Kleiner Parteitag der Grünen Für den Moment versöhnt
Harmonischer als erwartet ist der Länderrat der Grünen zu Ende gegangen, mit weitreichenden Forderungen zur Asylpolitik. Außenministerin Baerbock griff auf große Rhetorik zurück - und ging umjubelt aus dem Treffen.
Omid Nouripour sollte recht behalten. Der Grünen-Co-Chef bemühte in den vergangenen Tagen immer wieder das Motiv des "Unterhakens" von Bundeskanzler Olaf Scholz - und prophezeite, die Partei gehe geeint und gestärkt aus diesem Länderrat heraus. Trotz der teils heftigen verbalen Angriffe vor dem Treffen im hessischen Bad Vilbel. Die erwarteten hitzigen Debatten, vor allem zum EU-Asylkompromiss, sind eher zu emotionalen Diskursen geworden. Selbst das Grünen-Spitzenpersonal packte die großen Gefühle aus - und zog damit offenbar einen großen Teil der Delegierten auf ihre Seite.
Vor allem der Auftritt von Annalena Baerbock wurde mit Spannung erwartet. Viele Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen waren sauer auf die Bundesaußenministerin, weil sie dem EU-Asylkompromiss zugestimmt hatte. In den Augen der Kritiker verriet Baerbock damit einen grünen Markenkern: die humane Flüchtlingspolitik.
"Wir müssen Annalena anzählen", forderte vor ein paar Tagen noch die grüne Migrationspolitikerin Svenja Borgschulte. Die Ministerin konterte in Bad Vilbel mit großer Rhetorik. Sie versuchte, ihre eigene politische Härte mithilfe von Emotionen zu begründen.
Zuletzt auch Streit um Atomkompromiss
Baerbock erklärte, dass sie sich die Asyl-Entscheidung alles andere als leicht gemacht habe. Sie sprach von einer Abwägung, die für sie mit 51 zu 49 für eine Zustimmung ausgegangen sei. Die Außenministerin beschrieb ihre Zerrissenheit und griff schließlich zu einem Begriff, der zum neuen Multifunktionswort der Grünen werden könnte: der Zumutung. Mit diesem Wort beschrieb Baerbock den Effekt der Verschärfung des Asylrechts auf die grüne Partei. Eine Zumutung. Aber "es ist mein Job, mir genau das zuzumuten", fuhr Baerbock fort.
Vor ziemlich genau acht Monaten prägte der Begriff Zumutung schon einen anderen Grünen-Parteitag: die Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn. Eines der großen Streitthemen war damals die längere Laufzeit der Atomkraftwerke, um drohende Energieengpässe im Winter zu vermeiden. Die Parteispitze sprach sich zähneknirschend dafür aus, große Teile der Basis waren dagegen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke trat im Oktober 2022 schließlich ans Rednerpult und nannte den Atomkompromiss eine Zumutung - eine Zumutung für die grüne Partei, die diese aber mittragen müsse. Man wolle zwar nicht weiter auf Atomkraft setzen, aber es sei dennoch der richtige Weg.
Änderungsanträge wegverhandelt
Gemünzt auf Asylpolitik war das auch die Argumentationslinie der Bundesaußenministerin: Sie wusste, dass sie mit ihrer Entscheidung den Grünen viel zumutet - und benannte das. Damit begnügten sich die Delegierten in Bad Vilbel fürs Erste. Sie standen nach der Rede Baerbocks von ihren Plätzen auf und applaudieren. Baerbock ging nicht angezählt, sondern umjubelt aus diesem Länderrat.
Allerdings lassen sich mit emotionalen Auftritten nicht alle Unstimmigkeiten wegwischen. Der Bundesvorstand der Grünen trat auf dem Treffen im Hintergrund mit den Kritikern in Verhandlungen. Das Ziel: Sie sollten ihre 46 Änderungsanträgen zurückziehen. Als Gegenleistungen veränderte die Parteispitze Formulierungen in ihrem Antrag. Verhandlungen, die letztlich Erfolg hatten: Nur noch drei Änderungsanträge blieben am Ende übrig.
Doch das hatte seinen Preis. Der Bundesvorstand musste den Antragsstellern weit entgegenkommen. In der beschlossenen Position der Grünen ist nun davon die Rede, dass Familien mit Kindern grundsätzlich nicht in Asyl-Schnellverfahren an den Außengrenzen kommen sollen. Und dass die EU-Staaten nicht dazu verpflichtet werden sollen, diese Art von Grenzverfahren tatsächlich zu starten. Weiter ist von einem "Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen" die Rede. Sätze, mit denen sich der Bundesvorstand die Zustimmung der Delegierten erkauft hat.
Für den Moment versöhnt
Für den Moment zeigt sich die Partei wieder versöhnt. Redner von der Basis sprechen von einer starken Asylpolitik, für die die Grünen weiterkämpfen würden. Sie loben Baerbock und zählen darauf, dass sie ihre Wünsche durchbringen wird. Eine schwere Last liegt damit auf den Schultern der Außenministerin. Ob sie die hohen Erwartungen ihrer Partei erfüllen kann?
Die Asylpolitik wird die Grünen wieder einholen, wenn die weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene in Gang kommen - und sich die Bundesregierung am Ende zu einem aus grüner Sicht womöglich unbefriedigenden Ergebnis verhalten muss.