Russische Wähler in Deutschland Nur wenige sprechen offen
Auch in Deutschland lebende Russen können an der Präsidentenwahl in Russland teilnehmen. Doch darüber sprechen wollen die wenigsten.
In Köln-Porz leben viele Menschen mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. Zwischen Plattenbauten mit Satellitenschüsseln steht neben einem Supermarkt für osteuropäische Lebensmittel eine kleine Bude, in der Schaschlik, Piroschki und Tee verkauft werden. Für die Menschen im Viertel ein Ort, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Aber nicht über alle Themen wird geredet. "Ich möchte nicht, dass meine Gäste über Politik sprechen. Das führt nur zu Spannungen. Hier wird gegessen und mehr nicht", sagt der Imbiss-Verkäufer. "Ich möchte, dass meine Bude ein neutraler Ort der Begegnung bleibt.
Nur wenige sprechen offen über ihre politischen Ansichten. Einer von ihnen ist der 91-jährige Boris. Stolz sagt er, dass seine Stimme an Wladimir Putin gehe. "Weil er mir gefällt. Ich habe schon viele Präsidenten erlebt. Und das ist der beste." Was Putin zu einem guten Präsidenten mache, sei "seine Erfahrung, sein Wissen - und das Wichtigste: Er kümmert sich um die Menschen". Aber auch Boris versucht, das Thema Politik mit Freunden und Familie lieber zu umgehen. Er möchte keinen Streit.
Imbiss in Köln-Porz: Über Politik wird hier nur ungern geredet.
Mit den Menschen hier über die bevorstehende Präsidentenwahl in Russland sprechen ist fast unmöglich. Auch Natascha ist vorsichtig. Sie hat einen russischen Pass, ist gegen Putin, will aber nicht an einer Präsidentschaftswahl teilnehmen, bei der keine Oppositionskandidaten zugelassen wurden. "Meine Stimme wird nichts ändern. Es wird doch eh so abgestimmt, wie es dem Kreml passt."
Natascha möchte nicht, dass ihr voller Name genannt wird - zu groß die Angst vor Repressionen gegen Freunde und Verwandte in Russland. "Für mich ist es total traurig zu sehen, was aus meinem Land geworden ist."
In der Vergangenheit niedrige Wahlbeteiligung
In Russland wird an drei Tagen gewählt. In Deutschland begrenzt sich die Abstimmung auf einen Tag, den Sonntag. Russische Staatsbürger können entweder bei der russischen Botschaft in Berlin oder beim Generalkonsulat in Bonn ihre Stimme abgeben.
Bei früheren Wahlen war es möglich, auch bei Konsulaten in Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig oder München teilzunehmen, doch diese mussten zum Ende des letzten Jahres schließen. Die russische Botschaft geht davon aus, dass das dazu führen wird, dass noch weniger Russen in Deutschland an der Präsidentenwahl teilnehmen werden.
Doch selbst an den Wahlen, bei denen alle Konsulate offen waren, hat nur ein Bruchteil der Russen und Russinnen in Deutschland teilgenommen. Laut Ausländerzentralregister leben in Deutschland 265.069 russische Staatsangehörige über 18 Jahre. Hinzu kommen 315.000 Menschen, die laut Mikrozensus 2022 neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch eine russische haben.
Nach Angaben der russischen Botschaft haben bei der Präsidentenwahl 2018 nur 33.853 Wahlberechtige in Deutschland ihre Stimme abgegeben. 74 Prozent davon hätten für Putin gestimmt.
Die Soziologin Tatiana Golova vom Berliner Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien plädiert dafür, den Stellenwert solcher Prozentzahlen nicht zu überschätzen. "Die Stimmen selbst sind gar nicht so der entscheidende Faktor. Es geht im Prinzip darum, dass in Russland das Bild vermittelt wird: Putin hat auch Unterstützer im Ausland." Exil-Russen könnten solche Wahlen nutzen, um genau dieses Bild zu zerstören.
Yuri Nikitin plant für Sonntag Protestaktionen.
Moralische Pflicht zum Protest
Golova forscht zu Migranten und Migrantinnen aus dem postsowjetischen Raum. In den vergangenen zwei Jahren seien viele Oppositionelle aus Russland nach Deutschland gekommen. Diese Menschen empfänden "eine Art moralische Pflicht", politisch aktiv zu sein und zu demonstrieren, so Golova. Der Grund: Anders als in Russland hätten sie hier die Möglichkeit, sich gegen das Regime in Moskau zu stellen.
Zum Beispiel Yuri Nikitin. Er ist Vorsitzender des Vereins Freies Russland NRW. Er sagt, dass er schon immer gegen Putin gewesen sei. Doch an der kommenden Wahl will er sich nicht beteiligen. "Putin abzuwählen ist völlig unrealistisch. In einer funktionierenden Demokratie wäre das möglich, aber nicht in Russland." Deshalb habe er sich entschieden, zum ersten Mal nicht teilzunehmen. "Diese Wahl ist ein reines Spiel, und ich will da einfach nicht mitmachen."
Nikitin plant für Sonntag Protestaktionen. Er beobachtet, dass sich in den vergangenen Jahren mehr Russinnen und Russen politisch in Deutschland engagieren. "Die Verhaftung von Alexej Nawalny hat viele schlafende Aktivisten geweckt."
In Nikitins Familie ist das Thema Politik ein heikles. Er versteht, warum viele das Thema lieber umgehen möchten. "Wer eine friedliche Zeit mit seinen Verwandten verbringen möchte, der spricht bestimmte Dinge einfach nicht an."