Debatte über Impfpflicht "Weg der Vernunft" oder "totes Pferd"?
Allgemein, für alle ab 50 oder für niemanden: Beim Thema Corona-Impfpflicht gibt es im Bundestag eine ganze Palette an Meinungen. In der ersten Debatte argumentierten Befürworter und Gegner scharf gegeneinander.
Der Bundestag hat mit den Beratungen über eine Ausweitung der Corona-Impfpflicht begonnen. In der ersten Debatte dazu warb die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, für eine Impfpflicht ab 18 Jahren und forderte insbesondere die Unionsfraktion auf, sich dem Antrag der Befürworter anzuschließen. "Wir müssen grundlegend die Voraussetzung dafür schaffen, dass wir nicht noch einmal von einer weiteren Infektionswelle überrollt werden", sagte sie im Plenum.
Der parteiübergreifende Vorstoß einer Parlamentariergruppe werde nach Baehrens' Worten von 237 Abgeordneten aus vier Fraktionen unterstützt. Es müsse eine hohe Impfquote bis zum Herbst erreicht werden. Je mehr Menschen durch Impfung geschützt seien, umso schneller könne man zu einem gesellschaftlichen Leben ohne Einschränkungen zurückkehren. Eine allgemeine Impfpflicht sei dafür ein "echter Weg der Vorsorge", sagte Baehrens.
Hätte Deutschland bereits heute eine Impfquote von 90 Prozent, wären die Infektionszahlen nicht so hoch, erklärte die SPD-Politikerin. An die Union gerichtet appellierte Baehrens: "Warten Sie nicht länger ab, gehen sie mit uns den Weg der Vernunft und der Vorsorge!"
Lauterbach: "Einmalige Chance ergreifen"
Auch Bundesgesundheitsminsiter Karl Lauterbach warb erneut eindringlich für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. "Wir können die Pandemie für Deutschland zum ersten Mal beenden mit der Impfpflicht", sagte der SPD-Politiker. "Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen."
Lauterbach betonte, dass die vorhandenen Impfstoffe wirkten, um schwere Krankheiten und Tod zu verhindern. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine Schwierigkeiten haben, die Corona-Pandemie zu bekämpfen, liegt bei fast null Prozent", sagte der SPD-Politiker mit Blick auf erwartete weitere Virus-Wellen. "Das ist fast so wahrscheinlich, als dass wir gar keinen Herbst bekämen." Dann werde sich auch wieder die Frage einer Überlastung des Gesundheitssystems stellen und über Beschränkungen diskutiert werden müssen, machte Lauterbach deutlich. Und dann werde erneut das ganze Land "in der Geiselhaft dieser Gruppe" sein, die sich gegen die weltweite wissenschaftliche Evidenz durchsetzen wolle, sagte er mit Blick auf weiterhin ungeimpfte Menschen. "Die Ungeimpften tragen derzeit die Verantwortung dafür, dass wir nicht weiterkommen."
Union will Impfpflicht für "akute Lage"
Die Unionsfraktion hat den Antrag vorgelegt, der derzeit die zweitgrößte Unterstützergruppe hat. Er sieht vor, dass die Voraussetzungen für die Umsetzung einer Impfpflicht geschaffen werden, aber erst in einer akuten Lage über die Einführung entschieden werden soll. Baehrens sagte, der Zeitpunkt sei bereits da. Dem Robert Koch-Institut wurden am Donnerstag fast 300.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet.
Der CDU-Abgeordnete Sepp Müller ging auf die Bitte von Baehrens nicht ein, sondern warb für den eigenen Antrag. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Impfpflicht "tot", sagte Müller. Es gebe im Parlament keine Mehrheit dafür. Der CDU-Politiker Tino Sorge sagte, es gebe keine Gewähr dafür, dass eine Impfpflicht jetzt helfe, weil man eine möglicherweise neue Coronavirus-Variante und die dagegen wirksamen Impfstoffe jetzt noch nicht kenne.
Weitere Anträge aus Reihen der FDP und AfD
Neben diesen zwei Initiativen gibt es einen Entwurf einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann für eine Beratungspflicht und dann eine mögliche Impfpflicht ab 50. Sein Parteikollege Manuel Höferlin wandte sich gegen jegliche Impfpflicht und unterstützte damit den Vorstoß von FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki. Die Impfung schütze zwar vor schweren Krankheitsverläufen oder dem Tod. Daraus resultiere aber keine Pflicht. Er verwies darauf, dass Österreich die dort eingeführte Impfpflicht inzwischen ausgesetzt habe. Wer anstatt einer Impfung lieber eine Maske trage, habe das gute Recht, dies so zu entscheiden.
Auch die AfD hatte einen Antrag vorgelegt. Fraktionschefin Alice Weidel rief die Befürworter der allgemeinen Impfpflicht auf, ihre Vorschläge zurückzuziehen. "Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab", sagte sie in der Debatte. Die Argumente für die Impfpflicht seien von Anfang an schwach gewesen und inzwischen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. "Es gibt keine legitime und verfassungsrechtlich zulässige Rechtfertigung für die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19." Diese verletze zentrale Grundrechte.
Nach der ersten Beratung im Parlament soll am kommenden Montag eine Experten-Anhörung stattfinden. Entscheiden soll der Bundestag dann ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben voraussichtlich Anfang April.