Organspende Nächste Initiative für Widerspruchsregelung
Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten will erneut die Widerspruchsregelung bei der Organspende vorantreiben. Kritiker jedoch zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit: "Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu."
Mit einem Gruppenantrag wollen sechs Bundestagsabgeordnete heute eine neue Regelung der Organspende in Deutschland vorantreiben. Die fraktionsübergreifende Gruppe setzt sich für die sogenannte Widerspruchsregelung ein. Das hieße, dass jede Person automatisch nach ihrem Tod potenzieller Organspender ist, außer sie hat zu Lebzeiten widersprochen.
Hinter dem Antrag stehen Petra Sitte (Linke), Sabine Dittmar (SPD), die zugleich parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium ist, Gitta Connemann (CDU), Armin Grau (Grüne), Christoph Hoffmann (FDP) und Peter Aumer (CSU). Ein erster Anlauf für eine Widerspruchsregelung war 2020 im Bundestag gescheitert.
Zahl der Organspenden soll erhöht werden
Derzeit gilt in Deutschland eine sogenannte Zustimmungsregelung: Nur wer zu Lebzeiten ausdrücklich seine Bereitschaft zur Organspende dokumentiert hat, ist auch potenzieller Organspender.
Auch mehrere Bundesländer unter Federführung von Nordrhein-Westfalen hatten Mitte Juni eine Initiative für die Widerspruchsregelung in den Bundesrat eingebracht. Ziel ist, die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen. Etwa 8.400 Menschen stehen derzeit auf Wartelisten für ein neues Organ.
Laumann: "Katastrophale Situation"
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sprach sich im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF für die Widerspruchsregelung aus. "In Deutschland haben vielleicht 40 Prozent der Menschen einen Organspendeausweis. Umfragen sagen: 80 Prozent sind für Organspende", sagte er. "Wir haben eine katastrophale Situation auf den Wartelisten. Viele Menschen sterben, bevor sie ein Organ bekommen."
Der CDU-Politiker hält es für zumutbar, dass Menschen sich zu Lebzeiten mit der Frage einer Organspende auseinandersetzen und darüber entscheiden. "Die Entscheidung des einzelnen Menschen ist immer moralisch in Ordnung - egal, ob er sich für oder gegen eine Organspende entscheidet", so Laumann. "Ich bin sicher, dann kommen wir zu einer viel positiveren Einstellung zu diesem Thema." Auf Dauer könne das dazu beitragen, dass es wie in anderen europäischen Ländern etwas Normales sei, Organe zu spenden.
Ist die Widerspruchsregelung verfassungswidrig?
Kritiker der Widerspruchsregelung, darunter Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), geben zu bedenken, dass ein Stillschweigen zur Organspende nicht als Zustimmung gewertet werden dürfe.
Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr sprach gegenüber der Nachrichtenagentur dpa von einem massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. "Anstatt auf staatliche Bevormundung zu setzen, sollten wir die selbstbestimmte Entscheidung über eine Spende verbindlicher gestalten."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält die Einführung einer Widerspruchsregelung gar für verfassungswidrig. Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung, sagte Brysch der Zeitung Augsburger Allgemeinen. "Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu."
Patientenschützer für effizientere Organisation
In den Ländern Europas, in denen es deutlich mehr Organspender gebe als in Deutschland, hätten erst organisatorische und strukturelle Maßnahmen zu steigenden Organspende-Zahlen geführt, sagte Brysch. "Deshalb braucht es jetzt finanzielle Anreize für Krankenhäuser, ein effizientes Transplantationsnetzwerk, Bildungsprogramme und die Schulung von Koordinatoren im Umgang mit Angehörigen", sagte der Patientenschützer.
Zudem sollten die Bundesländer dafür sorgen, dass die gesetzlich geforderte Anbindung der Pass- und Ausweisstellen an das Organspenderegister funktioniere. Dort hätten sich bis Ende Mai rund 120.000 Personen als Organspender eintragen lassen.