Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu (Archivbild: 12.02.2024)
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Einladung von Merz Müsste Deutschland Netanjahu festnehmen?

Stand: 28.02.2025 10:37 Uhr

CDU-Chef Merz hat dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu zugesagt, "Mittel und Wege" für einen Deutschlandbesuch zu finden. Das wäre aber eine Missachtung des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs.

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Der wohl künftige Bundeskanzler Friedrich Merz hat noch am Wahlabend angekündigt, den Premierminister von Israel, Benjamin Netanjahu, nach Deutschland einladen zu wollen. Er habe Netanjahu "Mittel und Wege" in Aussicht gestellt, dass "er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist". Eine Haltung, die sich schon im Wahlkampf angedeutet hatte. Dennoch eine Aussage mit Konfliktpotenzial.

Haftbefehl seit November 2024

Gegen Netanjahu liegt seit dem 21. November 2024 ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag vor. Das Gericht sieht hinreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg trägt.

 

Deutschland zur Zusammenarbeit verpflichtet

Deutschland ist sogenannter Vertragsstaat des IStGH und damit zur Zusammenarbeit verpflichtet. Das heißt: Liegt ein Haftbefehl und ein Ersuchen um Festnahme vor, muss Deutschland handeln. Im konkreten Fall müsste Netanjahu also festgenommen werden, wenn er nach Deutschland kommen sollte. So regelt es das römische Statut. Einen Spielraum für die Mitgliedsstaaten, um darauf aus politischen Erwägungen zu verzichten, gibt es nicht.

Christoph Safferling ist Professor für Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Schon die Ankündigung von Merz führt bei ihm und vielen anderen Völkerrechtlern zu großem Unverständnis: "Schon mit dieser Aussage provoziert er den Internationalen Strafgerichtshof. Wenn er das wirklich macht, dann können wir beim IStGH das Licht ausmachen", so Safferling.

Deutschland sei der größte Unterstützer, der zweitgrößte Finanzierer des IStGH. "Wenn wir dieses Gericht so an den Pranger stellen, indem wir so offensichtlich nicht kooperieren, dann war es das. Und das würde ich dem zukünftigen deutschen Bundeskanzler echt nicht empfehlen beziehungsweise ihn bitten, es nicht zu tun."

Keine Immunität für Staatsoberhäupter

Immer wieder wird in der Diskussion die persönliche Immunität von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs eingebracht, die das Völkerrecht durchaus kennt. Nach der Rechtsprechung des internationalen Gerichtshofs (IGH), der seinen Sitz ebenso in Den Haag hat, gilt diese Immunität aber nur im Verhältnis zwischen zwei Staaten. Deutschland dürfte also einen Regierungschef wegen dessen Immunität nicht an einen anderen Staat ausliefern.

Gegenüber dem IStGH gilt diese Immunität nach Völkergewohnheitsrecht aber nicht. Auch nicht, wenn die Länder der gesuchten Regierungschefs und Staatsoberhäupter selbst nicht Mitgliedsstaaten des IStGH sind, so wie Israel oder Russland. Dies sehen zwar manche Völkerrechtler kritisch, allerdings handelt es sich dabei um eine gefestigte Rechtsprechung. An der kann Deutschland nicht plötzlich rütteln. 

"Der Internationale Strafgerichtshof ist ja gerade deswegen gegründet worden, um das Völkerstrafrecht auch gegen diese Personen, also gegen Staatsoberhäupter und Regierungschefs anwenden zu können. Damit man auch die zur Rechenschaft ziehen kann, die die Hauptschuld tragen", erklärt Safferling. "Wenn man jetzt diese Immunität in dem Sinne dagegen in Stellung bringt, dann verstößt man gegen den Sinn und Zweck des Römischen Statuts."

Verhinderung der Festnahme wäre rechtswidrig

Der Haftbefehl ist seit November im Raum. Sobald bekannt werden sollte, dass Netanjahu nach Deutschland reisen wird, wird der IStGH wohl auch ein konkretes Festnahme- und Überstellungsersuchen nach Deutschland schicken. Für die Festnahme ist die Generalstaatsanwaltschaft zuständig in dem Bundesland, in dem sich Netanjahu dann aufhält. "Im Grunde müsste Netanjahu direkt am Flughafen festgenommen werden", so der Völkerrechtsexperte.

Wie Merz das verhindern will, welche "Mittel und Wege" er finden will, hat er bisher nicht konkretisiert. Solche sind nicht ersichtlich und wären allesamt grob rechtswidrig.

Bundeskanzler darf keine entsprechenden Weisungen erteilen

Merz könnte eventuell noch dafür sorgen, dass das Festnahmeersuchen vom Bundesjustizministerium nicht an die entsprechende Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet würde. Damit würde er schon gegen die Verpflichtung zur Zusammenarbeit Deutschlands mit dem IStGH verstoßen. Und: Sicher verhindern würde er eine Festnahme damit nicht.

Nach dem deutschen Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH sind Staatsanwaltschaften und Polizei nämlich ziemlich sicher auch schon durch den Haftbefehl allein zur Festnahme befugt. Der zuständige Landesjustizminister könnte der Staatsanwaltschaft theoretisch die dann politisch motivierte Weisung erteilen, die Festnahme zu unterlassen. Aber auch eine solche Weisung wäre rechtswidrig. Außerdem hat der Bundeskanzler keine Befugnis, auf die Landesjustizminister oder direkt auf die Staatsanwaltschaften einzuwirken.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag in den Niederlanden ist ein ständiges internationales Strafgericht, das seit 2002 tätig ist. Seine Hauptaufgabe ist es, schwerste Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und seit 2018 auch Verbrechen der Aggression zu verfolgen und zu bestrafen. Der IStGH wird nur dann aktiv, wenn nationale Gerichte nicht willens oder in der Lage sind, diese Verbrechen zu verfolgen.

Im Gegensatz zum Internationalen Gerichtshof (IGH), der Streitigkeiten zwischen Staaten schlichtet, befasst sich der IStGH mit der strafrechtlichen Verantwortung von Individuen für schwerste internationale Verbrechen. Der IStGH ist unabhängig von den Vereinten Nationen und wird von seinen Mitgliedstaaten finanziert. 125 Staaten gehören aktuell dem IStGH an, darunter alle EU-Mitgliedstaaten und seit 2025 auch die Ukraine. Länder wie die USA, China, Indien und Russland sind jedoch keine Mitglieder.

Justiz ist unabhängig

Auf das dann für das Überstellungsverfahren zuständige Oberlandesgericht darf wegen der Unabhängigkeit der Justiz auch kein Landesjustizmister einwirken. Am Ende muss zwar das Bundesjustizministerium die Überstellung formal bewilligen, darf diese aber nicht aus politischen Motiven ablehnen.

Völkerrechtprofessor Safferling fasst zusammen: "Es gibt einen Verfolgungszwang, wenn Netanjahu sich in Deutschland befindet. Und hier sieht die Strafprozessordnung - im Gegensatz zu anderen Auslieferungen - auch nicht vor, dass man von der Festnahme und der Überstellung zum IStGH absehen kann, wenn ein schwerer Nachteil für Deutschland oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Wenn es nicht zur Festnahme kommt, weil Merz oder ein Justizminister das angeordnet hat, dann könnte es sogar sein, dass er sich strafbar macht wegen Strafvereitelung im Amt. Und auch die Staatsanwälte würden möglicherweise Rechtsbeugung begehen."

Netanjahu zur Zusammenarbeit mit dem IStGH bringen

Es gibt also rechtlich keine Möglichkeit, "Mittel und Wege" zu finden, um eine Festnahme und anschließende Überstellung zu verhindern. Safferling zeigt dem designierten Bundeskanzler aber dennoch eine zumindest theoretische Möglichkeit auf: "Wenn Friedrich Merz noch einen Restglauben an den Internationalen Strafgerichtshof hat, dann müsste er versuchen, Netanjahu dazu zu bringen, mit dem Gericht zu kooperieren", so der Strafrechtler.

"Netanjahu könnte den Chefankläger nach Jerusalem einladen, ihm dort Belege dafür vorlegen, dass diese Verbrechen nicht geschehen sind. Darauf könnte Merz hinarbeiten, wenn er der Meinung ist, dass der Haftbefehl falsch ist. Aber ihn einfach zu missachten, ist keine Lösung."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. Februar 2025 um 06:50 Uhr.