Denkmalschutz und Mobilität Mit der Rikscha übers Kopfsteinpflaster
Seit den 1990er-Jahren sind viele ostdeutsche Städte saniert worden. Im brandenburgischen Angermünde steht das Stadtzentrum jetzt unter Denkmalschutz. Doch das Kopfsteinpflaster ist für viele Senioren ein Problem.
"Kommen Sie noch allein oder soll ich helfen?", fragt Frank Krüger die beiden über 80-Jährigen vor dem Seniorenzentrum "Am Stadtwall" der Arbeiterwohlfahrt in Angermünde. Der Ehrenamtliche hebt Karin Goebels und Ute Heese aus ihren Rollstühlen in eine Rikscha, um die beiden durch die historische Altstadt zu fahren. Denn sonst kommen die Seniorinnen aus ihrem Heim nur schwer heraus, zum Beispiel zum Supermarkt. Der 93 Jahre alte Horst Gerlach begleitet sie auf einem der Elektromobile.
Das Kopfsteinpflaster ist für viele Senioren ein unüberwindbares Hindernis. Selbst mit Rollator und Elektromobil wird es für Gehbehinderte schwierig. "Die Beine machen das nicht mit und so habe ich die Möglichkeit, da mal hinzufahren und mir irgendetwas zu kaufen, was es hier nicht so gibt. Oder ich stelle mich auch an die Straße und warte immer, dass einer vorbeikommt, der mich kennt", erzählt Gerlach. "Ein bisschen Freiheit." Aber hohe Bordsteinkanten setzen Senioren weitere Grenzen. "Man hat auch immer Angst umzukippen, weil man dann auf dem Rücken liegt wie ein Käfer und kommt nicht wieder hoch", schildert der Heimbewohner.
Zentrum unter Denkmalschutz
Die Rikscha erreicht den Angermünder Marktplatz. "Heute ist nicht viel los hier auf dem Markt", sagt Krüger, während er strampelt. "Das Wetter ist auch nicht prickelnd." Trotzdem genießen die Senioren den Ausflug. "Das kann ich nicht allein machen", meint Heimbewohnerin Goebels. "Das geht einfach nicht - auch schon durch die Wege, die so grässlich sind."
Angermünde ist wie viele ostdeutsche Städte seit Anfang der 1990er-Jahre aufwändig saniert worden - dank Fördermitteln. Die sind für 25 Jahre zweckgebunden. Das historische Zentrum steht jetzt unter Denkmalschutz. Seniorengerechter umbauen geht also momentan nicht.
Das historische Stadtzentrum von Angermünde steht unter Denkmalschutz - ist aber nicht seniorengerecht.
Paradigmenwechsel vor 15 Jahren
"Es ist ein Problem, dass eine Stadt wie Angermünde alles schön und schick gemacht hat, aber jetzt nicht wieder alles aufreißen kann", gibt die Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Ulrike Wendland, zu. Auch Städte wie Quedlinburg und Neuruppin hätten viele geschützte Denkmäler.
Erst vor 15 Jahren habe ein Paradigmenwechsel begonnen. "Es geht viel mehr um Inklusion, also auch um junge Menschen, Sehbehinderte bis hin zu Älteren", erläutert die Kunsthistorikerin. Darüber hinaus spiele der Klimawandel heute eine größere Rolle. Wasser solle besser abfließen, der Boden mehr aufnehmen.
Den Faktor Ökologie unterstreicht die Abteilungsleiterin Bewusstseinsbildung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Ursula Schirmer. Außerdem hätten sich Anwohner über Lärm beschwert, den Kopfsteinpflaster verursache. Zusätzlich könnten Markthändler ihre Zelte und Stände dort nicht aufbauen, weil kein Hering halte.
"Damals dachte man nicht an Menschen mit Handicap, sondern an Damen mit hohen Absätzen", erklärt die Denkmalschützerin mit Blick auf das 20. Jahrhundert. Mittlerweile gebe es jedoch Ideen. "Wenn die Hauptfläche gepflastert ist, können heute Gehwege mit Granitplatten am Rand oder kreuz und quer entstehen", sagt Schirmer. "Darüber kommen Sie mit jedem Stock und hochhackigen Schuhen."
Der 93-Jährige Horst Gerlach fährt vor dem Seniorenzentrum "Am Stadtwall" in Angermünde auf einem Elektromobil.
"Alle müssen abwägen"
Denkmalschützer formulierten nur Ziele, ergänzt Wendland. "Es liegt in der Hand der Städte, Kommunen und Landkreise", meint die Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. "Wenn es zu einem Konflikt kommt, können sie gegen die Voten der Denkmalbehörden entscheiden. Alle müssen abwägen - und Denkmalpflegende sich einen Schubs geben."
Angermündes stellvertretender Bürgermeister Christian Radloff erläutert, dass seine Stadt das Kopfsteinpflaster nicht einfach ändern dürfe. "Aber wir versuchen natürlich Wege zu finden mit anderen Mitteln, gerade die älteren Menschen auch am Leben teilhaben zu lassen", sagt der parteilose Politiker.
Deswegen hat die Stadt mit Partnern und Fördergeld vom Land unter anderem ein Elektromobil mit größeren Rädern angeschafft. "Hier haben wir unsere Hupe. Einmal links. Einmal rechts", erklärt der Moderator des Pflegestammtisches Angermünde, Jens Kuschel, dem Rentner Wolfgang Zeiler vor dem Seniorenzentrum "Am Stadtwall". Es tutet laut. "Und wir haben hier verschiedene Einschaltstufen, wo die Kilometerzahl dann gedrosselt ist. Stufe eins fahren wir bis 10 km/h, Stufe zwei ungefähr bis 15 km/h und Stufe drei dann bis 25."
Kein Risiko für über 80-Jährige, die manchmal langsamer reagieren, meint Kuschel: "Gefährlich ist es erst einmal soweit nicht, wir haben ja durch diesen Kippschalter die Drosselung auf 10 km/h, sodass die Senioren uns nicht völlig entfleuchen können."
Die Rikscha-Fahrt von Karin Goebels und Ute Heese endet am Mündesee in der Uckermark.
Die Elektromobile gefallen nicht allen
An der Stadtmauer in Angermünde drehen einige Senioren gleich während ihrer ersten Fahrt voll auf. "Das ist Premiere", freut sich Heimbewohner Manfred Skrypzak. "Super, ich finde das gut."
Doch die Elektromobile auf dem Kopfsteinpflaster gefallen nicht allen. "Ich habe gedacht, wo fährt man dann damit - auf dem Bürgersteig oder auf der Straße?", fragt sich Karin Goebels. "Das weiß ich nicht, ob das gut ist." Die Bewohnerin des Seniorenzentrums bevorzugt die Rikscha, von der auch der Ehrenamtliche profitiert. "Man muss sich bewegen im Alter", erzählt Frank Krüger. "Wenn ich so eine Stunde ins Fitnessstudio gehe, da kostet mich das ein paar Mark und so werde ich hier auch warm."
Bewohnerin Goebels betont, wie wichtig ihr die Ausflüge sind: "Erstens etwas anderes sehen und frische Luft haben - und es ist einfach wunderbar." Ihre Fahrt endet am Mündesee in der Uckermark, an den die Seniorinnen es allein nicht geschafft hätten.