NSU-Mord vor 20 Jahren Rostock erinnert an Mehmet Turgut
Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 in Rostock vom NSU erschossen. Das Gedenken an ihn wird durch ein breites Bündnis getragen. Eine zentrale Forderung der Hinterbliebenen ist bisher aber nicht umgesetzt worden.
"Nazis morden - der Staat macht mit! Der NSU war nicht zu dritt!" Solche Sprechchöre hallen am Nachmittag vor dem 20. Todestag Mehmet Turguts durch die Rostocker Innenstadt. Nach Polizeiangaben demonstrieren rund 400 Menschen unter dem Motto: "Im Gedenken an Mehmet Turgut - Antifaschismus und Antirassismus organisieren!".
Auffällig ist, dass einige Demonstrierende selbstgebaute Schilder mit Straßennamen tragen: "Mehmet-Turgut-Weg" steht darauf.
Familie von Mehmet Turgut fordert Straßenbenennung
Es ist ein Verweis auf die zentrale Forderung von Mehmet Turguts Hinterbliebenen: dass die Straße am Tatort nach dem Rostocker NSU-Opfer benannt wird.
Unter den Demonstrierenden ist auch Mehmet Turguts jüngerer Bruder Mustafa, er erklärt den Wunsch der Familie: "Es ist sehr wichtig, weil es eine Sache ist, die dann bleibt. Er ist zwar gestorben, aber sein Name würde weiterleben."
Schon länger wünschen sich Mehmet Turguts Hinterbliebenen, dass die Straße am Tatort nach dem Ermordeten benannt wird. Doch einige Anwohner sind dagegen.
Fünftes Mordopfer des "NSU"
Der in der Türkei geborene Mehmet Turgut wollte sich in Deutschland ein Leben aufbauen, nach zwei Abschiebungen versuchte er es 2004 zum dritten Mal. An einem Vormittag vor 20 Jahren hatte Turgut gerade einen Dönerimbiss im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel aufgeschlossen. Kurz darauf stürmen die Täter den Container und erschießen ihn.
Ein Polizeibeamter wird vor Gericht von einer Art Hinrichtung "mit fast aufgesetzten Schüssen" in Hals, Nacken und Kopf sprechen. Mehmet Turgut wurde nur 25 Jahre alt.
Ermittlungen in die falsche Richtung
Nur eine Woche nach Turguts Ermordung in Rostock hatten die damaligen Ermittler bereits einen ausländerfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen. Jahrelang wurde hauptsächlich im Umfeld des Opfers ermittelt, unter anderem gehörte der Besitzer des Dönerimbisses zum Kreis der Verdächtigen. Man ging von einem Mord im Milieu aus.
Nicht nur die Brüder Mehmet Turguts und die türkisch-kurdische Community in Rostock litten unter den Ermittlungsansätzen der Sicherheitsbehörden - auch seine Eltern, die in einem kleinen türkischen Dorf lebten. Dass ihr Mehmet ein Verbrecher gewesen sein sollte, hatte sich dort schnell herumgesprochen. Sie mussten umziehen.
Erst Enttarnung des "NSU" bringt Klarheit
Im November 2011 erschießen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil, das sie zuvor angezündet hatten. Die Polizei war ihnen nach einem Bankraub auf der Spur. Ihre Freundin Beate Zschäpe setzt daraufhin die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand und stellt sich wenige Tage später der Polizei.
In Bekennervideos des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" wird unter anderem der Mord in Rostock zugegeben. Im sogenannten "NSU-Prozess" werden der Gruppierung insgesamt zehn Morde im Zeitraum von 2000 bis 2007 nachgewiesen, außerdem drei Sprengstoffanschläge und 15 Banküberfälle.
Immer noch viele offene Fragen
Zwanzig Jahre nach dem Mord in Rostock läuft die Aufarbeitung weiter. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommern arbeitet ein Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten sowie rechtsterroristischer Strukturen im Bundesland.
Viele Fragen seien noch offen, sagt Caro Keller, die die Aufarbeitung der NSU-Morde für den Blog "NSU-Watch" beobachtet: "Wir müssen immer noch herausbekommen, wer den Hinweis auf den Imbiss, in dem Mehmet Turgut ermordet wurde, gegeben hat. Also konkret: das Unterstützungsnetzwerk und die Ermöglichungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern."
Ortsbeirat stellt sich gegen Straßenbenennung
Das Gedenken an das rassistische Verbrechen und die Erinnerung an Mehmet Turgut gehörten fest zum kulturellen Gedächtnis Rostocks, so die Rostocker Stadtverwaltung. Sie hatte im Vorfeld des 20. Todestages unter anderem ein Podiumsgespräch organisiert. Große Plakate in der Hansestadt weisen auf das Gedenken an Turgut hin.
Die Straße am Tatort nach ihm zu benennen - das allerdings ist weiterhin nicht in Aussicht. Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück erklärt auf Nachfrage, dass der zuständige Ortsbeirat dagegen ist. Eine Begründung: Es gebe Anwohner, die eine Umbenennung nicht wünschten.
Immer wieder Beschädigungen am Denkmal
Seit 2014 gibt es am Tatort in Rostock eine Gedenkstätte für Mehmet Turgut: zwei Bänke aus Beton, die sich versetzt gegenüberstehen. Auf Tafeln in Deutsch und Türkisch ist unter anderem der Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu lesen.
Die Gedenkstätte ist immer wieder das Ziel von Angriffen, in den vergangenen Jahren sind die Bänke mehrmals beschmiert worden. Nach einer Gedenkveranstaltung im Jahr 2022 hatten Unbekannte die Blumen und Kränze zerstört, die für Mehmet Turgut abgelegt worden waren.