Neues Bündnis warnt "Der Rettungsdienst kollabiert"
Das neu gegründete "Bündnis pro Rettungsdienst" warnt: Bei einem Weiter so könnte es bald zur Regel werden, dass kein Rettungswagen kommt. Gründe sind demnach Bagatell-Einsätze und eine viel zu hohe Arbeitsbelastung.
Den Rettungsdienst rufen - und niemand kommt. Diese Erfahrung könnten in Zukunft immer mehr Menschen in Deutschland machen, warnt das neu gegründete "Bündnis pro Rettungsdienst". Insgesamt sechs Verbände und Gewerkschaften, darunter die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft, die Mitarbeiterseite der Caritas und der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst (DBRD), sehen das System derzeit kollabieren. Auslöser für die Gründung des Bündnisses ist die angestrebte Krankenhausstrukturreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
"Der Handlungsdruck ist riesig. Es ist fünf nach zwölf, das System bricht zusammen. Es kommt immer öfter vor, dass Einsätze nicht gefahren werden können", so Frank Flake vom Vorstand des DBRD. Gründe seien fehlendes Personal, aber auch überlastete Notaufnahmen. "Noch vor ein paar Jahren war es undenkbar, dass man einen Patienten oder eine Patientin eine Stunde lang vor der Notaufnahme im Rettungswagen behandelt, weil die Kliniken so überlastet sind. Und jetzt ist da manchmal regelrecht Stau." Mittlerweile würden auch regelmäßig eigentlich eingeplante Rettungswagen nicht in den Dienst genommen, weil kein Personal da sei.
Was das in der Realität bedeutet zeigt ein tragischer Fall in Berlin am vergangenen Wochenende. Bei einem Unfall mit einem Linienbus der Berliner Verkehrsbetriebe starb eine 15-Jährige. Die angeforderten Rettungswagen erreichten die Unfallstelle erst nach 20 Minuten - die sogenannte Hilfsfrist in Berlin liegt eigentlich bei zehn Minuten.
Die Arbeitsbelastung für die Einsatzkräfte ist "extrem"
Hauptforderung des Bündnisses: Die Arbeit im Rettungsdienst muss attraktiver werden. Dafür sollte die Arbeitszeit von derzeit 48 und mehr Stunden pro Woche herabgesetzt werden und insgesamt mehr Rettungswagen auf die Straße, um die Arbeitsbelastung während der Schichten zu reduzieren. Allein in Berlin stieg die Anzahl an Rettungseinsätzen der Berliner Feuerwehr von 2013 bis 2021 von rund 305.000 auf 425.000 pro Jahr. Und das laut Feuerwehr-Gewerkschaft mit an manchen Tagen nur rund halb so vielen einsatzfähigen Rettungswagen, wie vorgesehen.
"Es kann nicht sein, dass man in einer 24-Stunden-Schicht 15, teilweise 20 Einsätze, mit einer durchschnittlichen Dauer von einer Stunde pro Einsatz, fährt. Da bleibt keine Zeit zum Essen oder Schlafen." Zusammen mit der oft verbesserungsfähigen Bezahlung sei der Beruf so für Einsteiger wenig attraktiv. Bis zum regulären Renteneintritt bei Feuerwehr und Rettungsdienst mit 60 Jahren durchzuhalten, falle vielen Angestellten ebenfalls schwer, so Flake. Auch deshalb sei die "Berufsflucht in den letzten Jahren massiv angestiegen".
Reform von Gesetzen und Strukturen notwendig
Um den Status des Notfallpatienten loszuwerden, muss der Rettungsdienst laut dem Bündnis grundlegend reformiert werden. Ein erster Schritt wäre, den Status als reine "Transportdienstleistung" zu kippen. "Medizinisch völlig unnötige Bagatell-Fahrten binden Einsatzkräfte und Kapazitäten, die andernorts dringend benötigt werden", so Frank Hölters von der Mitarbeiterseite der Caritas. Der Rettungsdienst würde viel zu oft als Taxi missbraucht, da das ambulante System zu Gesundheitsversorgung ebenfalls nicht mehr gut funktioniere.
"Wenn die kassenärztlichen Notdienste nicht reagieren und die Hausärzte dicht sind, werden wir angerufen." In manchen Bundesländern besteht aber eine Transportpflicht, auch für medizinische Kleinigkeiten. Solange in der regulären Versorgung keine Besserung in Sicht sei, werde auch der Rettungsdienst weiter mit Problemen kämpfen.
Abhilfe könnten zum Beispiel mehr Befugnisse für Rettungswagenbesatzungen schaffen. Seit 2013 gibt es Notfallsanitäterinnen und -sanitäter. Deren Ausbildung umfasst laut dem neuen Bündnis pro Rettungsdienst deutlich mehr Inhalt, als dann in vielen Bundesländern tatsächlich abgerufen werden darf - weil die genauen Aufgaben der Rettungsdienste Ländersache sind.
Auch die engere Verzahnung der verschiedenen Teile des Gesundheitssystems auf Augenhöhe sehen die Bündnisteilnehmer als notwendig. "Der Rettungsdienst muss als relevanter Bestandteil des Gesundheitswesens neben der ambulanten und der stationären Versorgung anerkannt werden". "Wenn wir einen Bagatell-Transport ablehnen können, weil wir nicht mehr nur als Transportdienst gelten, würde das auch schon Kapazitäten frei machen", so Hölters.