suche nach Schuldigen
Die immer wieder schwierige Suche nach Schuldigen mag auch mit Bremerhavens in Deutschland einmaliger Sonderposition zusammenhängen. Sie ist die kleinere Stadt des einzigen Zwei-Städte-Staates, sie ist einerseits mit kommunalen Freiheiten ausgestattet, die in der Republik sonst niemand genießt. Andererseits ist sie gar nicht Herrin über maßgebliche Gebiete der Stadt, denn fast alle Hafenareale gehören der Stadt oder dem Land Bremen. Das wiederum lässt die Häfen von seiner Landesgesellschaft Bremenports betreiben. Für Wasserstraßen wie die Weser ist aber wieder der Bund zuständig. Wer also trägt die Verantwortung für das Drama um den Molenturm?
Marode Mole war schon seit 2015 gesperrt
Mit versteinerten Mienen standen am Tag nach dem Absacken zwei Menschen vor der Presse, denen man das Unglück zuschreiben könnte: Robert Howe, Chef von Bremenports, und Claudia Schilling (SPD), bremische Häfensenatorin. Sie sagte, für sie sei es "zunächst nicht wichtig, nach den Verantwortungen zu gucken", räumte aber ein: "Möglicherweise hätten wir den Turm vorher schon abbauen müssen".
Howe erklärte, Bremenports habe nicht gewusst, wie es um die Mole stand: "Das war überhaupt nicht auf der Tagesordnung" - offensichtlich eine Fehleinschätzung. Dabei war die Mole bereits lange marode und seit 2015 für Besucher gesperrt. Und der Bund? Dem gehört nicht die abgesackte Mole, sondern nur der Turm selbst. Und der steht ja nach wie vor, wenn auch um acht Grad geneigt. Und das, findet Oberbürgermeister Grantz, "schadet der Stadt Bremerhaven", damit dürfte er auch die weltweiten Presseberichte über den "schiefen Turm" meinen.
Dabei gäbe es aus der 117.000-Einwohner-Stadt an der Wesermündung auch Gutes zu erzählen. Nach Krisenjahrzehnten durch das Werftensterben und den Untergang der Hochseefischerei wurde Bremerhaven immer mehr zum Standort renommierter Wissenschaftsinstitute. Mit den "Havenwelten" wurden große Teile der Innenstadt komplett neu gestaltet und durchaus mit Erfolg auf Tourismus und Erlebnismuseen ausgerichtet. Eine gezielte Förderpolitik in Problemstadtteilen trägt mittlerweile Blüten, ein Hauch von Gentrifizierung zieht durch einige der prachtvollen Gründerzeit-Straßenzüge.
Erste Erfolgsmeldung: Die Kuppel ist gerettet
Doch solche Positiv-Meldungen kommen gegen einen bildmächtigen Fast-Untergang eines Leuchtturms, dessen Bergung sich seit mehr als einer Woche unter Echtzeit-Bedingungen vollzieht, nicht an. Blogger und Fernsehsender, Freizeit-Camper an der gegenüberliegenden Mole und Schaulustige mit Handys im Dauereinsatz sind dabei. Die mühsame Rettung der fünf Tonnen schweren Metallkuppel war ein tagelanges Spektakel, bei dem nicht nur die Bremerhavener live bangten.
Am Freitag Nachmittag gab es endlich eine Erfolgsmeldung. Die Kuppel schwebte vom schiefen Turm hinüber auf ein sicheres Ponton-Schiff: gerettet. Was mit dem steinernen Rest passiert, ist noch offen. Sicher ist nur: Wohl 2025 soll die brüchige Mole, die die Schiffe sicher in Bremerhavens Fischereihafen leitet, saniert sein. Und dann, verspricht Hafenchef Robert Howe, soll auch der neu aufgebaute Molenturm fertig sein: "Eins zu eins, wie der da jetzt steht. Dann natürlich gerade."