Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Kein Anspruch auf Suizid-Medikament
Unheilbar Kranke haben keinen Anspruch auf ein tödliches Medikament vom Staat. Inzwischen gebe es andere "zumutbare Möglichkeiten", sich legal beim Suizid helfen zu lassen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht.
Sie sind unheilbar krank und kämpfen seit Jahren darum, ein tödliches Medikament vom Staat zu bekommen. Sie wollen selbst bestimmen, wann ihr Leben für sie nicht mehr lebenswert ist, wann sie aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr leiden wollen. Harald Mayer leidet an Multipler Sklerose, Hans-Jürgen Brennecke hat Krebs. Beide beantragten beim Bundesamt für Arzneimittel (BfArM) die Genehmigung für die Herausgabe einer tödlichen Dosis des Medikaments Natrium-Pentobarbital, beriefen sich auf ihr "Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben".
Weil das BfArM die Herausgabe verweigerte, klagten sie sich durch die Instanzen. Nun entschied der dritte Senat des Bundesverwaltungsgerichts: Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen der Staat beim Suizid hilft. Zwar hätten sie das Recht, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Es gebe aber andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung des Sterbewunsches.
So dürften inzwischen Sterbehilfevereine wieder arbeiten und auch Ärztinnen und Ärzte könnten beim Suizid helfen. Außerdem rechtfertige die Gefahr von Missbrauch und Fehlgebrauch das Verbot der Herausgabe des Medikaments.
2017 stellte das Gericht schon Kriterien auf
Im März 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Fall entschieden: Zwar erlaube das Betäubungsmittelgesetz eine Freigabe nur zu medizinischen Zwecken, also um Krankheiten zu heilen. In eng begrenzten Ausnahmefällen ist der Staat aber verpflichtet, schwerkranken Menschen ein Medikament zur Selbsttötung zur Verfügung zu stellen, also die Erlaubnis zum Erwerb zu erteilen.
Das klingt vordergründig wie ein Widerspruch zum heutigen Urteil, ist es aber nicht. Denn die Leipziger Richterinnen und Richter sagten damals: Nur wenn sich Menschen aufgrund einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befänden, müsse der Staat davon Ausnahmen machen. Voraussetzung für die extreme Notlage sei es unter anderem, dass "andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung des Sterbewunsches" nicht zur Verfügung stünden.
Strafgesetz verbot damals die Hilfe zum Suizid
Als das Bundesverwaltungsgericht 2017 urteilte, gab es im Strafgesetzbuch noch das Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Sterbehilfevereine durften in Deutschland nicht arbeiten und auch Ärztinnen und Ärzte machten sich strafbar, wenn sie mehreren Menschen beim Suizid helfen wollten.
Es gab für die schwerkranken, suizidwilligen Menschen damals also allenfalls die Möglichkeit, ins Ausland zu fahren und sich dort helfen zu lassen. In Deutschland fehlte die "andere zumutbare Möglichkeit".
Die Ausgangslage hat sich geändert
Im Februar 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot im Strafgesetzbuch. Das im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsrecht garantiere ein Recht auf "selbstbestimmtes Leben". Daraus ergebe sich auch ein Recht auf "selbstbestimmtes Sterben" und dieses Recht schließe die Freiheit ein, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese in Anspruch zu nehmen.
Mit dieser zentralen Botschaft erklärte Karlsruhe das Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" für nichtig. Seitdem dürfen Sterbehilfevereine in Deutschland wieder arbeiten und auch Ärztinnen und Ärzte machen sich nicht mehr strafbar, wenn sie zum Beispiel ein Medikament verschreiben und so beim Sterbewunsch behilflich sind.
Auch wenn es am Bundesverfassungsgericht 2020 nicht um die Frage ging, ob der Staat ein Medikament zur Verfügung stellen muss, hatte die Karlsruher Entscheidung Einfluss auf das jetzige Verfahren in Leipzig. Die Richterinnen und Richter am Bundesverwaltungsgericht entschieden nun: Durch die Grundsatzentscheidung vom Bundesverfassungsgericht gebe es jetzt "andere zumutbare Möglichkeiten", Hilfe für den Suizid zu erhalten. Die Voraussetzungen, die den Staat verpflichten würden, das tödliche Medikament zur Verfügung zu stellen, bestehen deshalb nicht mehr.
Gemeinwohlbelange erlauben das Verbot
Diese anderen Möglichkeiten gingen mit Erschwernissen für sterbewillige Menschen einher. Deshalb greife der Staat hier in ihr Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben ein. Denn: Ein anderes Medikament sei mitunter schwerer zu schlucken, weil es in höherer Dosis eingenommen werden müsse. Für die intravenöse Einnahme sei man auf medizinische Hilfe angewiesen.
Dieser Grundrechtseingriff sei aber gerechtfertigt, weil die Freigabe des Medikaments auch zu einem Missbrauch oder einem Fehlgebrauch führen könne. Allein die Aufbewahrung des tödlichen Medikaments sei gefährlich. Der Gesetzgeber dürfe dies berücksichtigen und wegen dieser Belange des Gemeinwohls das Verbot der Herausgabe regeln.
Alternativen für die Kläger
Der Staat darf Harald Mayer und Hans-Jürgen Brennecke also nicht verbieten, selbstbestimmt über ihren Tod zu entscheiden, er darf auch die Hilfe dazu nicht mehr verbieten, er muss aber selbst kein Medikament dafür zur Verfügung stellen.
Die Kläger müssen und können sich nun also Hilfe bei einem Arzt oder einer Ärztin holen, die ein anderes tödliches Medikament verschreiben könnte. Oder sie nehmen die Hilfe eines Sterbehilfevereins in Anspruch.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de
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