Hunger in Ostafrika Welche Hilfe ist sinnvoll?
1,6 Milliarden Dollar seien notwendig, um die Menschen in Ostafrika vor dem Hungertod zu retten, sagt UN-Generalsekretär Ban. Aber wie muss das Geld verwendet werden, um tatsächlich zu helfen? Und hätten die Hilfsorganisationen nicht schon viel eher eingreifen müssen? tagesschau.de hat nachgefragt.
Hätte man in Somalia früher eingreifen müssen, um eine Katastrophe zu verhindern? Und, wenn ja, wie?
Christoph Klitsch-Ott, Referatsleiter Afrika bei Caritas international: Hilfsorganisationen wie Caritas international bereiten sich seit den ersten Warnungen Ende 2010 auf die Dürre vor. In Somalia war das aufgrund des Bürgerkrieges Hilfe jedoch nur punktuell möglich. Caritas und Diakonie gehören zu den wenigen Hilfsorganisationen, die einen Partner in Mogadischu haben, der auch in den Kriegsjahren Nahrungsmittel und Trinkwasser zu den Not leidenden Menschen bringen konnte. Mehrere Mitarbeiter unseres lokalen Partners haben diesen Hilfseinsatz mit dem Leben bezahlt. Flächendeckende Hilfe wäre nur denkbar gewesen, wenn Wege gefunden worden wären, das Land zu befrieden.
Ende der 80er-Jahre beschließen der Theologe Christoph Klitsch-Ott und seine Frau, drei Jahre lang Entwicklungsarbeit in Tansania zu leisten. Aufenthalte in Burundi und im Kongo folgen, zum Teil unter dramatischen Umständen. Seit 1997 arbeitet Klitsch-Ott für die Auslandsabteilung des Deutschen Caritasverbandes.
Rupert Neudeck, Vorsitzender Grünhelme e.V.: In Somalia konnten nicht mal US-Armee oder Bundeswehr "eingreifen". Da war der somalische Warlord stärker. Auch die äthiopische Armee als die "Armee des Erbfeindes" hat nicht nur nichts erreicht, sie hat alles viel schlimmer gemacht. Somalia ist nur noch ein geographisches Gebiet und kein Staat mehr. In diesem anarchischen Somalia spielt sich die eigentliche Katastrophe ab, nicht in den Lagern in Kenia.
Handeln könnte man jetzt in Somaliland im Norden, der ehemaligen britischen Kolonie mit 3,5 Millionen Einwohnern. Somaliland hat sich 1991 von Somalia abgespalten und einen eigenen Staat gegründet, mit Regierung, Parlament, Hafen, Flughafen, drei Handy-Anbieter-Firmen. Dort würde ich anfangen mit dem "Eingreifen".
Paul Bendix, Geschäftsführer Oxfam Deutschland e.V.: Die Hungersnot in Teilen Somalias wäre allein schon wegen der dortigen Sicherheitslage und den bewaffneten Auseinandersetzungen in vielen Gebieten kaum gänzlich zu vermeiden gewesen. Die Hilfsorganisationen haben aber seit Anfang des Jahres davor gewarnt, dass aufgrund der außerordentlichen Dürre in Ostafrika eine Hungersnot droht – nicht nur in Somalia, sondern in der gesamten Grenzregion zwischen Somalia, Äthiopien und Kenia. Viele Geberländer und -institutionen, zum Beispiel auch die EU, haben aber darauf viel zu spät und zu zögerlich reagiert. Die Krise wird sich in den kommenden Monaten noch verschlimmern. Deshalb muss die internationale Hilfe jetzt wirklich zügig anlaufen.
Kommen die Spendengelder auch tatsächlich bei den Menschen vor Ort an?
Klitsch-Ott: Ja, die Spenden kommen direkt bei den Not leidenden Menschen an. Wir arbeiten in Äthiopien, Kenia, Somalia und Sudan nur mit langjährigen, verlässlichen Partnern zusammen; zumeist sind das lokale Caritasverbände. Die Spenden gehen also direkt von Caritas zu den Hungernden. Dieser Weg garantiert ein maximales Maß an Transparenz.
Neudeck: Das hängt davon ab. Wenn man das Geld den Vereinten Nationen gibt, wird vieles in große vornehme Gebäude investiert, in Gehälter und in Flotten von klimatisierten Autos. Die Hilfsorganisationen, die wir in Deutschland kennen, arbeiten wenigstens vor Ort. Aber dort sind die Wege weit, und das hätte die Kanzlerin jüngst bei ihrem Besuch in Nairobi thematisieren müssen. Den Organisationen müssen unnötige Wege erspart werden. So sitzt der Kommissar für die Flüchtlinge der kenianischen Regierung in Nairobi. Und dem muss man erst seine Aufwartung machen, um dann in das 500 Kilometer entfernte Lager Dadaab zu kommen.
Weltweit bekannt wird der Journalist Rupert Neudeck 1979, als er mit dem Frachter "Cap Anamur" tausende vietnamesischer Flüchtlinge rettet. Von der gleichnamigen Hilfsorganisation verabschiedet er sich 2002. Kurz darauf gründet Neudeck Grünhelme e.V. mit dem Ziel, kriegszerstörte Häuser wieder aufzubauen.
Bendix: Grundsätzlich muss man zwischen Hilfsgeldern von Geberländern und privaten Spenden an Hilfsorganisationen unterscheiden. Die Hilfsgelder werden für die Bewältigung einer Krise bereit gestellt, die privaten Spenden finanzieren Hilfsprojekte vor Ort. Dabei ist Somalia auch für Oxfam ein besonders schwieriges Einsatzgebiet. Oxfams Ansatz besteht grundsätzlich darin, mit bewährten lokalen Partnerorganisationen zusammenzuarbeiten. Die sind mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut und stehen in engem Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Nur wenn dies nicht möglich ist, arbeitet Oxfam mit eigenem Personal, das möglichst lokal oder regional rekrutiert wird. Diese Vorgehensweise wird durch regelmäßige und systematische Kontrollen ergänzt. So wird insgesamt sichergestellt, dass die Hilfe ihr Ziel erreicht.
Unterstützt man mit Hilfe für Somalia oder Äthiopien nicht auch autoritäre Strukturen und Gruppierungen, die die Menschenrechte missachten?
Klitsch-Ott: Für die Hilfe von Caritas international kann ich das ausschließen, weil die Spenden direkt von unseren Konten zu den Konten der lokalen Caritasverbände und von dort zu den Hungernden fließen. Jede Spende hilft, Menschenleben zu retten.
Neudeck: Somalia und Äthiopien kann man nicht vergleichen. Nach Somalia kann man gegenwärtig nicht herein. Dort wird ein Bürgerkrieg geführt und der internationale Krieg gegen den Terror. In Äthiopien sitzt eine Regierung, der ich nicht über den Weg traue. Diese Regierung hat im eigenen Land die Opposition ins Gefängnis gesteckt. Diese Regierung hat Krieg gegen Somalia geführt, obwohl man gleichzeitig um Entwicklungshilfe und Budgethilfe gebettelt hat und sich diesen Krieg nicht leisten konnte. Ich gehe davon aus, dass die USA zum Teil dafür bezahlt haben. Aber man darf ein Land, das Krieg führt, nicht unterstützen.
Ich habe selbst erlebt, dass einem befreundeten Äthiopier, der in Ost-Äthiopien mit das allerbeste Programm aufgebaut hatte, mit Wasserdämmen, Baumschulen, Schulen, von einem auf den anderen Tag die Mittel konfisziert und der Laden zugemacht wurde. In einem solchen Land sehe ich nicht den Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe.
Bendix: Die humanitäre Hilfe für Somalia und Äthiopien kommt unmittelbar der Not leidenden Bevölkerung zugute. In einer humanitären Krise wie jetzt in Ostafrika kann allerdings ohne die aktive Beteiligung der jeweiligen nationalen Regierung nicht geholfen werden. Im Gegenteil: Die Regierungen vor Ort – nicht die internationale Gemeinschaft oder die Hilfsorganisationen – sind in erster Linie für Schutz, Sicherheit und Unterstützung ihrer Bevölkerung verantwortlich. Die katastrophale Dürre hat aber ein solches Ausmaß erreicht, das keine einzelne Regierung ohne Unterstützung von außen dieses Problem bewältigen kann. Die Regierungen der betroffenen Länder werden aber langfristig dafür sorgen müssen, dass die Ursachen für solche Hungersnöte beseitigt werden; im Fall Äthiopiens beispielsweise durch verstärkte Investitionen in die kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduktion.
Paul Bendix ist seit 2007 Geschäftsführer von Oxfam Deutschland. Der Wirtschaftsingenieur arbeitete vorher unter anderem beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik und beim Deutschen Entwicklungsdienst. Mit Oxfam setzt sich Bendix für die Bekämpfung von Armut, Leiden und sozialer Ungerechtigkeit ein.
Wie kann deutsche Entwicklungshilfe nachhaltig und effektiv helfen?
Klitsch-Ott: Kurzfristig müssen wir Menschenleben retten, langfristig solchen Hungersnöten vorbeugen. Um die Menschen vor Dürren zu schützen, hat Caritas international beispielsweise bereits 2001 in Äthiopien Vorsorgeprojekte gestartet. Es wurden meteorologische Daten gesammelt, Wanderungsbewegungen der Nomaden beobachtet sowie angepasste Formen der Landwirtschaft und Viehhaltung entwickelt. Daraus ist ein umfassendes Katastrophenvorsorge-Programm hervorgegangen. Solche Projekte werden wir nach der akuten Nothilfe fortführen und ausbauen.
Neudeck: Deutsche Hilfe ist uneffektiv, wenn man mit der Gießkanne über den Kontinent geht und überall die bestdotierten Mitarbeiter aus Deutschland in klimatisierten Gebäuden unterbringt. Deutsche Hilfe muss bescheidener werden. Wenn wir uns in Afrika auf drei Länder einlassen würden, mit denen wir intensive Partnerbeziehungen aufbauen, dann müssten wir mit dem Aufbau einer Energie-Infrastruktur im ländlichen Raum beginnen. Dort müssten auch Kleinbetriebe und Banken im Mikrokreditbereich gefördert werden, eben in den Dörfern und nicht in der Hauptstadt. Keine Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, kein Deutscher Entwicklungdienst dürfte mehr in der Hauptstadt wohnen. Das wäre ein Rückfall ins alte System, das nichts gebracht hat.
Bendix: Es geht im Moment vor allem um die Nothilfe, die dringend ausgeweitet werden muss, um die drohende Hungerkatastrophe abzuwenden. Zurzeit fehlen etwa 800 Millionen Dollar für Nothilfe. Hier müssen die Geber-Länder und -Institutionen einschließlich Deutschland dringend ihre Beiträge aufstocken. Langfristig muss aber auch die Frage gelöst werden, wie derartige Hungersnöte in der Region künftig verhindert werden können, zum Beispiel, indem man die kleinbäuerliche Landwirtschaft stärkt oder in Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und in den Katastrophenschutz investiert. Hier gibt es eine Menge Ansatzpunkte für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Zusammengestellt von Niels Nagel, tagesschau.de