Straßenbau Kein Kurswechsel für den Klimaschutz?
Deutschland, einig Autoland: Seit Jahrzehnten setzt die Verkehrspolitik auf den Straßenausbau - auch im aktuellen Bundesverkehrswegeplan. Klimaschutzziele ließen sich so nicht erreichen, monieren Kritiker.
Fast 160 Meter über dem Moseltal spannt sich eine spektakuläre Straßenstrecke: die Hochmoselbrücke. Vier Fahrspuren auf mehr als anderthalb Kilometern Länge, seit fast drei Jahren rollt der Verkehr über das Bauwerk. Jahrzehntelange Planung, insgesamt 500 Millionen Euro Baukosten - ein Prestigeprojekt.
Die Idee: die Verkehrsachse aus dem Rhein-Main-Gebiet zu den Industriehäfen in Rotterdam und Antwerpen zu öffnen. Von Anfang an war das Ziel hoch umstritten, zerschneidet die Streckenführung der Bundesstraße 50 an dieser Stelle doch historische, hochrenommierte Weinlagen der Mosel: Zeltinger Himmelreich, Ürziger Würzgarten oder Wehlener Sonnenuhr.
Doch politisch war das Projekt gewollt. Der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte 2008: "Es ist eines der wichtigsten Straßenbauprojekte für unser Land, denn damit binden wir Rheinland-Pfalz in den westeuropäischen Raum ein."
Planung am Bedarf vorbei
Seinerzeit lautete die Prognose der Landesregierung für das Verkehrsaufkommen im Jahr 2025: 25.000 Fahrzeuge pro Tag, davon allein 6.000 Lkw. Weit entfernt davon die tatsächlichen Zahlen der jüngsten Verkehrszählung 2021. Gerade mal ein Viertel des erhofften Güterverkehrs - nämlich rund 1.600 Lkw - passieren die Brücke täglich, insgesamt sind es nur gut 10.000 Fahrzeuge.
Wenig überraschend findet das der Trierer Verkehrsexperte Heiner Monheim. Für ihn ist die Brücke eine Fehlplanung. "Weil sie in die heutige Zeit nicht mehr reinpasst", erklärt Monheim. "Die stammt ursprünglich mal aus den 1960er- und 1970er-Jahren, hatte viel mit Kaltem Krieg und der Verbindung der NATO-Flughäfen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu tun. Sie ist total überdimensioniert, und sie hat als wesentlichen Fehler, dass sie keine Schiene hat."
Planung am Bedarf vorbei - was bedeutet das für künftige Projekte? Die rheinland-pfälzische Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP) verteidigt den Hochmoselübergang: "Rheinland-Pfalz ist ein Flächenland, und deswegen ist es so wichtig, dass wir unsere Ausgaben und Investitionen in die Infrastruktur verstetigen und weiter auch zur Verfügung stellen. Und dazu gehört die gut ausgebaute Straße letztendlich genauso wie die Brücke."
Kritik vom BUND
Auch ein weiteres Großprojekt - der Lückenschluss der A1 in der Eifel - wird derzeit vorangetrieben. 25 Kilometer Autobahn zwischen Blankenheim in Nordrhein-Westfalen und Kelberg in Rheinland-Pfalz sollen gebaut werden. Im Juli 2023 erließen die Behörden von Bund und Land einen Planfeststellungsbeschluss für einen Teilabschnitt.
Verkehrsministerin Schmitt sprach von einem wichtigen Meilenstein: "Die Menschen in der Region warten seit Jahrzehnten auf die Fertigstellung dieses wichtigen Projektes. Es geht darum, den Pendlerinnen und Pendlern ein gutes Angebot zu ermöglichen, aber auch vielen mittelständische Unternehmen in der Eifel. Und wir werden dieses Thema mit Nachdruck vorantreiben."
Eine weitere Fehlplanung, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er hält es für ausreichend, die bestehende Bundesstraße Richtung Autobahn auszubauen. Auch mit einem Lückenschluss würden täglich nicht mehr als 20.000 Fahrzeuge die Strecke passieren - dazu brauche man keine Autobahn.
Wissing plant anders
Ganz anders sieht die Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministers Volker Wissing aus. Im März stellte der FDP-Politiker seine Zahlen bis 2051 vor - ein drastischer Anstieg gegenüber der ursprünglichen Planung bis 2030, denn die Bevölkerung werde wachsen.
Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sei nur ordentlich geplant, wenn die Menschen nichts konsumierten, nicht arbeiteten und sich auch in ihrer Freizeit nicht bewegten, so Wissing. "Wenn diese Leute allerdings einkaufen, weil sie essen, wenn sie zur Arbeit fahren, wenn sie zur Freizeit fahren, in den Urlaub fahren, und wenn sie auch im Internet bestellen, dann wird das nicht funktionieren."
Der Personenverkehr werde gegenüber 2019 um 13 Prozent zunehmen, der Güterverkehr um 46 Prozent. Wissings Konsequenz: Der Autobahnausbau in Deutschland soll an 144 Stellen beschleunigt werden. Zustimmung erfährt der Bundesverkehrsminister vom Autobahnbetreiber Autobahn GmbH des Bundes. Es gelte, das "Rückgrat der Verkehrsinfrastruktur" zu erhalten.
Verkehrsexperte: Klimaziele einhalten
Weniger Straße, mehr Schiene, fordert dagegen Verkehrsexperte Monheim. Als der Hochmoselübergang geplant wurde, war ein deutsches Klimaschutzgesetz noch in weiter Ferne. 2015 wurde auf der Pariser Klimakonferenz die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, auf möglichst 1,5 Grad beschlossen.
Ein Ziel, dem sich auch die Bundesregierung verpflichtet hat, das aus Monheims Sicht aber mit der jetzigen Planung nicht erreichbar ist: "Wir haben die Pariser Klimakonvention, die verfassungsbindend ist, und wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik, und wer gegen diese beiden grundsätzlichen Festlegungen verstößt - und das tut die Verkehrspolitik mit den vielen Straßenprojekten -, der handelt verfassungswidrig."
Um die Klimaziele einzuhalten, müsse man deutlich den Autoverkehr verringern, so Monheim. "Das Umweltbundesamt hat Untersuchungen darüber gemacht, wie viel Autoverkehr und wie viel Motorisierungsgrade klimaverträglich wären, wir landen da bei 150 Kraftfahrzeugen pro 1.000 Einwohner." Derzeit sind es in Rheinland-Pfalz mehr als viermal so viele - nämlich 634. Damit liegt das Land bundesweit auf Platz zwei.
Reicht ein "Weiter so"?
Aus Sicht der zuständigen rheinland-pfälzischen Landesministerin Schmitt bedeutet klimagerechte, zeitgemäße Verkehrspolitik einen "klugen Verkehrsmix": "Das ist die Straße, aber natürlich auch die Schiene und die Wasserwege, und beim individuellen Verkehr brauchen wir ein gutes Mobilitätsangebot für die Menschen im ländlichen Raum." Deshalb habe auch der motorisierte Individualverkehr eine Zukunft - und der brauche gut ausgebaute Straßen und Brücken.
Die gesteckten Klimaziele hat der Verkehrssektor in den vergangenen zwei Jahren nicht erfüllt, das räumt auch das Bundesverkehrsministerium ein. Fraglich bleibt, ob ein "Weiter so" in der Verkehrspolitik dazu beitragen kann.